Entstehung, Form, Gattung:
König Ottokars Glück und Ende ist ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Franz Grillparzer. Das Stück ist in den Jahren 1819 - 23 entstanden und wurde am 19.02.1825 im Burgtheater uraufgeführt. Bei dem Stück handelt es sich um die Aufarbeitung eines geschichtlichen Stoffes.
Seit 1821 umfangreiche Vorstudien; Vollendung in kurzer Zeit im Jahre 1823.
Grillparzer hatte die Absicht, ein Napoleon-Drama zu schreiben, fürchtete jedoch Zensurschwierigkeiten und wählte einen ähnlichen Charakter, den Böhmenkönig Przemysl Ottokar Il. (1253-1278), zum Helden.
Quelle ist die mittelhochdeutsche "Österreichische Reimchronik\" des Steiermärkers Ottokar, welche die Ereignisse von 1250 bis 1309 berichtet; daneben verwendete Grillparzer noch zahlreiche Geschichtswerke.
Ort und Zeit:
Die geschichtlichen Ereignisse
Sieg Ottokars bei Kroissenbrunn über die Ungarn (1260), Trennung von Margareta (1261), Heirat mit Kunigunde von Massowien (1261), Huldigung der Steiermärker (1260), Tod Herzog Ulrichs von Kärnten (1269), Vertreibung der Böhmen aus der Prager Vorstadt (1257), Gesandtschaft vom Reich (1254/55 oder 1271), Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen Kaiser (1273), Verhaftung und Hinrichtung Merenbergs (1271/72), Unterredung zwischen Rudolf und Ottokar (1276), Ottokar widerruft seinen Vergleich mit Rudolf in Prag (1277), Schlacht auf dem Marchfeld und Tod Ottokars (1278), Rudolf belehnt seine Söhne mit Österreich und der Steiermark (1282).
Personen:
Primislaus Ottokar König von Böhmen
Margarethe von Österreich seine Gemahlin, Witwe Heinrichs von Hohenstaufen
Benesch von Diedicz
Milota > die Rosenberge
Zawisch
Berta Beneschs Tochter
Bela König von Ungarn
Kunigunde von Massowien seine Enkelin
Rudolf von Habsburg
Friedrich Zollern Burggraf von Nürnberg
Heinrich von Lichtenstein österreichische Ritter
Berthold Schenk von Emerberg österreichischer Ritter
Der alte Merenberg steirische Ritter
Seyfried Merenberg steirische Ritter
Herbott von Füllenstein
Ortolof von Windischgrätz
Inhalt:
In alt: König Ottokar ist aus dem Krieg mit den Ungarn, die er bei Kroissenbrunn besiegt hat, heimgekehrt. Er löst seine Ehe mit der alternden Berta, der Babenbergerin, die ihm Österreich und Steiermark zugebracht hat. Er hat Berta von Rosenberg verführt, will aber Kunigunde von Massowien heiraten. Das erfährt Bertas Vater durch Zawisch von Rosenberg. Beide schließen sich mit ihren Verwandten zu einer Verschwörung gegen den König zusammen. Margareta, die ihrem Gemahl stets treu zur Seite gestanden ist, willigt in die Scheidung ein und erneuert die Länderschenkung. Österreich und Steiermark huldigen neuerlich dem König, auch Kärnten fällt ihm zu. König Bela Ungarn führt ihm seine Nichte Kunigunde als Braut zu, und Gesandte der deutschen Kurfürsten tragen ihm die deutsche Kaiserkrone an. Ottokars Glück und Macht scheint sich ins Maßlose zu steigern. Aber sein Sturz bereitet sich allmählich vor. Die mächtigen Rosenberger sind ihm feind. Die Steirer, mit Merenberg an der Spitze, wenden sich um Hilfe für Margaretens verletzte Rechte an das Reich. Der Hochmut, mit dem Ottokar die Reichsboten behandelt, und die Härte gegen seine Gemahlin machen auch sie zu Gegnern. Rudolf von Habsburg, der auf der Rückkehr von einem Preußenzug am Hofe Ottokars weilt, nimmt sich der schwer gekränkten Königin an und geleitet sie nach ihrem Witwensitz. Zawisch von Rosenberg aber, der beim Anblick Kunigundens in Leidenschaft zur Braut seines Königs entbrannt ist, wirbt mit Erfolg um ihre Gunst.
