Am Ende der revolutionären Nachkriegskrise war kaum vorauszusehen, dass die sozialistische Literaturbewegung binnen weniger Jahre zu einem anerkannten Zentrum des literarischen Fortschritts in Deutschland werden würde. Fast alle Schriftsteller, die während und nach der Novemberrevolution mit der Arbeiterklasse sympathisierten, waren auf bürgerliche Positionen zurückgefallen oder verschrieben sich anarchistischen Ideen.
Da die relative Stabilisierung des Kapitalismus weder die Widersprüche des Imperialismus noch die Krise der bürgerlichen Kultur beseitigte und auf der anderen Seite die erfolgreich voranschreitende Sowjetunion und die sich zur leninistischen Massenpartei entwickelnde KPD Kräfte darstellten, die die reale Überwindbarkeit des Kapitalismus verkörperten, fanden die Schriftsteller bürgerlicher Herkunft und solche aus der Arbeiterklasse zu einer einheitlichen, künstlerischen Schaffensgemeinschaft zusammen, die literarisch fruchtbar wurde und allen Wechselfällen dieser bewegten Epoche standhielt.
Die KPD gewann eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung dieser Schriftsteller. In ihren Reihen oder an ihrer Seite mitzukämpfen bedeutete, einen lebendigen Begriff von der geschichtsschöpferischen Kraft der unterdrückten Masse und einen direkten Zugang zu ihrem Leben zu erhalten. Es bedeutete schließlich, teilzuhaben am kollektiven Erkenntnisprozess jener Partei, die um die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Arbeiterklasse rang.
Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich die Zahl, die zu der kleinen Gruppe sozialistischer Autoren stießen, der um 1924 unter anderen Johannes R. Becher, Wieland Herzfelde, Edwin Hoernle, Berta Lask und Fritz Hampel angehörten. Die "Arbeiterdichter" der Weimarer Republik wollten Sprecher der Arbeiter in einer Welt versöhnter und zu versöhnender sozialer Gegensätze, Vertreter eines "Berufsstandes" in einer meist nationalistisch gefassten "Gemeinschaft" sein, was ganz der Tatsache entsprach, dass die sozialdemokratische Führung die bestehende kapitalistische Gesellschaft verteidigte.
Dass viele der besten und entscheidendsten Vertreter des humanistischen Flügels der deutschen Literatur ihr Leben und ihr Schaffen fest mit dem Sozialismus verbanden, ist ein kulturhistorischer Vorgang von enormer Bedeutung: die revolutionäre Arbeiterklasse schickte sich, dem Beispiel des russischen Proletariats folgend, auch im kapitalistischen Deutschland an, bestimmenden Einfluss auf Literatur und Kunst zu nehmen.
Um 1924 gehörten zu der kleinen Schar kaum bekannter, noch am Anfang ihrer literarischen Entwicklung stehender schreibender Arbeiter, deren Wirken die revolutionären Traditionen der proletarischen Literatur fortführte: Kurt Kläber, Hans Lorbeer, Albert Daudistel, Karl Grünberg, Alexander Abusch, Kurt Huhn und Emil Ginkel. Zu ihnen stießen in den folgenden Jahren ausgeprägte Begabungen wie Willi Bredel, Hans Marchwitza, Adam Scharrer, Ludwig Turek und Wilhelm Tkaczyk. Ihren literarischen Aufstieg verdankten sie in erster Linie der KPD, deren Mitglieder und Funktionäre die meisten waren. Die Partei half ihnen, die Bindungen an die bürgerliche Ideologie, vor allem reformistische und anarchistische Einflüsse, zu überwinden, und vermittelte ihnen die Ideen des Marxismus-Leninismus. Während der Sozialreformismus mit seiner prinzipienlosen Kulturpolitik die Verbürgerlichung vieler Arbeiterdichter mitverschuldet hatte, erwies sich die KPD auch darin, dass sie bereits unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft die reichen kultur- und kunstschöpferischen Potenzen der Klasse zur Entfaltung brachte. Erste Triebkraft ihres Schaffens war, ihrer Partei zu helfen, die werktätigen Massen für den proletarischen Befreiungskampf zu gewinnen. Dabei konnten sie die Grenze der Agitationsliteratur überschreiten und Werke schaffen, die zu realistischen Zeugnissen vom Leben und Kampf des Proletariats in der Weimarer Republik wurde.
