Ein weißer Vogel ist der große Himmel.r />
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote Leute.
Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.
In einer Straße stöhnt ein irrer: Du, ach, du-
wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände...
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.
Drei kleine Menschen spielen Blindekuh-
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott.
Alferd Lichtensteins Gedicht "Die Stadt" ist dem expressionistischen Stil zuzuordnen. Es besteht aus vier Strophen und das Versmaß des Gedichtes ist ein Jambus. Alfred Lichtenstein schrieb das Gedicht in dem Reimschema abc/abc/def/def. Allerdings sind dies nicht immer reine Reime: Leute/Häute, Stadt/matt, du/Blindekuh.
Der Expressionismus hatte seine Blütezeit nach dem Ende des 1.WK. Zu dieser Zeit spielte das wachsende Bedrohungsgefühl und die Vorahnung der unvermeidlichen Katastrophe eine große Rolle. Das Gedankengut dieser Ausdruckkunst ist geprägt von der Auflehnung gegen den "schönen Schein" und dem Bruch mit der Tradition. Die Literatur dieser Stilrichtung will nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen ihrer Bemühungen für die Menschheit anerkannt werden. Alfred Lichtenstein beschreibt, ganz in der Manier dieser Stilrichtung, auf eine düstere Art und Weise das Stadtleben, bzw. einige Stadtszenen. Die nach dem Krieg zerstörten Häuser setzt er gleich mit sterbenden Menschen: "Die Häuser sind halbtote alte Leute". Daß, das Elend alle Stadtbewohner betrifft verdeutlicht er mit seinen Beschreibungen von verwahrlosten Tieren: "Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel. Und Winde, magre Hunde, rennen matt. An scharfen Ecken quietschen ihre Häute."
Unter den Stilmitteln des Gedichtes findet sich unter anderem eine Verbmetapher: "Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.". Lichtenstein verwendete auch Personifikationen um seinem Gedicht mehr Ausdruck zu verleihen: "Die Häuser sind halbtote Leute.", "Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott". Lichtenstein bediente sich auch des Stilmittels der Onamatopoesie um die düstere Stimmung zu unterstreichen: "An scharfen Ecken quietschen ihre Häute". Dieser Satz beinhaltet noch ein weiteres Stilmittel nämlich die Hyperbel (Übertreibung). In der letzten Zeile der vierten Strophe wird der Nachmittag mit einem sanft verweintem Gott verglichen, Zitat: "der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott". Die Beschreibung des Gottes als sanft und verweint: "sanft verweinter Gott" ist eine Beschönigung (ein Euphemismus) da das Wort "sanft" die Bedeutung von "verweint" mildert. Im Grunde schildert Lichtensteins die Stadt als aussterbend und zukunftslos, bis auf den kleinen Hoffnungsschimmer verkörpert von dem weißen Vogel in Strophe eins Zitat (Zeile 1): "Ein weißer Vogel ist der große Himmel". Daß dieser weiße Vogel vielleicht sogar eine Allegorie des Friedens ist, ist eine eher freie Interpretation und läßt sich nur auf Grund des Textes auch nicht beweisen. Etwas verwunderlich ist, daß er schreibt, Zitat (4.Strophe, Zeile 1): "Drei kleine Menschen spielen Blindekuh." und nicht "drei Kinder spielen Blindekuh". Man könnte annehmen er spielt darauf an, daß der Krieg die Kinder "reifen" läßt bzw. ihnen ihre natürliche Kindheit raubt.
Albert Lichtenstein wollte mit diesem Gedicht zum Ausdruck bringen welche Trostlosigkeit nach dem 1.WK in den Städten herrschte.
Mir gefällt dieses Gedicht auf Grund seines "bedrohlichen - trostlosen" Inhalts nicht, dennoch bin ich von Lichtensteins Kunst die Atmosphäre der Stadt zu vermitteln beeindruckt.
|