Es gibt kein allgemein anerkanntes Therapieschema der Essstörungen, sondern es existieren viele unterschiedliche Ansätze, wobei keiner eine Heilung garantiert. Jede(r) Betroffene muss für sich selbst entscheiden, welche Therapieform für sie/ihn die richtige ist. Dazu muss jedoch erst einmal die Einsicht vorhanden sein, dass das eigene Essverhalten gestört ist und der Wille, die Krankheit aufzugeben. Die Bereitschaft, nur lästige Seiten der Essstörung zu bekämpfen, wie z.B. ein extremes Untergewicht oder zu häufige Heißhungerattacken, reicht keinesfalls aus.
Die wichtigste Form der Behandlung von Essstörungen ist die Psychotherapie, wobei die verschiedensten Therapieformen zur Verfügung stehen. Am stärksten vertreten sind die Gesprächs- und Verhaltenstherapie, weiters werden Psychoanalyse, Körperwahrnehmungs-, Gestalt- und Tanztherapie angewandt. Die verschiedenen Therapieformen können auch miteinander kombiniert werden; zusätzlich können auch Entspannungsübungen hilfreich sein.
Psychotherapie wird sowohl von Ärzten als auch von Psychologen durchgeführt, die eine Zusatzausbildung in Psychotherapie haben. Da die Zusammenarbeit mit dem Therapeuten für einen erfolgreichen Therapieverlauf von großer Bedeutung ist, ist es wichtig, dass dieser dem Patienten sympathisch ist. Daher empfiehlt es sich, mehrere Psychotherapeuten aufzusuchen und sich erst nach einem Kennenlern-Gespräch zu entscheiden.
Die Psychoanalyse gehört zwar zu den klassischen Behandlungsmethoden, ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Essstörungen gilt aber als recht umstritten. Ziel der Psychoanalyse ist es, ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit, die nach Freud, dem Begründer dieser Behandlungsmethode, zu Neurosen führen, wieder ins Bewusstsein zu rufen, um diese bearbeiten und lösen zu können. Wichtig ist, dass der Patient dabei mit Hilfe der freien Assoziation selbst Einsichten gewinnt, der Analytiker sollte sich mit Fragen und Ratschlägen möglichst zurückhalten. Die klassische Psychoanalyse ist sowohl zeitlich als auch finanziell ein relativ aufwändiges Verfahren und hat nur eine niedrige Heilungsquote.
Bei der Gesprächstherapie geht man davon aus, dass das gestörte Verhalten auf falsche Lernprozesse zurückzuführen ist. Die lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten und die Frage nach den Ursachen und Auslösern der Essstörung stehen im Vordergrund. Im Laufe der Therapie sollen die Bedingungen, die die Krankheit verursacht haben, ergründet werden; es wird nach einem konkreten Auslöser gesucht und auch versucht zu analysieren, welche Faktoren zur Aufrechterhaltung der Essstörung beitragen. Aufgrund dieser Anhaltspunkte werden Veränderungen angestrebt, die sowohl die äußeren Lebensbedingungen, als auch verzerrte Einstellungen und Annahmen betreffen.
In der Verhaltenstherapie stehen hingegen die aktuelle Problematik und die momentane Lebenssituation des Patienten im Vordergrund. Es werden dem Patienten neue Wege zur Problemlösung gezeigt und es wird versucht, wieder ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist herzustellen. Dies soll zum Beispiel mit Hilfe von Körper-Bewegungstechniken, Entspannungsverfahren und Meditation erreicht werden und dem Patienten ermöglichen, seinen Alltag besser zu bewältigen.
Da essgestörte Patientinnen sich meist schon relativ lange fehl- bzw. mangelernährt haben, ist es sehr schwer für sie, von selbst wieder richtig mit Nahrung umzugehen. Deshalb kann auch eine Ernährungstherapie sehr hilfreich bei der Behandlung einer Essstörung sein. Dabei hat eine dem Wissensstand der Patientin angepasste Ernährungsberatung einen hohen Stellenwert. Diese kann jedoch nicht lediglich aus Informationsvermittlung bestehen, sondern muss auf die Patientin und ihre persönlichen Wünsche, Abneigungen, Erwartungen und Ängste hinsichtlich Ernährung eingehen. Außerdem wird in Gruppen gemeinsames Kochen und Essen gelernt. Dabei bereitet in den Kochgruppen meist das Teilen von Verantwortung Schwierigkeiten und das gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten ist zumindest zu Beginn großteils mit Konkurrenzgefühlen verbunden.
