Man sagt, dass sich vor langer Zeit, an den Ufern der Zürcher Limmat hoch oben auf einem Hügel, die edelsten Leute von Zürich trafen. Dort wurden wichtige Geschäfte abgeschlossen, und die Damen liessen sich keinen Klatsch mit wunderbarem Blick auf den Züriberg entgehen. Für die armen Leute war dieser Hügel verboten. Sie schauten mit Wehmut auf die reichen, farbige Gewänder dieser reichen Leute, und wünschten sich wenigstens eines von diesen Kleidern verkaufen zu können, um mit dem wenigen Geld die eigene Familie mit Essen versorgen zu können. Aber dies war nicht alles, denn auf diesem Hügel wuchsen viele Linden. Jeder wusste schon damals, dass Lindenblüten, wenn man sie mit Wasser kochte und dieses Gebräu trank, eine heilende Wirkung auf fiebernde Kranke ausübte.
Aber davon konnten nur die Reichen profitieren, und viele Arme fanden so einen elenden Tod. Der Neid der Armen verwandelte sich in Wut, als eines Tages viele Lindenbäume gefällt wurden, um auf dem Hügel ein Haus zu errichten. (Dieses Haus existiert heute noch, seit es 1852 gebaut worden ist.) Sie beschlossen den Hof zu stürmen, um so zum Heilmittel zu kommen. Doch als alles für den Aufstand bereit war, kam ihnen ein reicher Arzt entgegen. Dieser hörte sich geduldig ihren Kummer an, und versprach, sich für sie einzusetzen.
Er hatte damit erreicht, dass sich die Leuten beruhigten und den Aufstand verschoben. Der einfühlsame Arzt berief einige seiner reichen Vertrauten und versammelte sie im orangen Haus, um über die Lage der entstandenen Situation zu diskutieren. Sie erkannten, wie gerechtfertigt der Kummer der armen Leute war. Nun wollten sie diesen Ungerechtigkeiten zwischen Armen und Reichen ein Ende setzen. Niemand weiss, was und worüber sie sprachen, aber eines wurde Wirklichkeit: Nach diesem Treffen wurden keine armen Leute in Zürich nicht vernachlässigt. Und niemand musste mehr an Fieber sterben.
Der Hof mit den vielen Linden wurde nun allen Leuten offen gehalten. Egal, ob jung, alt, reich oder arm, jeder durfte hierhin kommen und der Duft der Lindenbäume wie auch den Blick auf die Limmat und den Züriberg geniessen.. Heute nennt man ihn Lindenhof, und man darf sich dort auf Sitzbänken ausruhen und spielende Kinder beobachten. Aber auch heute wie damals dürfen in das orangenfarbenem Haus nur bestimmte Leute hinein. Welche? Dies bleibt ein Geheimnis.
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