Es ist anders als sonst. Die Mutter wundert sich, daß Gregor nicht wie üblich zur Arbeit un-
terwegs ist. Ihre Ermahnungen und die Sorge der Familie werden verstärkt durch den Prokuristen von Gregors Firma, der auffällig früh erscheint und Gregor sein Versäumnis deutlich und nachhaltig vorwirft.
Gregor hatte vorher auf seinem Bett gelegen und seine neue Situation als Käfer überdacht. Noch ist er getrieben von Pflichtbewußtsein und dem Wunsch, Erwartungen zu erfüllen. So
mobilisiert er alle Kräfte und es gelingt ihm schließlich, zur Tür zu gelangen und diese
zu öffnen, indem er den Schlüssel mit dem Mund bewegt. Der Mund als Kommunikationsorgan
ist ein Mittel, den Weg zu den Mitmenschen zu finden. Doch Gregors Anstrengung wird nicht
gewürdigt, seine Tierstimme -für ihn völlig verständlich - wird von den anderen nicht verstan-
den. Auch sein Anblick löst Entsetzen und Abscheu, auf seiten des Vaters einen feind-
seligen Ausdruck aus.
Letzterer drängt Gregor gewaltsam in dessen Zimmer zurück. Dabei stößt er Zischlaute aus,
die Gregor als unerträglich empfindet. Ob diese Zischlaute an ein Tier, vielleicht eine Schlan-
ge erinnern, die den Käfer mühelos vernichten kann, oder einfach nur darstellen, daß nicht nur
Gregors Tierstimme von der Familie nicht verstanden werden, sondern auch des Vaters Spra-
che teilweise für Gregor nicht verständlich ist, ist zu überlegen. Eindeutig scheint, daß Gre-
gor den Vater als verständnislosen und mitleidslosen Menschen empfindet, mit dem eine Kom-
munikation nicht möglich ist.
Der Prokurist, der so frühzeitig Gregors Nichterscheinen erkannte und sich darüber beklagte, verschwindet bei dessen Erscheinen schnellstens. Sein rasches Verschwinden demonstriert die Abwendung der Aussenwelt angesichts der Verwandlung. Vom Vater wird Gregor unter Hinzufügung einer blutenden Wunde gefühllos in sein Zimmer zurückgedrängt.
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Nun verbleibt der Käfer Gregor allein in seinem Zimmer. Die Verbindung zur Außenwelt hatte
der Prokurist bereits durch sein Verschwinden gelöst. Auch die Sicht durch das Fenster auf
die Gasse, durch welche Gregor das Geschehen außerhalb passiv beobachtet, wird immer
mehr vernebelt. So reduziert sich Existenz G regors mehr und mehr auf das Leben in seinem
Zimmer.
Obwohl Gregor die Tür mühsam mit dem Mund öffnete, erscheint kein Familienmitglied, um
mit ihm Kontakt aufzunehmen. Lediglich die Schwester erscheint, um ihm Nahrung zu bringen.
Sie bietet ihm zur Auswahl verschiedene, auch unübliche Nahrungsmittel an und zeigt so, daß
sie seine Bedürfnisse herausfinden möchte. Doch sie ist gespalten zwischen dem Wunsch., ihm
zu helfen sowie dem Ekel und Widerwillen gegenüber seiner veränderten Gestalt.
Die Mutter ist trotz gegenteiliger Beteuerungen zu schwach, sich gegen Vater und Schwester
durchzusetzen und Gregor aufzusuchen. Erst auf Aufforderung der Schwester kommt sie ins
Zimmer, um dieses von Möbeln freizuräumen. Dies soll angeblich eine Bequemlichkeit für
den Käfer sein, der sich dann ungehinderter im Zimmer bewegen könne. Doch erkennt die
Mutter, wie auch Gregor es empfindet, daß dieser damit von seiner vorherigen menschlischen
Existenz getrennt wird. Doch sie kann sich nicht gegen das Vorhaben von Gregors Schwester,
das Zimmer auszuräumen, durchsetzen.
Auch Gregor empfindet, daß man ihm nimmt, was ihm lieb ist und zu seinem menschlichen
Leben gehört. Er kommt aus seinem Versteck hervor und preßt sich verteidigend an
das anfangs erwähnte Bild der Dame, das einen Menschen zeigt, der nicht zur Familie ge-
hört und eine Verbindung zur Außenwelt darstellt. Doch als die Mutter ihn, ihren veränderten
Sohn erblickt, fällt sie ihn Ohnmacht. Völlige Hilflosigkeit ist ihre Stellungnahme zur veränder-
ten Situation.
Dem heimkommenden Vater möchte sich Gregor verständlich machen und ihm seine guten Absichten mitteilen. Dabei staunt er, wie der Vater sich verwandelt hat. Aus dem müden zeitungslesenden, auf Unterstützung angewiesenen Kränkelnden ist ein kraftstrotzender Mann
geworden. Er mußte sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen, als Gregor sich in einen Käfer
verwandelte. Nun trägt er die Uniform eines Bankangestellten. Dies bedeutet eine Steigerung
gegenüber der von Gregor ausgeübten Tätigkeit, es bedeutet eine mächtige Stellung, aus der
heraus der Vater auch die Familie bestimmen kann.