In der Gestalt- oder Kunsttherapie geht es nicht darum, perfekte Kunstwerke herzustellen, was die meisten Magersüchtigen und bulimisch Kranken zuerst im Sinn haben. Sondern es geht darum, Gefühle auszudrücken, womit sie meist Schwierigkeiten haben. Die PatientInnen stellen nämlich meist sehr hohe Ansprüche an sich selbst und wollen stets ausgezeichnete Leistungen erbringen, sind jedoch nur selten in der Lage, Gefühle zuzulassen oder gar auszudrücken. Die Therapie hat das Ziel, den Betroffenen zu helfen, einen Zugang zum unmittelbaren Selbstausdruck zu finden und sie von dem Druck zu befreien, perfekte Kunstwerke erstellen zu müssen.
Ein wichtiges Symptom der Anorexia nervosa ist auch eine Störung in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und auch bei der Bulimia nervosa spielt diese eine wichtige Rolle. Viele PatientInnen fühlen sich diesbezüglich extrem unsicher, worauf in der Körperwahrnehmungstherapie eingegangen wird. Dazu werden nicht nur Übungen zur Selbstwahrnehmung durchgeführt, sondern auch zur Wahrnehmung von Nähe und Distanz zu anderen Menschen, wobei die PatientInnen lernen sollen, Grenzen zu erkennen und zu behaupten. Diese Art der Therapie soll ihnen helfen, zu einem neuen Körperbewusstsein zu gelangen und den eigenen Körper als einen Teil von sich zu akzeptieren.
Fast alle psychotherapeutischen Verfahren sind sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie anwendbar. Welche man bevorzugt, hängt von der Persönlichkeit der PatientInnen ab und muss dem entsprechend in jedem Fall individuell entschieden werden. Seit einigen Jahren wird die Gruppentherapie als die durchwegs erfolgreichere angesehen, da sie den einzelnen PatientInnen den Kontakt und Austausch mit Gleichaltrigen ermöglicht, die in etwa die gleichen Probleme haben wie sie selbst. Trotz gelegentlicher Rivalitätskämpfe verbindet sie meist ein starkes Solidaritätsgefühl und es entwickelt sich in der Gruppe eine Atmosphäre des Vertrauens. Dadurch lernen die PatientInnen, Kritik zu üben und auch anzunehmen und es wird ihnen ermöglicht, sich untereinander mit gemeinsamen Problemen auseinanderzusetzen. Zentrale Themen der Gruppengespräche sind Selbstunsicherheit, Egozentrik, Ängste, Perfektionismus, sowie das Verhältnis zu den Eltern, eigenes und fremdes Rollenverhalten, Beziehungen zu Gleichaltrigen und der Umgang mit der Sexualität.
Da Magersucht und Bulimie nicht allein als Störung eines Individuums, sondern auch als ein Familienproblem verstanden werden, ist es sinnvoll, die Angehörigen - in erster Linie der Eltern bzw. Partner - mit in die Therapie einzubeziehen. Auch hierbei gibt es sowohl die systematische Therapie der Einzelfamilie als auch die Familiengruppentherapie. Die Einbeziehung der Angehörigen kann sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen als schwierig erweisen. Sei es aufgrund großer räumlicher Entfernungen, sei es, dass die Angehörigen eine innere Abwehr entwickeln oder auch die Patientin Widerstand leistet.
Die Behandlung einer Essstörung kann im Allgemeinen ambulant oder stationär durchgeführt werden, es gibt jedoch einige Kriterien, bei deren Erfüllung zu einer stationären Behandlung geraten wird:
- ein schlechter psychischer oder körperlicher Zustand
- eine Dauer der Erkrankung über mehrere Jahre
- eine gescheiterte ambulante Behandlung
- unerträgliche Spannungen in der Familie
- der Wunsch, ohne Familie zurechtzukommen
- die Überzeugung, in einer stationären Behandlung besser aufgehoben zu sein als in einer ambulanten, aus welchen Gründen auch immer
Als Beispiel einer stationären Behandlung möchte ich hier kurz das Konzept der Grazer Kinderklinik vorstellen, das ein sehr hohes Ansehen genießt.
Nach Stellung der Diagnose werden den PatientInnen und deren Eltern die unbedingte Notwendigkeit einer Behandlung und die Behandlungsgrundsätze erläutert. Anschließend wird mit beiden ein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen, in dem sie sich zur persönlichen Mitarbeit bzw. zur Zusammenarbeit sowie zur Einhaltung der Stationsregeln verpflichten. Der Vertrag definiert die Krankheit über das Gewicht anstatt als Essproblem. Allen Beteiligten wird die Regel mitgeteilt, dass es verboten ist, übers Essen zu sprechen. Entscheidend ist, dass ein vereinbartes Zielgewicht erreicht wird, das im Normalbereich liegt.
