Judith hat den babylonischen Feldherrn Holofernes getötet und präsentiert König Herodes den Dolch noch in der Hand, das abgetrennte Haupt. Die alttestamentarische Schreckensgeschichte scheint keinen der Anwesenden irgenetwas anzugehen.
Lucas Cranach, der vergnügliche Erzähler erotisch angehauchter Geschichten und Legenden , der treue Diener der sächsischen Fürsten, und Lucas Cranach, der bildnerische Verkünder der Reformation und persönliche Freund Luthers - wer war Lucas Cranach?
lm oberfränkischen Kronach wurde er 1472 geboren und verbrachte sein langes, tätiges Leben im Dreieck von Wien, Wittenberg und Weimar, wo er 1553 starb. In Wittenberg, wo seine Familie, seine Werkstatt, sein Ansehen und sein Vermögen wuchsen, lebte er 45 Jahre. In Wien, das ihn um 1500 anzog, nachdem er in der Werkstatt des Vaters eine Ausbildung erhalten hatte, entstanden die ersten erhaltenen Bilder, wilde und ungestüme Darstellungen religiöser Sujets. In Weimar, der Stadt seines letzten Lebensjahres, stehen nicht nur der Stadtkirchenaltar und sein Grabstein, hier ist im Museum auch die gröBte Cranach-Sammlung überhaupt zu sehen: neben dem sächsischen Brautpaar ein früher Schmerzensmann, das berühmte Lutherporät als Junker Jörg, ein verfùhrerischer ,Charitas\"Akt sowie mehrere groBformatige mythologische Szenen, die hier als Dauerleihgaben aus Dresden hängen.
Von Albrecht Dürer einmal abgesehen, so hatten seine Humanisten-Freunde Christoph Scheurl und Philipp Melanchthon gesagt, gebühre Cranach der erste Platz in der Malerei seines Jahrhunderts. Wenn wir jetzt noch Grünewald hinzunehmen, von dem Melanchthon diplomatisch sagt, er habe einen Mittelweg genommen, dann ist die deutsche Malertrias des frühen 16. Jahrhunderts beisammen. Nicht nur Cranachs fùr damalige Verhältnisse ungewöhnlich lange Lebenszeit, sondern auch die Tatsache, daB seine doppelten Dienste für Kurfürst und Kirche ihm nie zum Problem wurden, hat ein quantitativ stattliches und bis zur Volkstümlichkeit beliebtes Oeuvre wachsen und gedeihen lassen - kaum ein grobes Museum der Welt, in dem einem nicht eines seiner Porträts oder eine zierliche Nudität hinter einem enthüllenden Schleier begegnet.
Angefangen hatte es alles etwas anders. Zum Beispiel mit relativ groben, stark expressiven Holzschnitten, die ohne Dürers Apokalypse und die Blâtter der GroBen Passion, die Cranach in Wien unzweifelhaft zu Gesicht gekommen waren, zwar nicht zu denken sind und in denen Cranach doch von Anfang an seine sehr eigenen Charakteristika entwickelte. Blâtter, in denen die Unruhe der konfliktreichen Zeit zu spüren ist. DaB eine Kreuzigung bei Dürer etwas völlig anderes ist als eine Kreuzigung bei Cranach, erklärt sich weniger aus den paar Jahren, die zwischen der Entstehung liegen, als vielmehr aus der\'Verschiedenheit der künstlerischen Temperamente. Wo Dürer das Leiden des Gekreuzigten und den Schmerz der Trauernden im Ausdruck nuanciert und in der Form differenziert, wo er den Raum perspektivisch aufbaut und Vorder und Hintergrund bewubt gewichtend gestaltet, da spielt sich bei Cranach ein einziges,wild gewogenes Geschehen ab.
Mit Cranachs Tätigkeit als Hofmaler veränderten sich seine künstlerische Produktion und seine bürgerliche Situation. Er hatte Barbara Brengbier geheiratet, die Tochter des Bürgermeisters von Gotha, er wurde Hausbesitzer mit dem Recht auf Weinausschank, besab eine Apotheke, haute eine Werkstatt auf und aus, besaB zeitweilig eine Druckerei mit Buchladen. 1508 wurde ihm vom Kurfürsten der Wappenbrief verliehen, die geflügelte Schlange wurde fortan zum Signet seiner Arbeit. Neunmal wurde er in den Rat von Wittenberg gewählt, während dreier Amtsperioden war er Bürgermeister der Stadt, zu deren reichsten Bürgern er sich zâhlen durfte. Die Hochschätzung, die Cranachs Arbeit und Person durch die sâchsischen Regenten erfuhr, wurde von ihm selber mit lebenslanger Loyalitât erwidert: Nach Friedrich dem Weisen diente er Johann dem Beständigen und schlie lich Johann Friedrich dem Grol3mütigen. Trotz seiner 78 Lebensjahre begleitete er diesen auf dessen dringenden Wunsch 1550 in die Gefangenschaft nach Innsbruck. lm Hin und Her von Reformation und Gegenreformation hatte Kaiser Karl V., dem Luther auf dem Reichstag zu Worms die Rücknahme der Thesen ver-weigert hatte, den sâchsischen Kurfùrsten im Schmalkaldischen Krieg besiegt. 1552 wurde die Gefangenschaft aufgehoben, Cranach und sein Dienstherr zogen nach Weimar, wo Cranach bei seiner Tochter einkehrte.
