Ernst Ludwig Kirchner ist die herausragende Künstlerpersönlichkeit des deutschen Expressionismus, einer Kunstrichtung des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts (ab ca. 1905). Auf seine Initiative hin wurde am 7. Juni 1905 in Dresden die Künstlergruppe "Die Brücke" gegründet, deren Mitglieder neben denen des "Blauen Reiter" (1911) sowie Malern wie Oskar Kokoschka und Emil Nolde zu den maßgeblichen Vertretern dieses neuen, vom offiziellen Kunstbetrieb anfangs wenig geachteten Stils gehörten.
Erreichten die Impressionisten die Grenze der objektiven Realität, so versuchten die Expressionisten die irreale, phantastische Welt des Unterbewussten, der Träume und des Alogischen hinter den Phänomenen zu ergründen und darzustellen. Man überschritt die Grenzen des Wachseins, suchte nach verdrängten Gedanken und unterbewußten Gefühlen und bannte sie auf die Leinwand. "Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar", sagte einmal Paul Klee.
Der expressionistische Malstil zeichnet sich durch eine von subjektiven Gefühlsempfindungen dominierte starke Farbigkeit aus sowie einen zur Abstraktion und Vereinfachung tendierenden Hang zum perspektivisch Verzerrten.
Biographie:
1880 E. L. Kirchner wurde am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg als Sohn von Ernst und Maria Elise Kirchner geboren.
Familienbild
(S.194)
1882-90 Wegen des Berufes Ernst Kirchners, er war Chemiker und einer der bedeutendsten Fachleute auf dem Gebiet der industriellen Papierindustrie, zog die Familie 1882 nach Frankfurt am Main, 1887 in die Schweiz nahe bei Luzern und schließlich 1890 nach Chemnitz, wo der Vater an der Gewerbe-Akademie einen Lehrstuhl für Papierforschung erhielt.
1901 Das Photo (vermutlich 1904) zeigt Ernst Ludwig, seine beiden jüngeren Brüder, sowie die Eltern. Deutlich erkennt man den für das strebsame Bürgertum der Jahrhundertwende charakteristischen Habitus aus Ordentlichkeit und Strenge. Von hier aus brach Kirchner 1901 auf, um in Dresden Architektur zu studieren.
1901-11 Die Dresdner Zeit
1901-05 Während des Studiums von 1901-05, das nur als Vorwand diente, um seiner künstlerischen Neigung nachgehen zu können, lernte er Fritz Bleyl, Erich Heckel sowie Karl Schmidt-Rottluff kennen, die aus ähnlichen Interessen wie er selbst Architektur studierten.
Öffentlich trat Kirchner zu dieser Zeit jedoch noch nicht als Künstler auf, auch wenn er schon sehr viel zeichnete und malte. Das Wintersemester 1903-04 verbrachte er in München, wo er das private "Lehr- und Versuchsatelier für Angewandte und Freie Kunst" besuchte. Dort kam er mit Werken Dürers und Rembrandts in Berührung, die ihn tief beeindruckten. Am 7. Juni 1905, drei Wochen vor Kirchners Diplomprüfung, verkündeten er sowie die schon genannten Bleyl, Heckel und Schmidt-Rottluff die Gründung der "Brücke". Kirchner war dabei sicher die treibende Kraft, in der Gruppe ergänzten sich die Vier in ihren künstlerischen und organisatorischen Fähigkeiten aber sehr gut. Der autodidaktische Weg zur Kunst wäre für jeden einzeln wohl sehr viel mühevoller gewesen.
Nacktes Mädchen mit Zweigschatten, 1905 37x30cm
(S.6)
Das 1905 entstandene Bild Nacktes Mädchen mit Zweigschatten zeigt Kirchners künstlerischen Entwicklungsstand kurz nach der Gründung der Künstlergruppe. In neoimpresionistischer Weise ist das Licht- und Schattenspiel auf dem Frauenkörper in Malerei umgesetzt.
1906-11 Das 1906 von den "Brücke"-Künstlern veröffentlichte "Programm" der "Brücke" zeigt sehr deutlich die Kraft, die die Gruppe gab: "Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohl angesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt."
In diesem Jahr konnte die "Brücke" auch neue Mitglieder gewinnen: Emil Nolde, der 1907 jedoch schon wieder austrat, da ihm der kollektive Geist einer Künstlergruppe nicht behagte, sowie Max Pechstein und den Schweizer Cuno Amiet, der ein Bindeglied zur französischen Kunst darstellte. Andere wie Zijl (1906) und Gallén-Kallela (1907) gehörten der Gruppe nur nominell an und hatten keine Bedeutung.
Im September fand die erste Kollektivausstellung der "Brücke" in den Schauräumen einer Dresdner Lampenfabrik statt.
Es erschien auch die erste von insgesamt sieben Jahresmappen mit Holzschnitten von Kirchner, Heckel und Bleyl für die passiven Mitglieder, die geworben wurden, um das öffentliche Interesse zu wecken und eine finanzielle Grundlage zu schaffen (Jahresbeitrag: 12 Mark).
In den ersten vier Jahren von 1905-08 war die künstlerische Entwicklung von Kirchner und den anderen von einer Auseinandersetzung mit der internationalen Moderne bestimmt, besonders mit den neuesten Positionen der französischen Kunst, den Neo- und Postimpressionisten. Die Anregungen kamen jeweils durch Ausstellungen, die die Künstler in Dresden und Berlin besuchten. An der Spitze aller Einflüsse standen die Pointillisten Georges Seurat und Paul Signac mit einer sehr systematischen Farbmalerei und noch stärker Vincent van Gogh mit seiner Ausdruckshaftigkeit. Er wurde in Dresden 1905, 1906 und 1908 ausgestellt. Bilder der Pointillisten waren im November 1906 zu sehen.
Weitere wichtige Anregungen waren Ausstellungen von Emil Nolde, Cuno Amiet, Gustav Klimt sowie Werke französischer "Fauves".
(Les Fauves
(französisch: die Wilden), Gruppe von Malern, die sich erstmals im Pariser Herbstsalon 1905 um Matisse zusammenfanden und 1906 im Salon des Independants ausstellten. Sie erregten Aufsehen und Kritik und wurden wegen ihrer ungebärdigen Farbensprache mit dem Beinamen >>Les Fauves |