W. Borchert hatte dem Titel seines Dramas den Zusatz gegeben: "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will". - Damit hatte er seine Wirkung unterschätzt; denn sein Werk erfuhr in zahlreichen Aufführungen, Hörspielen, Kommentaren ein äußerst lebhaftes Echo.
Mit seinem Stück verurteilt Borchert die zerstörerische und nicht berechenbare Macht des Krieges mit der unendlichen Zahl sinnlos gemordeter Soldaten und Zivilopfer.
Der Dichter Heinrich Böll kommentiert das so: "Die Wahrheit Borcherts ist, dass beide Schlachten, die gewonnene und die verlorene, Gemetzel waren.....".
Mit B. Satz: "Sie halten ihren Posten unbedingt bis zuletzt!" verweist Borchert auf die unsinnigen Durchhalteparolen des Naziregimes während der letzten Kriegsmonate, in denen man, obwohl der Krieg bereits als verloren galt, zahllose - auch junge - Soldaten noch in den Krieg geschickt und "verheizt" hatte.
Seinen Protest richtet Borchert auch gegen die körperliche und seelische Zerstörung sowie das Hungern und Frieren der Soldaten und Heimkehrer. Besonders die Einsamkeit und Heimatlosigkeit wird in der Gestalt Beckmanns verdeutlicht, der für die unzähligen Soldaten steht, die enttäuscht und gebrochen aus dem Krieg zurückkehrten. Hierzu gehört auch der EINBEINIGE.
Das Leid trifft aber auch die Daheimgebliebenen: die verlassenen Frauen, die zerstörten
Ehen und Familien - im Drama dargestellt durch B. Frau und das Mädchen.
Protest richtet er vor allem gegen den OBERST, der die Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit der verantwortlichen Kriegstreiber verkörpert.
Aber auch die vielen sogenannten Unbeteiligten klagt er an. So den Kabarett-Direktor mit seiner Schuldabweisung: "Ich habe schließlich keinen nach Sibirien geschickt. Ich nicht." Und Frau Kramer, die ihn - so wörtlich: "mit einer gleichgültigen, grauenhaften, glatten Freundlichkeit, die furchtbarer ist als alle Roheit und Brutalität" empfängt und der das Gas wichtiger ist, als ein Menschenleben:
"Von dem Gas hätten wir einen ganzen Monat leben können".
Niemand will sich für den Krieg verantwortlich fühlen und jeder will ihn so schnell wie möglich verdrängen und vergessen. So fordert der Oberst B. auf, einen alten Anzug von ihm anzuziehen, damit er wieder normal aussehe.
Auch der Kabarett- Direktor und Frau Kramer sprechen B. auf die Gasmaskenbrille - ein unbequemes Kriegsandenken - an, er solle sie wegwerfen, der Krieg sei doch vorbei.
Dazu zählt auch der Kabarett-Direktor, der gesagt hatte: "Mit der Wahrheit kommt man nicht weit" sowie der Oberst mit der "guten deutschen Wahrheit". Beide wollen sie von der Wahrheit nichts wissen, da sie zu unbequem ist und sie damit ihre Mitschuld eingestehen müssten.
Letztlich trägt jeder, der am Geschehen teilnimmt, auch Mitverantwortung und Mitschuld. Der EINBEINIGE sagt: "Wir werden jeden Tag ermordet und jeden Tag begehen wir einen Mord. Wir gehen jeden Tag an einem Mord vorbei." Sogar B. selbst wird durch den Vorwurf des EINBEINIGEN zum "gemordeten Mörder".
Borchert richtet seinen Protest zugleich gegen Gott, der als weinender, jammernder, hilfloser alter Mann auftritt. Er, "an den keiner mehr glaubt" und "um den sich keiner mehr kümmert", kann nichts mehr bewirken oder verändern und hat alles zugelassen.
B. klagt Gott an: "Oh, wir haben dich gesucht, Gott, in jeder Ruine, in jedem Granattrichter, in jeder Nacht. Wir haben dich gerufen. Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott? Wo bist du heute abend? Hast du dich von uns gewandt?" - Und ganz zuletzt wird er von B. abgewiesen:
"Geh weg, alter Mann. Du verdirbst mir meinen Tod".
Der Tod dagegen - anfangs verkörpert im Beerdigungsunternehmer, später im Straßenfeger - ist für B. ein Befreier und Erlöser:
"Eine Tür, eine genügt. Und die läßt er offen, hat er gesagt, für mich, für immer, jederzeit. Eine Tür".
Borchert bringt jedoch auch die positive Seite des Menschen zum Ausdruck - dargestellt durch den Anderen, den Jasager. Er ist die Lichtseite B., das gute "ICH" in ihm, das B. immer wieder ermutigt und auf ihn einredet, weiterzuleben - so wörtlich:
"Das Leben wartet mit tausend Laternen und tausend offenen Türen".
Der Andere steht für alle Menschen, die trotz Enttäuschungen, Leiden und Schuldgefühlen nicht aufgeben.
Gegen Ende des Dramas lässt Borchert die Hauptfigur Beckmann sagen: "Ein Mann kommt nach Deutschland". Dies sollte eigentlich der Titel des Bühnenstückes werden und so interpretiert Borchert selbst im Prolog: Der Mann ist "Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße. Das ist ihr Deutschland!"
Ich persönlich bin der Meinung, das Werk Borcherts ist auch heute - 50 Jahre später - immer noch aktuell und aussagekräftig. Das zeigen uns die letzten Kriege sehr deutlich. z.B. in Bosnien, im Kosovo, in Ost-Timor und ganz neu in Tschetschenien.
Es gibt auch heute noch die Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit derer, die eigentlich verantwortlich sind, z.B. die Führungskräfte, die beim Zusammenbruch der DDR auf ihrem Posten blieben und von ihrer Mitschuld nichts wissen wollen.
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