Geissler , Rolf: Welt- und Menschlichkeitsverlust in Hebbels " Maria Magdalena" . - In: Rolf, Geissler: Arbeit am literarischen Kanon. Perspektiven der Bürgerlichkeit. - Paderon. Ferdinand Schoning 1982 S. 85 - 89.
Geissler Rolf beschreibt in seinem Aufsatz über Hebbels "Maria Magdalena" den Menschlichkeits- und Weltverlust der Menschen, die nach Selbstverwirklichung streben.
Den einzigen Grund für das Scheitern des Emanzipationsgedanken einer Frau sieht Geissler im Zerfall all der Wert- und Urteilshierarchien. Denn gleich zu Beginn zeigt er die Folgen der Menschen, die sich von all den gesellschaftlichen Konventionen loslösen und das Leben nur nach eigenen Wünschen und Träumen bestimmen lassen.
Diese Folgen sind für Geissler "deprimierend". Sie zeigen den Zerfall der Menschen, die nur nach den eigenen Gesichtspunkten leben. Die Personen leben nur aneinander vorbei und zeigen kein Verständnis für die Not der Mitmenschen. Geissler findet immer wieder Begründungen für seine Argumentationsweise und stellt damit einen direkten Bezug zu den Figuren aus "Maria Magdalena" her. An dieser Stelle untermauert er seine Gedankengang mit Beispielen aus Friedrich Hebbels Werk "Maria Magdalena". Vor allem an Hand der Monologen kann der Leser erkennen, wie sehr das "Subjekt" nur aus sich heraus lebt und kein Verständnis für andere zeigt.
Geissler führt dieses Argument sehr gut weiter und kommt allmählich zum Hauptthema des Werkes. In "Maria Magdalena" beschreibt Hebbel das Schicksal der jungen Klara, die den männlichen Wertvorstellungen zum Opfer fällt. In ihrem Leben, das eigentlich nur von Männern bestimmt ist, hat sie keine Chancen als selbständiges Individuum angesehen zu werden. Daher bleibt für Klara nur ein einziger Ausweg, den auch Geissler in seinem Aufsatz aufzeigt. Sie muß sich den Menschen unterwerfen und so zum Objekt werden. Für Geissler fällt überhaupt die ganze Welt in "Maria Magdalena" in Objekten zusammen. So zerfällt, zum Beispiel, die Liebe. Dies verbindet er vor allem mit Klaras Schicksal. Aber auch an Hand von Leonhard zeigt sich, daß die Liebe nur von Karriereabsichten gesteuert wird und somit andere Personen verdinglicht. Leonhard achtet nämlich nicht auf Gefühle anderer, da der Mensch für ihn nur etwas wert ist, solange er Geld hat. Gesellschaftlicher Aufstieg ist für ihn weitaus wichtiger als Klara und das Schicksal seines noch ungeborenen Kindes. Auch der Sekretär lebt ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen.
Dieser Drang nach Selbstverwirklichung bringt also nicht die erhoffte Freiheit, sondern erneut Abhängigkeit. Vor allem Klara, die sich vom Zwang der gesellschaftlichen Konventionen loslösen will, muß erkennen, daß sie als Frau der Männerwelt gehorchen muß. Aus Gehorsam Meister Anton gegenüber wäre sie bereit den verhaßten Vater ihres Kindes zu heiraten und ihm als Sklavin zu gehören. Es kommt also, wie es Geissler schon im Titel nennt, zu einem völligem Welt- und Menschlichkeitsverlust.
Zuletzt zeigt Meister Anton diesen "Welt- und Menschlichkeitsverlust" auch an Hand von Meister Anton auf. Für Geissler steht Meister Anton im Zentrum des Geschehens. Er ist es, der Klara in den Tod treibt, da er immer wieder mit dem Selbstmord droht, wenn ihm seine Tochter Schande bereiten würde.
Meister Anton schafft es einfach nicht selbst Urteile zu fassen. Er lebt einzig und alleine nach den traditionellen Ordnungen einer bürgerlichen Gesellschaft. Dieses konventionelle Denken vergleicht der Autor mit Meister Antons Beruf. Er arbeitet als Tischlermeister und sieht - wie im Hobeln - im Urteilen einen Eingriff in das Gegebene.
In seinem Leben bestimmen aber auch Vorurteile sein Handeln. Da die Lebensauffassung der jungen Generation den bürgerlichen Wertvorstellungen widerspricht, verdächtigt er seinen Sohn Karl des Diebstahles. Meister Antons Handeln führt zum Konflikt mit der Realität, es kommt, wie es Geissler nennt, zu einem Weltverlust.
Geissler will mit seiner Argumentation das Scheitern einer Selbstverwirklichung aufzeigen. Klara, die sich von all den gesellschaftlichen Konventionen einer bürgerlichen Ordnung loslösen möchte, muß letzten Endes doch wieder in Abhängigkeit leben. Aus Frustration über diese erneute Fremdbestimmung kommt es dann zu einem Welt- und Menschlichkeitsverlust. Das Individuum ist am Ende bereit, sich den gesellschaftlichen Konventionen zu unterwerfen und sieht den einzigen Ausweg im Tod.
Der Menschlichkeitsverlust zeigt sich auch im Denken der karrieresüchtigen Figuren dieses Werkes. Leonhard, zum Beispiel, ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht und nimmt daher keine Rücksicht auf Gefühle anderer.
Im großen und ganzem stimme ich mit der Argumentationsweise des Autors überein. Er baut seinen Aufsatz Schritt für Schritt zum Hauptthema des Werkes "Maria Magdalena" auf.
Auch meiner Meinung nach will Hebbel mit "Maria Magdalena" das Scheitern einer Selbstverwirklichung aufzeigen. Hebbel ist zu seiner Zeit einer der wenigen Autoren, die über die Emanzipation der Frau schreiben. Da zu dieser Zeit Frauen keine Chance zur Gleichberechtigung hatten, ist auch Hebbels Frauengestalt Klara zum Scheitern verurteilt Klara lebt erneut, wie es auch Geissler sagt, in Abhängigkeit. Von ihrer Umgebung wird sie nicht als selbständiges Individuum angesehen, sondern "verdinglicht".
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