Nathan war ein gebildeter und intelligenter Mensch. Er hat im Zeitalter der Aufklärung zu Toleranz und
Völkerverständigung aufgerufen. Das Auflösen des Absolutismus - Aufhebung des bevormundeten Denkens -war
die alleinige Erkenntnismöglichkeit des Menschen. Nathan brachte neue Erkenntnisse zu den Themen
Religion/Theologie, Erziehung und Gesellschaft. \"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!\" Nach
diesem Zitat von Immanuel Kant ist Nathan vorgegangen. Er war weder zu faul, die Verantwortung abzulehnen,
noch zu feige, Dinge von denen er überzeugt war, auszusprechen.
Nathan war ein Jude. Er wollte eine autonome Person sein und tolerierte auch Ziele des Pantheismus (Lehre, die
Gott und All gleichsetzt) , des Deismus (Gott ist Schöpfer der Welt, hinsichtlich der Geschichte der Menschen,
aber untätig) und des Theismus (Glaube an einen einzigen, außerweltlichen, persönlichen Gott und
Weltenschöpfer).So konnte er auch den Glauben der Moslems und der Christen achten. Dieses Thema ist im
Kernstück des Dramas "Nathan der Weise" in der Ringparabel als Gleichnis der drei Religionen (Judentum,
Christentum und Islam) dargestellt. Nathan erzählt darin, dass der echte Ring, d.h. die erste, und damit einzige
richtige Religion, verloren gegangen sei. Es existieren nur noch drei Kopien, von denen jede gleich echt oder gleich
falsch ist. So kann von keiner der drei Religionen behauptet werden, sie sei die einzig richtige. Jede ist genauso
falsch und schlecht bzw. echt und gut wie die andere. Jede Religion überlässt dem Menschen eine Verantwortung,
die er tragen muss. Diese Last müssen alle Religionszugehörigen tragen, ob Muslime, Juden oder Christen. Alle
machen ihre Sache gleich gut oder gleich schlecht. Nathan respektiert andere Glaubensrichtungen. Dies wird
deutlich bei Daja. Er übt Toleranz gegenüber Christen, obwohl diese ihm seine Frau und sieben Töchter getötet
haben. Nathan nimmt sogar ein Kind von christlichen Eltern an, aber nicht um es im jüdischen Glauben zu erziehen,
sondern um einen guten Menschen aus dem Kind zu machen.
Die wichtigsten Ziele in der Erziehung waren für Nathan, dass sie auf alle Schichten der Gesellschaft ausgedehnt
werden müssten, dass es der Beginn der Erwachsenenbildung ist und dass die Frauen mit einbezogen werden
müssten. Dies wird im Drama an Daja verdeutlicht. Sie war eine normale Haushälterin und wurde von Nathan als
ganz normaler Mensch behandelt. In dem Werk "Nathan der Weise" versuchen mehrer Personen andere
Menschen in ihrem Sinne zu erziehen. Doch Nathan gelingt diese Aufgabe am besten durch geschickte
Gesprächsführung mit seinen Mitmenschen und durch seine Weisheit. Jedoch hat Nathan nicht immer die Chance,
erfolgreich zu erziehen. Am Beispiel von Daja und dem Patriarchen wird dies deutlich. Daja und der Patriarch
versuchen auch, zu erziehen. Sie scheitern jedoch aufgrund ihrer Intoleranz und Verbohrtheit. Der Patriarch von
Jerusalem ist voll und ganz von seinem Glauben überzeugt. Er lässt keinen anderen zu. Der Patriarch verachtet die
Juden :"Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!" Er ist völlig unzugänglich und auch nicht bereit, etwas anzunehmen,
was seinen christlichen Grundsätzen widerspricht. Genauso ist Daja veranlagt. Auch sie folgt dem christlichen
Glauben fanatisch und versucht Recha zu christianisieren. Es werden Fehler wie Intoleranz und Unwissenheit
dargestellt, doch Nathan ist der Meinung , dass diese Fehler keine Hindernisse darstellen, wenn man bereit ist, sich
erziehen und belehren zu lassen. Ist man das nicht, können die Versuche noch so geschickt, bedacht oder weise
sein, sie führen zu keinem Ergebnis.
Das Zitat "Weisheit ist die perfekte bzw. zum höchsten Gipfel der Vollendung geführte Geistes- und
Seelenverfassung; sie ist nämlich die Kunst des Lebens" trifft auf Nathan zu. Er hat zu den wichtigen Themen der
Aufklärung (Religion, Erziehung) eine Meinung gehabt, mit der er mit dem Höchsten Gipfel der Vollendung
geführte Geistes- und Seelenverfassung geäußert hatte. Er hat Dinge in seinem Leben getan, die einen bestimmten
ästhetischen Wert haben, für die man besondere Begabungen braucht. Trotz alldem war Nathan auch nur ein
Mensch, der seinen Verstand gebraucht hat und so zu großem Ruhm und Anerkennung gekommen ist. Nathan lehrt
uns, dass eine jegliche Konfliktsituation in kluger Weise, ja wissenschaftlich untersucht werden muss, wobei zuerst,
wie im Zivilprozess, zu prüfen ist, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Sachvorträgen der
streitenden Parteien bestehen. So ergibt sich die Chance, zu erkennen, welche der ideellen Werte unstreitig bzw.
absolut unverzichtbar sind und welche von ihnen lediglich relativ sind und deshalb tolerierbar sein müssten.
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