Ein Grund für den Erfolg von Gaarders Roman sind sicherlich die Mittel, die er zur Spannungserzeugung anwendet. So lässt sich das Buch viel besser lesen: man erhält Wissen und liest gleichzeitig eine geschickt gestaltete Geschichte.
Ein Hauptmerkmal von "Sofies Welt" ist, dass es aus einer inneren und einer äußeren Handlung aufgebaut ist. Darauf werde ich später noch eingehen. Zunächst möchte ich einige von Gaarders Methoden, das Buch interessanter zu gestalten, erläutern:
Beim Lesen merkt man vor allem, dass es dem Schriftsteller sehr wichtig zu sein scheint, die Philosophie verständlich zu erklären. Er nimmt sich viel Zeit mit der Begriffserklärung und wendet häufig Vergleiche an, z.B. setzt er das Universum und die Menschheit einem weißen Kaninchen, das aus einem Zylinderhut gezogen wird, gleich. Die Philosophen sind Menschen, die an der Spitze der Kaninchenhaare bleiben, die Welt beobachten und versuchen aus ihr schlau zu werden. Philosophen kann man auch mit kleinen Kindern vergleichen: Kleinkinder wundern sich, wenn sie merkwürdige und neue Dinge sehen. Doch sobald ihre Erfahrung und die Erkenntnis hinzukommen, beginnen diese Dinge normal für sie zu werden. Ein Philosoph sieht die Welt ähnlich wie ein Kind; der Unterschied ist aber, dass er sich nicht richtig an die Welt gewöhnen kann, wie es das Kind tut, wenn es älter wird. Für ihn bleibt die Welt etwas Wunderbares. Diesen Sachverhalt fasst Alberto in einem seiner ersten Briefe an Sofie zusammen:
"Kurze Zusammenfassung: Ein weißes Kaninchen wird aus einem leeren Zylinder gezogen. Weil es ein sehr großes Kaninchen ist, nimmt dieser Trick viele Milliarden von Jahren in Anspruch. An der Spitze der dünnen Haare werden alle Menschenkinder geboren. Deshalb können sie über die unmögliche Zauberkunst staunen. Aber wenn sie älter werden, kriechen sie immer tiefer in den Kaninchenpelz. Und da bleiben sie. Da unten ist es so gemütlich, daß[!] sie nie mehr wagen, an den dünnen Haaren im Fell wieder nach oben zu klettern. Nur die Philosophen wagen sich auf die gefährliche Reise zu den äußersten Grenzen von Sprache und Dasein. Einige von ihnen gehen unterwegs verloren, aber andere klammern sich an den Kaninchenhaaren fest und rufen den Menschen zu, die tief unten im weichen Fell sitzen und sich mit Speis und Trank den Bauch vollschlagen[!]"
(Gaarder, Jostein: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie. München: Carl Hanser, 1993, S.27)
Jostein Gaarder interessiert sich selbst auch für die Philosophie - sonst hätte er wohl weder Philosophie studiert noch "Sofies Welt" geschrieben. Er muss also selbst ebenfalls ein Mensch sein, der sich an den Spitzen der Kaninchenhaare festklammert. Halfdan W. Freihow, ein Mitarbeiter des Aschehoug Verlag (Verlag bei dem Gaarder den Roman veröffentlichte), charakterisiert Jostein Gaarder folgendermaßen:
"Josteins wichtigste Eigenschaft ist: er hat zu einem großen Teil das Kind in sich bewahrt. Obwohl er über eine breite Bildung verfügt und ein anspruchsvoller Schriftsteller ist, hat er es geschafft eine naive kindliche Eigenschaft zu behalten. Er kann noch dumme Fragen stellen, wo sich Erwachsene normalerweise schon genieren."
("Sofies Welt - Jostein Gaarder und sein Bestseller"; ein Film von Ulrich Boehm; WDR 1994)
Also auch Gaarder hat sich nie richtig an die Welt gewöhnt und aufgehört Fragen zu stellen. Er hat demzufolge die nötige Erfahrung, um einen derartig genialen Vergleich wie "den mit dem Kaninchen im Zylinderhut" anzubringen. Aber das ist nicht der einzige. In jedem Kapitel, in dem er über die Philosophen schreibt, verwendet er moderne Beispiele, um ihre Projekte gut zu veranschaulichen. So fällt es dem Leser leichter, die Sachverhalte nachzuvollziehen. Gaarder selbst begründet die Verwendung von modernen Vergleichen so:
"[...] Ich wollte, dass ein 14jähriges Mädchen wie Sofie wirklich verstehen kann, dass Philosophie etwas ist, was mit ihrem Leben zu tun hat. Dafür ist es wichtig zu zeigen, dass die verschiedenen Philosophen verschiedene Projekte verfolgt haben und man muss Beispiele aus dem Alltag finden, um deutlich zu machen, worum es in diesen Projekten geht.[...]"
("Sofies Welt - Jostein Gaarder und sein Bestseller"; ein Film von Ulrich Boehm; WDR 1994)
Ein Beispiel aus dem Alltag, das mir persönlich gut gefällt ist folgendes: Gaarder verwendet Legosteine zur Erklärung von Demokrits Atomtheorie. Das ist ziemlich clever, denn jeder hat schon einmal Legosteine gesehen und damit auch gebaut. Alberto erklärt Sofie ausführlich Demokrits Denkweise:
"[...]Es gibt unendlich viele unterschiedliche Atome in der Natur, meinte Demokrit. Manche sind rund und glatt, andere sind unregelmäßig und krumm. Gerade weil sie so ungleichmäßig geformt sind, lassen sie sich zu ganz unterschiedlichen Körpern zusammensetzen. Aber egal, wie viele und wie unterschiedliche Atome es auch geben mag, alle sind sie ewig, unveränderlich und unteilbar. [...] [Die Atome haben auch]...verschiedene ,Haken' und ,Ösen' und werden deshalb immer wieder zu den Dingen zusammengehakt, die wir um uns herum sehen.
Und jetzt begreifst Du sicher, was ich mit den Legosteinen sagen wollte? Sie haben ungefähr alle Eigenschaften, die Demokrit den Atomen zugeschrieben hat, und gerade deshalb kann man so gut damit bauen. [...]"
(Gaarder, Jostein: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie. München: Carl Hanser, 1993, S.57)
Ein Buch muss natürlich auch eine gewisse Prise an Humor oder zumindest Ironie mitbringen, um den Leser "bei der Stange" zu halten. Auch hier wusste der Schriftsteller, wie er seine Leser zum Schmunzeln bringt. Es gelingt ihm hauptsächlich durch die Figur der Sofie, die eine aufgeweckte, kluge und humorvolle Person ist:
"[...],Stell dir ein kleines Mädchen vor, das immer nur sagt: >Ja, Mama.< - >Sicher, Mama.< - >Wie du willst, Mama.< - >Ja, das mach ich sofort, Mama.Sei nicht so gehorsam!< - Und das Kind antwortet: >Nein, Mama!Doch. Ich will aber gehorsam sein. |