Nach der Vertreibung der Marquise aus dem Elternhaus, dies durch die rasende Wut ihres Vaters, vollzieht sich eine wundersame Verwandlung in ihr. Anstatt in ein tiefes Loch zu fallen, in Selbstmitleid zu versinken, reisst sie sich zusammen und bringt sich selbst aus der Misere. Dies ist gut erkennbar dargestellt durch den Satz: \"Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht, hob sie sich plötzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor.\"(S.29, Z.6-9).
Es ist verwunderlich, von einer schönen Anstrengung zu reden, ist doch die Vertreibung aus dem Elternhaus ein sehr tragisches Ereignis. Dieser Ausdruck lässt aber erkennen, mit welchem Stolz die Marquise wohl zum ersten Mal in ihrem Leben dem Vater getrotzt hat, und damit auch der ganzen, durch die Männer dominierten, Gesellschaft. Obwohl ein Kind ohne Vater keine Anerkennung und keinen Respekt erhält, nimmt sie die Last auf sich, alleine damit fertig zu werden. Sie hat zwar ohne Vater und ohne Mann kein Einkommen und dadurch auch keine gesicherte Existenzgrundlage, aber das ist in diesem Augenblick ohnehin nicht wichtig. Sie hat ihre Stärke der ganzen Welt bewiesen, dadurch hat sie einen bedeutenden Schritt in ihrer Entwicklung gemacht und ein grosses Stück Selbstvertrauen gewonnen.
Die Marquise hat sich durch diesen Schritt auch selbst gefunden. Das Schicksal, das ihr so übel mitgespielt hat, lässt sie erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben. Weder die Normen, die ihr durch die Gesellschaft aufgezwungen werden noch die Forderungen, die ihr Vater an sie stellt, sind entscheidend. Die äusseren Einflüsse sind nicht wichtig, sie tragen nicht zur eigenen Verwirklichung bei. Worauf es ankommt sind ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen Vorstellungen vom Leben. Mit sich selbst bekannt werden heisst für die Marquise auch in ihr eigenes inneres zu schauen und dort zu erfahren was sie wirklich will. Mit der Verbannung aus dem Elternhaus, wobei sie aber ihre Kinder mitgenommen hat, obwohl der Vater ihr das Gegenteil befahl, ist ein erster Schritt in ihre eigene Freiheit getan, die Zwänge der Männerdominanz sind zum ersten Mal durchbrochen worden.
Dieser Schritt ist aber für die anderen Menschen weitaus weniger bewegend als für die Marquise selber. So zieht sie sich selbst aus der Tiefe empor und kommt somit mit sich selbst ins Reine. Für den Rest der Welt hat sich aber das schändliche Bild der Marquise wohl kaum geändert. Es dürfte sich eher noch verschlechtert haben, da sie jetzt ohne Vater für ihr Kind und dazu noch ohne Familie ist. Auch das Ende der Geschichte relativiert diesen vermeintlichen Schritt in die Unabhängigkeit, denn schlussendlich wird die Marquise wieder in Abhängigkeit der Männer versetzt. Zum einen, weil sie den Vater des Kindes suchen muss, denn ohne ihn wird ihm das ganze Leben hindurch ein Schandfleck anhaften. Die mütterliche Herkunft reicht nicht aus, denn in einer patriarchalischen, sprich in einer von Männern dominierten Gesellschaft, muss die Abstammung durch eine männliche Linie einordbar sein. Auch die Heirat mit dem Grafen und somit eine erneute wirtschaftliche Abhängigkeit machen ein alleiniges bestehen der Marquise, oder der Frauen allgemein, ausserhalb der gesellschaftlichen Normen unmöglich.
|