Die NS-Prozesse
In NS-Prozessen wurde viel Material zutage gefördert, bei dem sich die deutsche Gesellschaft wie in einem schmerzhaften Brennspiegel wiederfand und dabei die später vielberufene "Banalität\" der Täter entdeckte. Die juristische Aufarbeitung vermochte aber kaum einmal das Gefühl nachträglicher Gerechtigkeit zu erzeugen. Wenn überhaupt nach langwierigen Verfahren Urteile gefällt wurden, kam es zu Strafbemessungen, die oft genug als eine "Verhöhnung der Opfer\" empfunden wurden. Gesellschaftliche Ursachen blieben in den Verfahren weitgehend ausgeblendet.
Analphabetismus
Als in den westlichen Gesellschaften das Phänomen des \"funktionalen Analphabetismus\" bekannt wurde (trotz Schulbesuchs zu geringe schriftsprachliche Kenntnisse, um den Anforderungen der eigenen Kultur gerecht zu werden), geriet der Glaube in die gleichsam automatische Alphabetisierungsfunktion des Schulunterrichts ins Wanken. Im Zug der zunehmenden Mediatisierung der Industriegesellschaften ausgangs des 20. Jahrhunderts befürchten kulturpessimistische Stimmen nicht nur in der Schweiz das Absinken der Lese- und Schreibfertigkeit (v.a. bei der heranwachsenden Jugend) und deren allmähliche Substitution durch die Fähigkeit, mit elektronischen Bildern besser als mit Texten umgehen zu können.
1989 betrug die Zahl der funktionalen Analphabeten in den westlichen Industrieländern laut UNO-Angaben ca. 5%. Im Internat. Alphabetisierungsjahr der UNO (1990) schätzte die UNESCO die Zahl der funktionalen Analphabeten in der Schweiz -- bei einer vermutlich hohen Dunkelziffer -- auf gegen 30\'000. Gemäss einer OECD-Studie besassen 1995 in der Schweiz 13-19% der Erwachsenen zu geringe Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten, um den Erfordernissen der Arbeit und des Alltags zu genügen. Der 1985 gegründete Verein \"Lesen und Schreiben\" bemüht sich in der deutschen, französischen und italienischen Schweiz um eine Verringerung dieses als hoch eingestuften Anteils an funktionalen Analphabeten. Von den Behörden z.T. unterstützt, aber grossenteils noch von wohltätigen Zuwendungen Privater abhängig, führt der Verein Kurse und Aktionen durch, welche das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit und in der Verwaltung fördern sollen. 1996 stellte er fest, dass zahlreiche Besucher seiner Kurse unter einem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch kulturellen Ausschluss litten.
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