Venedig von Friedrich Nietzsche
An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik-
Trunken schwamm's in die Dämm'rung hinaus...
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu ?...
"Venedig" von Friedrich Nietsche ist ein typisch impressionistisches Stadtgedicht. Nietzsche beschreibt die Stadt der Gondolierris mittels Momentaufnahmen. Er bedient sich vor allem auch der Kraft der Farben um ein Stimmungsbild zu erzeugen. Das Versmaß dieses Gedichtes entpricht nicht den bekannten Normen. Das Gedicht ist weiters in keinem festen Reimschema verfaßt. Nur 4 Strophen bilden reine Reime: "An der Brücke stand / Fernher kam Gesang", "Heimlich ein Gondellied dazu / - Hört jemand ihr zu ?". Nietzsches Gedicht "Venedig" ist wie bereits erwähnt eine Beschreibung der Stadt der Gondolierris beruhend auf einer einzigen (kurzzeitigen / momentanen) Beobachtung des Dichters selbst. Nietzsche wollte die Atmosphäre der Lagunenstadt vermitteln und nicht eine ihrer unzähligen Sehenswürdigkeiten beschreiben wie wir sie in Stadtgedichten aus früheren Gedichten finden. Allerdings bildete "Venedig" bzw. die gesamte impressionistische Großstadtlyrik eine "Durststrecke" der Großstadtlyrik , die ja eigentlich eine soziale Dichtung war. Der größte Unterschied zwischen Nietzsches impressionistischem Gedicht und Großstadtgedichten aus anderen Stilrichtungen ist, daß es auf der Erfahrung eines einzelnen beruht und nicht auf denen der Masse der Bevölkerung (bzw. der Unterschicht).
"Venedig" handelt von Nietzsches subjektiven Gefühlserfahrungen in Venedig. Er beschreibt in der ersten Strophe seine Beobachtungen von dem Zusammenspiel von Wasser, Gondeln, Lichtern und Musik von einer Brücke aus, Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-7): "An der Brüche stand jüngst ich in brauner Nacht. Fernher kam Gesang: Goldener Tropfen quoll's über die zitternde Fläche weg. Gondeln, Lichter, Musik - trunken schwamm's in die Dämmerung hinaus..." Die zweite Strophe zeugt von den Auswirkungen dieser Beobachtungen auf die Seele des Künstlers, Zitat (Zeile 1-4): "Meine Seele, ein Saitenspiel, sang sich, unsichtbar berührt, heimlich ein Gondellied dazu, zitternd vor bunter Seligkeit..." . um die Wechselwirkungen des Lichtes auf das Wasser zu vermitteln, Zitat ( Zeile 4-5): "Goldener Tropfen quoll's über die zitternde Fläche weg", verglich Nietzsche die Reflektionen des künstlichen Lichtes auf dem Wasser mit Goldenen Tropfen und setzte das Wasser gleich einer zitternden Fläche. Der "Rausch" der verschiedenen Effekte bzw der Worthäufung Zitat (1.Strophe, Zeile 6): "Gondeln, Lichter, Musik" treibt dann ab in die Weiten der Dämmerung "Trunken schwamm's in die Dämm'rung hinaus...". Die Seele des einsamen Beobachters (Nietzsches selbst) personifiziert der Dichter mit einem Saitenspiel "Meine Seele, ein Saitenspiel". Seine heimliche Ergriffenheit schildert der Dichter als "heimliches Gondellied" und weiters beschreibt er die "Berührung" seiner Seele als ihr Zittern "vor bunter Seligkeit". Obwohl er die Auswirkungen der Beobachtungen auf ihn als heimlich ansieht stellt er in der letzten Zeile die Frage: "- Hört ihr jemand zu? " Diese Frage läßt darauf schließen, daß seine Ergriffenheit erst dann von wenig Bedeutung war, wenn niemand da war mit dem er sie hätte teilen können. Aber da er sein Gefühlserlebnis ja auf Papier brachte erübrigt sich die Frage eigentlich. Allerdings nützt es dem Dichter wenig wenn wir jetzt Interesse an seinen Gefühlen zeigen, seiner Seele aber damals niemand "zuhörte".
Mir gefällt das Gedicht sehr gut da er seine subjektiven Gefühle in einem bestimmten Moment ausgezeichnet schildert. Außerdem gefällt mir die Tatsache das Nietzsche der Inhalt des Gedichtes anscheinend wichtiger war als dessen Form ( kein Versmaß etc.).
Ich denke der Dichter wollte eigentlich nur seine Gefühle vermitteln bzw. sein subjektives Stimmungsbild dieser Nacht in Venedig zeichnen.
|