Orwells "Nineteen Eighty-Four" gilt wohl neben Alois Huxleys "Brave New World" als das beste Beispiel für die klassische Dystopie unseres Jahrhunderts. Sein Werk zeigt den Menschen einem staatlichen Machtapparat ausgeliefert, dessen allgegenwärtiger Repräsentant der "Big Brother" ist. Der Protagonist, Winston Smith, ist selber Parteimitglied und wechselt vom systemkonformen Bürger langsam zum "subversiven Element". Er sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, seinem Hass gegen das System Ausdruck zu verleihen und nach Gleichgesinnten zu suchen.
Als er durch Zufall Julia, eine junge Frau mit gleicher politischer Einstellung kennenlernt und von einer angeblichen Untergrundorganisation in Form eines (Partei-)Vorgesetzten kontaktiert wird, beginnt für ihn eine Phase der Hoffnung und der Umsturzpläne. Leider erweist sich die angebliche Kontaktperson als Falle der Partei, Smith und Julia werden verhaftet, getrennt, gefoltert und als völlig gebrochene Personen wieder in die Freiheit entlassen. Nach einer kurzen Zeit des freien Lebens in der Apathie wird Smith auf offener Straße hingerichtet.
George Orwell (ursprünglich Eric Arthur Blair) wurde 1903 in Motihari auf den Bengalen geboren. Er besuchte die bekannte Schule von Eton, ging aber, statt die Universität zu besuchen, nach Birma, um dort Polizist zu werden. Er beschrieb das Koloniale Beamtentum in "Burmese Days" später als "ausbeuterisch, hysterisch und korrumpiert". 1928-29 lebte er in Paris und London, wo er sich als Tellerwäscher und Landstreicher durchschlug. Im spanischen Bürgerkrieg kämpfte er gegen Franco.
Das durchgehende Thema in Orwells Werken ist die Erniedrigung von Menschen durch totalitäre Systeme, ob in der Politik oder in der Gesellschaft. Orwells bekanntestes Werk neben "1984" ist die berühmte Gesellschaftssatire "Animal Farm".
Das Faszinierende an Orwells Roman ist sicherlich die dichte, äußerst bedrückende Atmosphäre. Es herrscht die totale Überwachung und Kontrolle durch den Staat, der sich modernster Technik bedient, Ideologische Gleichförmigkeit mit überall präsenten Symbolen wie dem "großen Bruder" und die Menschen stehen mit einer geisterhaften weil freiwilligen Begeisterung hinter dem System, das sie eigentlich offen ausbeutet und verhöhnt.
In "1984" als Dystopie wird auf erschreckende Weise gegen den Menschen gewendet, was in den klassischen Utopien zu seinem Wohl arbeitet: der Staat und die Technik. "Ozeanien", der fiktive Staat in "1984" ist zum reinen Selbstzweck geworden, der mit haarsträubenden Ideologien und fiktiven Kriegen die katastrophalen Zustände (geschildert wird London) rechtfertigen muß. Die Welt ist hochtechnisiert, wie man an der Überwachungstechnik sehen kann, aber die Menschen haben nicht einmal genügend Rasierklingen. Da es nur drei Superstaaten gibt, die sowieso keine Kriege mehr führen können, ohne sich gegenseitig auszulöschen, führt man verheerende Raketenangriffe auf das eigene Land durch, um den Glauben an fiktive Konflikte zu belegen, die rückwirkend das Vertrauen auf den eigenen Staat stärken sollen.
Die ideologische Verblendung der Leute ist vollkommen, die Denunziation blüht und die Menschen freuen sich über jede ebenso fiktive Erfolgsmeldung ihrer Autorität, des großen Bruders. Währenddessen versucht das "Ministerium für Wahrheit" die Fakten zu vertuschen, indem alle Aufzeichnungen über die Vergangenheit "angepaßt" werden, um jeden Versuch der Beweisführung gegen das System zu unterminieren, sogar Smith zweifelt an seinen Zweifeln ("Doublethink") bis er in den Besitz eines Dokuments kommt, das eine politische Hinrichtung zweifelsfrei belegt. Parallel wird auch versucht, die Sprache so weit zu manipulieren und zu reduzieren ("Newspeak"), um mögliche Revolten im Vorfeld zu neutralisieren, indem man einfach die nötigen Worte abschafft.
Besonders der Teil von der Verhaftung Smiths bis zu dessen Erschießung ist für den Leser niederschmetternd, weil immer klarer wird, daß die Entwicklung keinen anderen Schluß als Smiths Tod zuläßt, doch diese Determiniertheit wird noch verschlimmert, da der Beamte, der mit seiner "Behandlung" beauftragt ist, großen Wert darauf legt, daß Smith das apathische Vertrauen in den "großen Bruder" vor seiner Exekution wiedergewinnt.
Genau wie das Werk von Daniel Defoe ist "1984" nur ein Zeugnis seiner Zeit. Nachdem man den zweiten Weltkrieg überstanden hatte, wuchs nun offensichtlich nach der Erfahrung mit den Nazis die Angst vor übermächtigen Ideologien, namentlich dem Kommunismus.
Die gleichförmigen Massen in blauen Parteiuniformen, die in festem Vertrauen zu ihrer Ideologie Feindbilder akzeptieren und die fortschreitende Technologie im Waffensektor sollen ganz offensichtlich an die UDSSR oder das China der Fünfziger Jahre erinnern. "Nineteen Eighty-Four" ist ein Produkt des aufkommenden kalten Krieges und in seiner Funktion, die es später selber in der Ideolgiebildung einnahm, sehr fragwürdig, bleibt aber neben "Brave New World" sicherlich die faszinierendste Dystopie.
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