Bald keimt die schlimme Saat, die Ottokar in seinem Übermut gesät hat. Er muß den Verlust seines jungen Eheglückes befürchten. Schwer trifft ihn die Nachricht von der Wahl Rudolfs von Habsburg zum und die Ladung vor den Reichstag. Mit dem Schwerte will er seine vermeintlichen Rechte behaupten und die wachsende Unbotmäßigkeit in den babenbergischen Ländern unterdrücken. Merenberg wird gefangengenommen und nach Prag gebracht. Inzwischen ist Rudolf in Österreich eingerückt und Ottokar ihm an die Donau entgegengezogen. Doch Krankheit, Mangel und der offene Abfall der Österreicher und Steirer bringen ihn in eine schwierige Lage. So ist Ottokar zu einer Aussprache mit Rudolf bereit, die auf der Insel Kaumberg bei Klosterneuburg stattfindet. Durch Glanz und Prachtentfaltung hofft er, den schlichten deutschen Kaiser in den Schatten zu stellen und einzuschüchtern. Doch dieser tritt ihm mit Würde und Festigkeit entgegen, hält ihm seine Unbotmäßigkeit vor und zeigt ihm die Gefahren seiner Lage, da er bereits von Böhmen abgeschnitten sei. Ottokar unterwirft sich daraufhin, verzichtet auf die Alpenländer und sucht um Belehnung mit seinen Erblanden nach. Im Innern des geschlossenen Zeltes soll diese vor sich gehen. Zawisch durchhaut aber, um den König zu demütigen, die Zeltschnüre, und alle sehen Ottokar vor Rudolf knien. Ottokar verbirgt sich daraufhin wochenlang in Mähren, dann kommt er einsam und verkleidet in seine Hauptstadt zurück. Dort erwarten ihn nur neue Demütigungen: Erbarmungslos höhnt ihn sein Weib in Gegenwart ihres Buhlen. Ein kaiserlicher Herold fordert die Herausgabe der Gefangenen und der Geiseln. Ottokar gesteht die Freigabe der Geiseln und die Räumung Österreichs zu. Als er sich aber in seiner landesherrlichen Stellung bedroht glaubt, rafft er sich auf, läßt den Herold zurückrufen, zerreißt den kaiserlichen Brief und läßt Merenberg als Verräter in den tiefsten Turm werfen. Er befiehlt, zu einem neuen Heerzug zu rüsten. Dem verzweifelten Entschluß folgt aber eine zögernde Durchführung. Das Bewußtsein des Wortbruches, der Tod des alten Merenberg, den sein Wächter über die Turmtreppe hinabgestoßen hat, die Flucht der Königin mit Zawisch und der wachsende Verrat der Seinen lähmen seine Tatkraft. Auf dem Marchfelde treffen die Gegner aufeinander. Am Abend vor der Schlacht erblickt Ottokar im Küsterhause in Götzendorf die tote Margareta. Auf der Flucht von Krems zum Kaiser hatte sie der Tod ereilt. Reumütig sinkt Ottokar an ihrem Sarge nieder und versöhnt sich im Tode mit der edlen Königin, die sein guter Engel gewesen ist. Innerlich gebrochen und voll Todesahnung begibt er sich in den Kampf. Milota bleibt mit den Mährern dem Kampf fern. Ottokar, der durch einen Sturz vom Pferd gelähmt ist, fällt durch das Schwert des jungen Merenberg, gerade vor dem Haus, in dem Margaretens Leiche ruht. Rudolf von Habsburg aber verbannt diesen, weil er sein Gebot, Ottokars Leben zu schonen, mißachtet hat. Dann deckt er die Leiche seines großen Gegners mit seinem kaiserlichen Mantel zu und belehnt seine Söhne Albrecht und Rudolf mit Österreich und Steiermark. -
