Kafka entwickelte eine editorische Idee, die er seinem Verleger am 11. April 1913 in einem Brief vortrug. "Mir liegt eben an der Einheit der drei Geschichten nicht weniger als an der Einheit einer von ihnen", denn: "es besteht zwischen ihnen eine offenbare und noch mehr eine geheime Verbindung, auf deren Darstellung durch Zusammenfassung in einem etwa "Die Söhne" betitelten Buch ich nicht verzichten möchte." Alle 1912 entstandenen Geschichten bezeichnen den vergeblichen Kampf der Söhne gegen den Väter.
2.1. "Das Urteil"
(aus "Die Söhne")
In dieser Geschichte stehen sich Vater und Sohn wie zwei Duellanten gegenüber. Der Sohn scheint der Überlegene zu sein. Er hat den alten, verwitweten Vater praktisch entmachtet, hat die Leitung des Geschäftes übernommen und Erfolg gehabt. Er hat sich verlobt und bereitet sich darauf vor, sich auch im privaten Bereich die Rolle eines Familienoberhauptes anzueignen. Georg Mendemanns Illusionen werden zerstört. Sein Vater erweist sich als immer noch "zu stark" für ihn, er ist "immer noch ein Riese". Als einen solchen Riesen hat Kafka sich oft den eigenen Vater vorgestellt.
Gerade auf dem scheinbaren Höhepunkt seines Triumphes angelangt, wird der Sohn mit einigen wenigen Schlägen vernichtet. Er wird angeklagt und kann sich mit Worten nicht verteidigen. Auch hier führt ein Linie zu Kafkas Erlebnissen mit dem eigenen Vater zurück:
"Die Unmöglichkeit des ruhigen Verkehrs hatte noch eine weitere eigentlich sehr natürliche Folge: ich verlernte das Reden. Ich wäre ja wohl auch sonst kein großer Redner geworden, aber die gewöhnlich fließende menschliche Sprache hätte ich doch beherrscht. Du hast mir aber schon früh das Wort verboten. Deine Drohung: "kein Wort der Widerrede!" und die dazu erhobene Hand begleitete mich seit jeher."
Der leibliche Sohn wird verdammt. Georg Bendemann vollzieht das Urteil an sich selbst Er ist zu schwach, um dem Spruch des Vaters zu widerstehen. Er ist nicht wirklich schuldig, aber in ihm ist Schuldbewusstsein erzeugt worden.
2.2. "Der Heizer"
(aus "Die Söhne")
Karl scheint gut gerüstet zu sein, im mythischen Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein neues Leben zu beginnen. Aber "schuldlos" bedeutet auch so viel wie naiv und unerfahren. Wegen eines vergleichsweise wertlosen Regenschirms, gibt er seinen Koffer preis, der seine ganze materielle Habe enthält. Er verirrt sich in dem riesigen Schiff, so wie sich im Märchen ein Kind im Wald verläuft. Er muss bei einem Erwachsenen Hilfe suchen. Dieser, der Heizer, ist ein "riesiger Mann", der das Kind sofort ins Bett beordert. Aber Karl besteht die Kraftprobe gegen diese Vaterfigur, denn angesichts seiner Vorgesetzten wird der Heizer selber zum Kind, das sich nicht verteidigen kann, weil es nicht gut genug reden kann. Für einen kurzen Augenblick werden die Rollen vertauscht. Der Heizer wird zu Karls Schützling. Der Onkel ist es dann der, der diesen Emanzipationsversuch zu nichte macht. Karls Rede verwirrt sich, als er den ihm noch unbekannten Mann das erste Mal sieht. Als er dann die Anerkennung ausgesprochen hat, "Du bist mein Onkel", wird ihm sofort alles genommen, was er besitzt: seine Freiheit und der Freund. Am Ende der Geschichte verlässt Karl, weinend wie ein kleiner Junge an der Hand des Onkels, das Schiff. Auch diese Geschichte endet also mit der Niederlage des Sohnes.