Aber nicht nur seinen Fürsten war Cranach ergeben und bat sie, in all ihrer bemerkenswerten und stetig vererbten Hä lichkeit, immer wieder porträtiert. Auch seine Verbindung zu Martin Luther war eine lebenslange, und seine Porträts des Reformators haben das Lutherbild der Nachwelt im wahrsten Sinne des Wortes geprägt. Er bat den aufsässigen jungen Mönch und den als Junker Jörg in das freiwillige Versteck der Wartburg abgetauchten Revolutionär gemalt und den Ehemann der Katharina von Bora, den immer kantiger werdenden Schädel des Reformators und den keinen Widerspruch duldenden Rhetoriker und Prediger auf der Kanzel. Cranachs frühe Bekanntschaft mit den Wiener Humanisten um Johannes Cuspinian brachte ihn auch rasch ins Gespräch mit den Freunden Luthers und den Mitgliedern der Wittenberger Universität. Er bat nicht nur ihre Porträts gemalt, sondern sie auch, in einem ebenso kühnen wie naiven Akt der QuasiKanonisierung, auf die Altäre gehoben. Auf dem Cranach-Altar der Wittenberger Stadtkirche zum Beispiel hält Philipp Melanchthon ein Kind übers Taufbecken, sitzt Luther inmitten einer ungewöhnlichen Abendmahlsszene am runden Tisch, tritt Johannes Bugenhagen, der besonders mit dem Schulwesen befate Mitstreiter Luthers, als Beichtiger auf, verkündet Luther selber auf der Predella ciner andächtigen Gemeinde das Bibelwort.
So ist Cranach, der Porträtmaler, auch der groBe Dokumentarist der Reformation geworden, die er auch auf andere Weise unterstützte. Hatte er 1509 noch fùr das sogenanne Heiltumsbuch, einen Katalog der Reliquiare der Wittenberger Schlo kirche, 123 figürliche und ornementale Holzschnitte angefertigt, so schuf er 1521 mit der aus 13 Bildpaaren bestehenden Holzschnittserie des Passionals Christi und Antichristi ein drastisch antirömisches Pamphlet. Überhaupt nutzte seine Holzschnitzkunst, die nicht nur das Bild des Refdrmators, sondern auch seine in Bilder umgesetzten Worte verbreitete, oft mehr als das Wort selbst. Als Mitbesitzer einer Druckerei sorgte er nebenbei noch fùr die Verbreitung von Luthers Schriften und seiner Ubersetzung des Neuen Testamentes.
Dies und die Tatsache, daB die Familien Cranach und Luther durch Patenschaften bei den jeweiligen Kindern verbunden waren, hinderte Cranach aber nicht, auch zahlreiche Porträts des die Sache Roms betreibenden Kardinals Albrecht von Brandenburg anzufertigen. Oder auch, neben den vom Programm der Reformation bestimmten Altären weiterhin Madonnen, Jesuskinder und diese oder jene heiligen Figuren zu malen. DaB diese entrückt enthobenen Gestalten mit ihrer sichtbaren oder unsichtbaren Gloriole den normalen Glâubigen mehr ansprachen als ein argumentatives Bild oder die Porträts einer streng dreinblickenden Altherrenriege, ist wohl leicht einzusehen.
Die Beliebtheit von Cranachs Kunst, zu der auch die Zuverlässigkeit seiner Produktion gehörte, erforderte im Laufe der Jahre die Ausdehnung seiner Werkstatt, in der seit Anfang der dreiBiger Jahre auch seine Söhne Hans und Lucas mitarbeiteten, zu einer Art von Manufaktur. In vielen Fällen, besonders bei den zahlreichen Fürstenporträts oder auch den besonders beliebten Motiven der Geschichte oder Mythologie, hat Cranach selber wohl nur eine Studie oder eine Art von Porträtaufnahme angefertigt, die dann den Mitarbeitern als Vorlage diente und die leicht variiert oder mit unterschiedlichen dekorativen Elementen oder Hintergründen versehen und immer wieder verwendet wurden. DaB bei einer solchen Arbeitsmethode eine gewisse Schematisierung der Bildnistypen die Folge war (die Evas und Lukretias haben ähnliche Gesichtszüge wie die Darnen des sächsischen Hofes), versteht sich von selbst (bei Cranachs Männerporträts gibt es übrigens sehr viel mehr Eigenart). Und ebenso notwendig ergeben sich gewisse Wiederholungen im Dekorativen.
Ist Cranachs Kunst deshalb im Laufe eines langen, erfolgreichen Lebens zur glatten Lackarbeit geworden, von der ausgerechnet Friedländer, der erste intensive Cranachforscher spricht? Cranachs Frühwerk, in dem die Unruhe der Zeit sichtbar wird, mag manchen mehr ansprechen als das kapriziöse Spätwerk, das man, denkt man an die politische Situation der Entstehungszeit, eskapistisch nennen könnte. Aber einmal abgesehen davon, daB Cranach sich allein durch seine Kunst im Zusammenhang der Reformation ein historisches Verdienst erworben bat und auch abgesehen davon, daB es auch im Spätwerk nach wie vor bezaubernde oder eindrucksvolle Bilder gibt, sollte man mit Urteilen, die auf die Moral eines Künstlers abzielen, gerade heute und gerade im Deutschland unserer Jahre zurückhaltend sein. ,Die Weisheit Cranachs bestand darin, wechselnden Auftraggebern entsprechen zu kônnen, ohne beim stândigen Umschwung Verletzungen zu erleiden\" - die vorsichtig verstândnisvolle Charakterisierung Cranachs durch den Ost-Berliner Kunsthistoriker Werner Schade beschreibt einen Künstler in einer tumultuösen Zeit. Es hätte der Kunst nichts gebracht, wenn Cranach, wie Jôrg Ratgeb, gevierteilt oder, wie Tilman Riemenschneider, gefoltert worden wäre.
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