Der Zusammenschluss von Schriftstellern, deren soziale Erfahrungen und Schaffensvoraussetzungen zunächst sehr unterschiedlich waren, im "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands" vollzog sich auf der Basis eines gemeinsamen Klassenstandpunktes. Die schriftstellerischen Entwicklungen zeige Vorgänge, die es in der vorangegangenen Geschichte der sozialistischen Literatur in solcher Dynamik, Breite und Konsequenz noch niemals gab. Das betrifft sowohl den Übergang bedeutender humanistischer Schriftsteller bürgerlicher Herkunft auf die Positionen des revolutionären Proletariats als auch die Entwicklung literarischer Begabungen aus der Klasse selbst.
Der raschen Entwicklung der Literatur der Arbeiterklasse lag die bewusste, aus den gesamten gesellschaftlichen und künstlerisch-schöpferischen Erfahrungen erwachsene Entscheidung des einzelnen Schriftstellers zugrunde.
In den Jahren bis 1933 entstand - allen materiellen Schwierigkeiten zum Trotz - ein relativ umfassendes Gefüge kultureller Organisationen und Einrichtungen, deren Existenz für das Voranschreiten der sozialistischen Literaturbewegung von großer Bedeutung war. Dazu gehörten der Arbeiter-Theaterbund, die zahlreichen Agitpropgruppen und die Ensembles revolutionärer Berufsschauspieler, die Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands, der Arbeiter-Sänger-Bund, der Volksverband für Filmkunst sowie die seit 1929 bestehende Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur (IFA) als Dachverband der proletarischen Kulturorganisationen - Vereinigungen, die teils auf Initiative der KPD gegründet, teils im Sinne kommunistischer Politik umgestaltet oder von starken Fraktionen revolutionärer Kulturschaffender beeinflusst wurden.
Die wenigen Ansätze zur organisatorischen Zusammenfassung der revolutionären literarischen Kräfte bis zur Mitte der 20er Jahre hatten die Isoliertheit ihrer Träger nicht aufheben können. Die sozialistischen Literaturschaffenden verfügten über keine ausreichenden Möglichkeiten, in gemeinsamer Diskussion die Prinzipien einer mit der Arbeiterklasse verbundenen Literatur zu erörtern, die Erfahrungen der individuellen künstlerischen Praxis auszutauschen und zu verallgemeinern und so die Grundlagen für eine kontinuierliche Entwicklung zu legen. Sie blieben noch weitgehend den Einflüssen des bürgerlichen Literaturbetriebs ausgesetzt.
Der gegen Becher geführte Hochverratsprozess trug als ein Glied in der langen Kette der Unterdrückungsmaßnahmen gegen die junge proletarisch-revolutionäre Literatur wesentlich zu der Erkenntnis bei, dass sich die sozialistischen Schriftsteller zusammenschließen mussten, um dem permanenten Druck ihrer Gegner standhalten zu können.
Die am 19. Oktober 1928 erfolgte Gründung des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS), der ersten umfassenden Organisation der mit der Arbeiterklasse verbundenen deutschen Schriftsteller, war das wichtigste Ereignis innerhalb des Formierungsprozesses der sozialistischen Literaturbewegung. Mit ihr emanzipierte sich die proletarisch-revolutionäre Literatur endgültig von der linksbürgerlichen Literatur, als deren Anhängsel sie bisher mehr oder weniger gegolten hatte. Sie konstituierte sich zu einer selbstständigen, vom bürgerlichen Kulturbetrieb unabhängigen Bewegung. Der Bund setzte sich das Ziel, "die Ansätze der proletarisch-revolutionären Literatur in Deutschland bewusst weiterzuentwickeln, ihr die führende Stellung innerhalb der Arbeiterliteratur zu verschaffen und sie zur Waffe des Proletariats in der Gesamtliteratur zu gestalten."
Die Konstituierung des Bundes leitete eine neue Entwicklungsphase der deutschen sozialistischen Literaturbewegung ein. Sie ist gekennzeichnet von einem raschen Aufschwung auf allen wesentlichen Gebieten des literarischen Schaffens, der theoretischen Selbstverständigung und des literaturpolitischen Wirkens.