Aussage:
Das Werk ist ein historisches Drama in der Art des "Wallenstein\". Es wird ein historisches Ereignis, nicht bloß ein historischer Charakter dargestellt, doch haftet das Interesse vorwiegend an den Charakteren der Hauptpersonen. Am tatsächlichen geschichtlichen Verlauf hat Grillparzer wenig geändert, doch war eine starke Straffung des großen Stoffes nötig. Was sich im Verlauf von mehr als zwanzig Jahren abgespielt hat, ist auf einige Monate zusammengedrängt. Es ist ein Meisterstück des Dichters, die Fülle der Geschehnisse auf persönliche Motive zurückzuführen. Den Kern der Handlung bildet der Kampf zwischen dem Recht und dem persönlichen Ehrgeiz. Ottokar ähnelt in seinem Wesen Napoleon. Beide sind, wenn auch mit großem Abstand, tatkräftige Männer, Eroberer, ohne eigentliche Bösartigkeit, durch die Umstände jedoch zur Härte und Tyrannei getrieben. Beide finden nach vieljährigem Glück ein trauriges Ende. Die Trennung ihrer ersten Ehe und eine zweite Heirat bezeichnen den Wendepunkt in ihrem Schicksal. Ottokar überragt seine Zeit und sein Volk, das er auf eine höhere Stufe heben will. Von seinen Gedanken und von seiner Größe erfüllt, hat er verlernt, die einzelnen Menschen zu achten, sie sind ihm nur Spielfiguren, die er benutzt und dann achtlos wegwirft. In furchtbarer Verkettung erwächst ihm aus solchen Sünden die Rache. Er hat Berta von Rosenberg verführt und dadurch ihr mächtiges Geschlecht tödlich gekränkt. Er hat auch Margareta schwer verletzt und ihre Untertanen dadurch abgestoßen. Nun entwickelt sich alles folgerecht: Die deutsche Kaiserkrone entgeht ihm wegen seines Verfahrens gegen Margareta. Demselben Grunde entspringt sein Mißtrauen gegen Merenberg. Aus dessen Mißhandlung und Tod geht der Abfall der Steirer hervor. Die Kränkung der Rosenberger wird ihm heimgezahlt durch die Zerstörung seiner eigenen Ehe und endlich durch offenen Verrat. Rudolf ist sein Gegenbild: ein Mann strenger Pflichterfüllung, nüchtern, einfach, fast spießbürgerlich, doch durch trockenen Humor seinen Geist verratend. Zawisch von Rosenberg ist der Träger der Intrige: ein Gemisch aus Hochmut und Kriecherei, von Kälte und tief verborgener Leidenschaft.
Nach mehrmaliger Aufführung am Burgtheater führten ungünstige kritische Stimmen und nationale Empfindlichkeiten zur Absetzung vom Spielplan. Die Gegenwart hat kein Interesse mehr an der einstigen Tendenz des Stückes. Um so reiner kann daher die große dichterische Bedeutung dieses Werkes gewürdigt werden. Mit seiner Lobrede auf Österreich durch Ottokar von Horneck dient es auch heute immer wieder für vaterländische Feiern.
"Es ist ein gutes Land,
wohl wert, daß sich ein Fürst sein unterwinde!
Wo habt Ihr dessetgleichen schon gesehn?
...
O gutes Land! O Vaterland! Inmitten
dem Kinde Italien und dem Mann Deutschland
liegst du, der wangenrote Jünglich, da;
erhalte Gott dir deinen Jugendsinn,
und mache gut, was andere verdarben!" (III. Akt)
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