Gemeinsam mit der Patientin wird auf Millimeterpapier eine "Gewichtskurve" angefertigt: Ausgehend vom Aufnahmegewicht wird eine Linie gezeichnet, wobei für jeden Tag eine (minimale) Zunahme von 100g festgelegt ist (Solllinie). 1 kg unter dieser Linie wird eine parallele Linie gezeichnet. Die PatientInnen werden täglich vor dem Frühstück gewogen und der Gewichtswert wird in die Kurve eingezeichnet. Liegt das aktuelle Gewicht auf oder über der Solllinie, ist die Patientin in Freiheit und darf an allen Stationsaktivitäten teilnehmen. Liegt das Gewicht zwischen den beiden Linien, hat die Patientin Bettruhe und darf das Bett nur zu den Psychotherapiestunden verlassen. Bei einem Gewicht von 1 kg oder mehr unter der Solllinie, wird die Ernährung über eine Nasenmagensonde verabreicht.
Ein wichtiges organisatorisches Grundprinzip ist die Trennung der unterschiedlichen Aufgaben in der Betreuung anorektischer und bulimischer PatientInnen durch unterschiedliche Personen: Für das Gewichtsmanagement sind im Allgemeinen die Krankenschwestern zuständig; Einzel- und Familientherapie werden von unterschiedlichen Psychotherapeuten durchgeführt. Die bei der somatischen Behandlung erforderliche Konsequenz und Strenge würde nämlich den verständnisvollen, psychotherapeutischen Zugang behindern, während das, was in Einzeltherapiestunden besprochen wird, nicht den Eltern mitgeteilt werden darf, um das Vertrauen der PatientInnen nicht zu brechen.
Ist das Zielgewicht erreicht, wird die Patientin aus dem Krankenhaus entlassen, die Behandlung ist damit aber noch nicht beendet. Gewichtskontrolle und Psychotherapie werden ambulant weitergeführt, zuerst wöchentlich, später in steigenden Zeitabständen. Es wird jedoch ein Wiederaufnahmegewicht festgelegt, das meist 1-2 kg unter dem Zielgewicht liegt. Wird dieses unterschritten, kommt es erneut zu einer sofortigen stationären Aufnahme und die Behandlung wird entsprechend dem Schema bis zum neuerlichen Erreichen des Zielgewichts weitergeführt.
Heilungsaussichten
Wie wahrscheinlich eine Heilung erreicht wird, ist schwer zu sagen, da es keine einheitliche Definition dafür gibt. Das hat zur Folge, dass Forscher unterschiedliche Kriterien heranziehen, um "Heilung" bzw. "Besserung" zu beschreiben. Dem entsprechend vielfältig und unterschiedlich fallen auch die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen aus. Während ältere Studien sich meist nur auf die Besserung der körperlichen Symptome beziehen, berücksichtigen neuere Untersuchungen auch psychische und soziale Faktoren.
Die Vielzahl der existierenden Studien lässt zwar nicht wirklich exakte Aussagen zu, es lassen sich aber gewisse Trends bezüglich der Besserungs- und Heilungsraten aufzeigen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass aufgrund vermehrten Wissens und effektiverer Interventionsmethoden die Sterblichkeitsrate erheblich sank, ca. 30% der Erkrankten gelten jedoch als unheilbar, da sie trotz erfolgter Therapie(n) an ihrer Sucht festhalten.
Durchschnittlich gelingt es ca.67% der Betroffenen, sich von dem auffälligsten Symptom, dem Untergewicht, zu entfernen und bei rund 60% pendelt sich auch der Menstruationszyklus wieder ein. Das Essverhalten normalisiert sich jedoch nur bei etwa 47%, bei den Übrigen bleibt meist die selektive Nahrungsaufnahme bzw. gelegentliches Erbrechen erhalten. Durchschnittlich 65% gelingt es, ihre Isolation zu überwinden und sich wieder in ihr soziales Umfeld zu integrieren. Jedoch fühlt sich fast die Hälfte der ehemals Magersüchtigen noch Jahre danach in irgendeiner Form psychisch beeinträchtigt; sie weisen insgesamt stärkere Tendenz zu Misstrauen, depressiven Verstimmungen, Angstzuständen oder negativem Selbsterleben auf.
Deutlich wurde, dass PatientInnen mit einem Erkrankungsbeginn vor einem Alter von 17 Jahren durchschnittlich eine größere Heilungschance aufwiesen, als solche, die erst später an einer Essstörung erkrankten. Die Chance wird umso geringer, je länger die Krankheit dauert, da es den Betroffenen immer schwerer fällt, gewohnte Muster abzulegen. Auch die Persönlichkeit der Erkrankten spielt eine nicht ganz unwesentliche Rolle. So haben eher neugierige, interessierte, lebensfrohe und zielstrebige Magersüchtige zum Beispiel bessere Aussichten auf eine Heilung als eher introvertierte und depressiv wirkende. Bei Magersüchtigen ist auch der Typus der Erkrankung relevant; "purging"-AnorektikerInnen zeigen im Großen und Ganzen einen schlechteren Genesungsverlauf als "restriktive".
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