Seine Organisation entwickelte sich schnell; 1930 erfasste sie etwa 350 und 1932 rund 500 Mitglieder, unter ihnen die hervorragenden Vertreter der proletarisch-revolutionären Literatur sowie zahlreiche schreibende Arbeiter, die erst im Kollektiv des Bundes zu profilierten Autoren heran wuchsen. Der Bund dehnte seine Organisation fast über das gesamte Gebiet der Weimarer Republik aus und überwand die lokale Zersplitterung der sozialistischen Literaturbewegung weitgehend.
Die proletarisch-revolutionäre Literatur ging führend voran bei der Eroberung neuer Wirklichkeitsbereiche, sie legte die Widersprüche der imperialistischen Gesellschaft bloß und gestaltete die Perspektive eines sozialistischen, von Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung befreiten Vaterlandes. In ihren besten Werken widerspiegelte sie auf unwiederholbare Weise die heroische Poesie des proletarischen Emanzipationskampfes in diesen entscheidenden Jahren deutscher und internationaler Geschichte. Ihre bedeutendste künstlerische Entdeckung war der neue Typ des proletarischen Revolutionärs, der, geformt durch die KPD, in den Krassenschlachten der Weimarer Republik sine erste große Bewehrungsprobe zu bestehen hatte. In der Reihe der Versuche, diesen Typ zu gestalten und seine humane Substanz zu ergründen, gewann das sozialistische Menschenbild zunehmend klarere und reichere Konturen. Vor dem Hintergrund der Inhumanität des Imperialismus und des moralischen Verfalls der Bourgeoisie trat die historische Bedeutung der neuen menschlichen Züge und Beziehungen, die sich in der revolutionären Arbeiterklasse entfalteten, immer deutlicher hervor.
Oskar Kanehl: "Der Prolet"
Oskar Kanehl bezeichnete sich selbst als Dichter des Proletariats. Er schrieb: "...Meine Gedichte... wollen helfen, die Selbstbewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse vorwärts zu treiben zu dem Ziel der Befreiung der Arbeiterklasse, die das Werk der Arbeiter selbst, als Klasse sein muss." Er war der Meinung, dass es nicht zeitgemäß wäre, von gewaltloser Menschenverbrüderung zu träumen. Deshalb sah er den Sinn in seinen Werken, die Klassengegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die seiner Meinung nach eine revolutionäre Lösung forderten, zu vermitteln.
In seinem Gedicht "Der Prolet" macht er dies auf zugespitzte Weise deutlich. Er zeigt die aktuelle Hierarchie-Ordnung auf und deutet die Macht einer Revolution an. Bewusst benutzt Kanehl keine Namen, sondern bezeichnet den Proleten nur als "Der", um damit zu verdeutlichen, dass es jedem so geht - niemand ausgeschlossen ist - und will somit die gesamte Arbeiterschaft ansprechen. Ebenfalls verallgemeinert er die Bourgeoisie ab dem zwölften Vers mit "er" oder "sie" (Plural). Dabei fiel auf, dass er - bei der Bourgeoisie ebenso wie beim Proletariat - nur die Männer anspricht. Dies kann ich mir nicht als ein bewusst vom Autor eingesetztes Mittel erklären. Die Anapher sowie der Parallelismus der ersten Verse ist nicht zu übersehen. Die trockene Aufzählung der unangenehmen Tätigkeiten (Pflichten) eines "Proleten" soll beim Rezipienten eine immer bewusster und deutlicher werdende Zustimmung erreichen. Der Leser oder Zuhörer soll sich nach der 18. Zeile sagen: "So ist es! So geht es mir!" Der darauf folgende Abschnitt beschreibt die Gleichgültigkeit der Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern um die Revolutionsbereitschaft zu erhöhen und die letzten beiden Verse geben die Lösung des Konflikts.
Damit erfüllt dieses Gedicht voll und ganz die Ziele der proletarisch-revolutionären Literatur: Aufzeigen der unzulänglichen Umstände für die Arbeiterklasse und Aufforderung des Proletariats zum Kampf gegen diese Umstände.
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