Die von Gregor festgestellte Riesengröße seiner Stiefelsohlen zeigt die Furcht des Sohnes,
mit Leichtigkeit von diesen zertreten zu werden. Sie zeigt das Verhältnis zwischen Vater
und Sohn. Die Angriffe, mit denen der nun vitale und erstarkte Vater den Sohn in dessen Le-
bensbereich zurückzudrängen versucht, sind für diesen lebensgefährlich.
Zwar bittet die Mutter den Vater, Gregors Leben zu schonen. Doch zu schwach, um für den
Sohn Partei zu ergreifen und ihn aktiv zu unterstützen, erscheint sie Gregor als mit dem Vater
vereint, als Partei gegen ihn.
Durch einen Apfel, mit dem der Vater ihn trifft, erleidet der Käfer Georg eine schwere Ver-
wundung. Dieser Apfel sitzt als sichtbares Andenken in seinem Fleische und verursacht eine
dauerhafte Wunde. Mit letzter Kraft zieht sich Gregor in sein Zimmer, seinen Lebensbereich,
zurück.
Die veränderte Situation hat nicht nur den Vater aktiv und vital werden lassen. Auch Mutter
und Schwester haben Kräfte entwickelt. Die Mutter näht, die Schwester arbeitet als Verkäuferin und bildet sich fort, um später eine bessere Stellung zu erreichen.
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Dadurch wird Gregors Betreuung vernachlässigt. Schwächer wird seine Position als Familien-
mitglied, stärker wird die Betonung der Nutzlosigkeit gegenüber der Aktivität der anderen.
Gregors Wunde schmerzt, denn auch die Mutter verlangt jetzt abends das Schließen der Tür.
Das Essen wird dem Ungeziefer Gregor - der sowieso an Appetitlosigkeit gegenüber der
üblichen Nahrung leidet - nunmehr flüchtig hingestellt, das Zimmer verschmutzt, eine alte Be-
dienerin betreut Gregor, den sie als alten Mistkäfer bezeichnet.
Schließlich wird das Zimmer, anfangs ausgeräumt, um Gregor mehr Bequemlichkeit z u bie-
ten, mit den Möbeln vollgestellt, die man herausräumte, um drei Zimmerherren mit eigenen
Möbeln Platz zu bieten. Es wird zur Rumpelkammer.
Die Zimmerherren bringen nicht nur ihre Möbel aus der Außenwelt mit, sondern auch ihre
Wertvorstellungen. Sie sind ordentlich, sauber, und lehnen jeden Schmutz und jede Abweichung vom Normalen ab.
Die Entwicklung der Handlung zeigt, wie Gregor, der ehemalige Familienernährer, dessen
Bemühungen nicht geschätzt, sondern für selbstverständlich gehalten wurden, nun als nutzloses
Ungeziefer für die Familie zunehmend bedeutungsloser wird. Noch trennt sich die Familie nicht
von dem verwandelten Gregor. Doch die ordentlichen, vitalen Zimmerherren, die die Plätze der
Familie einnehmen, stehen in deutlichem Kontrast zu dem in der Rumpelkammer lebenden, nutzlosen, verwundeten Ungeziefer Gregor, das der Familie zunehmend lästig wird.
Beim Violinspiel der Schwester vor den recht desinteressierten Zimmerherren wagt sich
Gregor aus der eigenen Kammer. Er, der so lange nichts aß, fühlt sich durch die Musik auf dem Wege zur ersehnten Nahrung. So, wie er sich in einen Käfer verwandelte, als er die
Erwartungen der Familie an seine Bereitschaft zur Selbstaufopferung und die Verdrängung der
eignen Bedürfnisse nicht mehr ertragen konnte, so fühlt er nun, der so lange hungerte, daß die Musik Nahrung für ihn ist. Es ist dies die Befriedigung der Bedürfnisse von Geist und Seele, die ihm fehlte. Und so zeigt er sich als Käfer ohne Scheu, getrieben von dem Wunsch, sich der Schwester mitzuteilen.
Empört reagieren die Zimmerherren auf das Ungeziefer. Auch die Schwester spricht nun ihre
Ablehnung klar aus: Gregor ist kein Menschwesen mehr, kein Bruder, das \"es\", das Un-
geziefer muß man loswerden. \"Wenn er uns nur verstände\", sagt der Vater, der niemals eine
Möglichkeit der Verständigung suchte, und so besteht Einigkeit in der Ablehnung des Ungeziefers.
Mit letzten Kräften kriecht Gregor in sein Zimmer zurück. Die Schwester demonstriert die Ab-
lösung vom Bruder durch das Abschließen der Tür. Nun übernimmt Gregor ohne Aufbegehren
die Einstellung, daß es für die Familie am besten sei, dieses nicht nur nutzlose, sondern jetzt
auch schädliche Ungeziefer loszuwerden. Er stirbt einen einsamen Käfertod, nicht vernichtet
von den Riesenstiefeln des Vaters oder der Wunde durch den Apfel, sondern von der Einstel-
lung seiner Familie ihm gegenüber.
Vater, Mutter, Schwester jedoch erstarken. Die Zimmerherren, jetzt nicht mehr nötig, müssen
auf Geheiß des Vaters ihre Stellung wieder der Familie überlassen, auch die Bedienerin soll
gehen.
Auf einem Ausflug entstehen neue Perspektiven und Pläne für die Zukunft, in deren Mittel-
punkt die junge, vitale Tochter steht.
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