In seiner dichterischen Freiheit war Goethe das Vorbild der Stürmer und Dränger gewesen. Persönliche Erlebnisse, wie die Berufung nach Weimar oder die Begegnungen mit der Frau von Stein, leiteten die Wende zur Klassik ein. Beeinflußt durch die Philosophie und Ethik Spinozas, kam es zu besonderen Elementen in der Goetheschen Literatur:
I. Die Forderung der \"Klarheit des Intellekts\", das heißt die Forderung eines vollendeten Menschen, dessen Handeln durch Vernunft bestimmt ist. Dieser Mensch zeichnet sich dadurch aus, daß er intelligent ist, über Allgemeinwissen verfügt und sich seiner Situation (irdisches Leben) bewußt ist. Der Zustand des modernen Menschen ist im Vergleich mit dem griechischen oder antiken Menschen unzureichend, deshalb die Forderung des Rückblicks auf Leistungen der Antike.
II. Wechselverhältnis zwischen Typus und Metamorphose.
Mit Typus ist hier ein Grundzustand, etwas Gleichbleibendes gemeint. Die Metamorphose ist die Wandlung oder Veränderung des Grundzustandes. Diese Veränderung umfaßt sowohl gesell-schaftliche als auch menschliche Veränderungen (Veränderungen des Charakters).
III. Gesetz und Dämon
Mit Dämon ist hier die Vielfältigkeit des menschlichen Charakters gemeint, der von dämonischen, übersinnlichen Kräften bestimmt wird. Dieser Vielfältigkeit (gute und böse Eigenschaften) werden durch das Gesetz (Gesellschaftsordnung, Religion) Verhaltensregeln vorgegeben.
IV. Gesetz und Natur
Die Natur des Menschen sind seine natürlichen, amoralischen Triebe, denen durch bestimmte Gesetze Einhalt geboten wird.
V. Das Leitbild des schönen Menschen
a. organische, physische Schönheit:
Diese Schönheit umfaßt die äußere Form des Menschen, die Proportionen seines Körpers.
b. moralische Schönheit: Diese Schönheit erfaßt das Innere eines Menschen, sein Verständnis von Sittlichkeit und Moral.
c. selbsterworbene Schönheit:
Diese Schönheit ist der Ausdruck innerer Freude und Wohl-wollens. Sie ist die Wirkung und der Ausdruck moralischer Ideen.
d. Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung:
Der Mensch, der handelt, muß etwas ohne Zwang ausüben oder vollführen. Die Handlung muß als selbstverständlich von ihm verspürt werden.Der Mann ist schön durch Freiheit in der Stärke, das Weib durch Freiheit in der Schwäche.
e. Schönheit der Sprache:
Der Mensch muß eine schöne Sprache haben (Dichtkunst)
f. Schönheit der Natur:
Die äußere Form der Natur und ihr Inneres, das sich frei entfalten kann, werden als schön verstanden. Die klassische Schönheit ist das sich selbst Bedeutende und das sich selber Deutende. Ein Mensch, der diese Punkte in sich vereint, ist das Leitbild eines schönen Menschen.
VI. Harmonie
Der Mensch als ausgeglichene Persönlichkeit, die es schafft, Gefühl, Verstand, Geist und Natur in Einklang zu bringen.
VII. Humanität (= Menschlichkeit)
Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen ist zur Einsicht fähig und damit in der Lage, sich zu vervollkommnen. Sein Handeln ist bestimmt durch sein Menschsein; deswegen ist er für sein Handeln selbst verantwortlich. Das Zusammenleben mit anderen Menschen fordert ein sittliches Handeln, Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit.Die Normen, die dadurch aufgestellt werden, besitzen zeitlose Gültigkeit.
VIII. Die Antike als Vorbild und Leitbild der Dichtkunst
(Aus \"Gespräch über das Antike\" von Johann Wolfgang Goethe)
Das antike Tragische ist das menschlich Tragierte, es eignet sich von daher, den Menschen in seiner Vollendung und Abgründigkeit zu beschreiben. Das Antike ist bedingt (wahrscheinlich, menschlich). Das antike Magische hat Stil, das Moderne nicht. Das Antike ist plastisch (Ideale Form zur Darstellung des Menschen). Alle empirische Poesie, die griechische oder antike, ist charakteristisch und individuell, eignet sich daher zur Darstellung von zeitlosen Normen in Verknüpfung mit dem Menschen. Die Poesie ohne Charakter ist nicht empirisch darzustellen, deswegen muß alles, was ums imponieren soll, Charakter haben, wie das erhöhte Griechentum.
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