In dieser Geschichte stehen sich Vater und Sohn wie zwei Duellanten gegenüber. Der Sohn scheint der
Überlegene zu sein. Er hat den alten, verwitweten Vater praktisch entmachtet, er hat die Leitung des Geschäftes
übernommen und Erfolg gehabt. Er hat sich verlobt, bereitet sich also darauf vor, sich auch im privaten Bereich
die Rolle eines Familienoberhauptes anzueignen. Georg Mendemanns Illusionen werden zerstört. Sein Vater
erweist sich als immer noch "zu stark" für ihn, er ist "immer noch ein Riese". Als einen solchen Riesen hat Kafka
sich oft den eigenen Vater vorgestellt.
Die Geste des Hochhebens und Tragens kommt auch in Das Urteil vor. Nur ist es hier der Sohn, der sie ausführt
und den anderen in das Bett hineinträgt, so wie man es mit einem kranken Kind macht. Gerade auf dem
scheinbaren Höhepunkt seines Triumphes angelangt, wird der Sohn mit einigen wenigen Schlägen vernichtet. Er
wird angeklagt und kann sich mit Worten nicht verteidigen. Auch hier führt ein Linie zu Kafkas Erlebnissen mit
dem eigenen Vater zurück: "Die Unmöglichkeit des ruhigen Verkehrs hatte noch eine weitere eigentlich sehr
natürliche Folge: ich verlernte das Reden. Ich wäre ja wohl auch sonst kein großer Redner geworden, aber die
gewöhnlich fließende menschliche Sprache hätte ich doch beherrscht. Du hast mir aber schon früh das Wort
verboten. Deine Drohung: "kein Wort der Widerrede!" und die dazu erhobene Hand begleitete mich seit jeher."
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Der leibliche Sohn wird verdammt. Georg Bendemann vollzieht das Urteil an sich selbst, er ist zu schwach, um
dem Spruch des Vaters zu widerstehen. Er ist nicht wirklich schuldig, aber in ihm ist Schuldbewußtsein erzeugt
worden.
Franz Kafka - Sein Leben und seine Werke
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