2.3. "Die Verwandlung"
(aus "Die Söhne")
Die Verwandlung ist das Resultat einer Krise. Die Arbeit, an dem mit großen Hoffnungen begonnenen Roman, schritt nicht mehr voran. Der Konflikt mit der Familie hatte sich zugespitzt. Auch dieser Text ist ein Versuch, sich zur Wehr zu setzen, ein Versuch, der wesentlich aggressiver ausfällt als alle vorangegangenen. Wenige Tage bevor er mit der Arbeit an der Geschichte begann, berichtete Kafka Felice über sein Verhältnis zu seiner Familie: er nennt seine jüngste Schwester, Ottla, seine "beste Prager Freundin", erwähnt auch die beiden anderen Schwestern als "teilnehmend und gut", um dann mit der Bemerkung zu schließen:
"Nur der Vater und ich, wir hassen uns tapfer".
Etwas von diesem "Hass" ist in der Erzählung spürbar. Die Andersartigkeit des Sohnes ist über Nacht deutlich zu tage getreten. Er hat sich in ein ungeheures Ungeziefer, in einen Parasiten, verwandelt. Gregor Samsa liegt zur Untätigkeit verdammt in seinem Zimmer. Seine Rolle ist die eines Beobachters. Er prüft die Familie. Prüft, ob sie es dazu bringen, ihn in seiner Andersartigkeit zu tolerieren und zu akzeptieren.
Kafka hat für die Niederschrift dieser Geschichte ein eigenes Heft benutzt, in das er auch später keine anderen Texte mehr eintrug. Die Erzählung hat den Charakter einer Anklageschrift. Der schreibende Sohn, den der Vater in die Rolle eines erfolgreichen Geschäftsmanns drängen will, bekennt sich dazu, dass er einen anderen Sinn im Leben sieht.
Die Familie ist nicht dazu bereit, den Parasiten Gregor zu dulden. Der Vater benimmt sich von allem Anfang an feindselig, fügt dem Sohn schließlich sogar eine lebensgefährliche Verletzung zu. Die Mutter setzt Gregor immer wieder den Angriffen des Vaters aus. Die Schwester, auf die Gregor die größten Hoffnungen setzt, versucht ihm zunächst zu helfen, lässt ihn aber im Stich, als ihre eigene Existenz durch ihn bedroht wird. Sie ist es sogar, die am Ende die Initiative ergreift und beschließt, dass jenes ekelhafte "es" endlich "weg muss", sie spricht also den Urteilsspruch aus.
2.4. "Der Prozeß"
Der Roman ist als eine Art Strafphantasie zu sehen: Am Vorabend seines einunddreißigsten Geburtstages wird Josef K. umgebracht (am Vorabend seines einunddreißigsten Geburtstages entschließt sich Kafka, nach Berlin zu fahren, um das Verlöbnis mit Felice zu lösen). "Der Prozeß" ist sehr deutlich auf die Erzählung vom Torhüter hin gearbeitet. Es ist nicht nur eine der berühmtesten Erzählungen Kafkas, sondern sie war dem Autor auch eine der liebsten.
Alles, das Gericht betreffende, ist von den üblichen Normen abweichend, scheint keinen Sinn zu ergeben und verworren zu sein. Die überfallsartige Verhaftung, ohne K. jedoch in Gewahrsam zu nehmen, die Verhandlung in einer umgebauten Wohnung an einem Sonntag Morgen. Allem diesen versucht sich K. entgegenzustellen und mit seiner Redekunst und Handlungsweise das Gericht zu entmächtigen, geradezu ins Lächerliche zu ziehen. Doch der komplizierte Apparat ist mächtiger und toleriert Kafka's Verhalten nur in eingeschränktem Maß. Schließlich muss K. einsehen, dass es keinen Sinn hat sich zu wehren, doch es ist zu spät für ihn. Wehrlos und den Tod schon fast erflehend wird er von den Dienern des Gerichts getötet.
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