Kästners polemische Lyrik war nicht nur in großen Tageszeitungen und satirischen Zeitschriften zu finden, sondern auch auf den Podien der kleinen und großen Kabaretts. Die Verbindung entstand schon, als seine Gedichte noch gar nicht in Buchform erschienen waren. Von einer ständigen Mitarbeit konnte aber die Rede sein, als er in engeren Kontakt zu den Schauspielern, Direktoren und Komponisten des Berliner Kabaretts trat. Um 1929 begann er mit dem Schreiben von Chansons. Ende der zwanziger Jahre gab es keine Diseuse von Rang, die nicht Kästner Chansons im Repertoire hatte oder sich welche wünschte. Für die Titelbilder der Programme der Stücke lieferte meistens Walter Trier die Vorlagen. Er zeigte, daß seine Bilder nicht nur für Kinderbücher geeignet waren, sondern auch satirisch sein konnten. Er kritisierte zum Beispiel die Untugenden der Boulevardpresse oder den Amerikafetischismus der zwanziger Jahre. Kästner schrieb Chansons besonders für Trude Hesterberg oder Annemarie Hase, mit denen er viele Jahre zusammenarbeitete. Zwischen 1928 und 1933 gab es in Berlin eine beachtliche Zahl guter Kabaretts, die Kästner sehr schätzte, aber keines hat einen so nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt wie Werner Fincks \"Katakombe. Hier ergaben sich die Kontakte zu Ernst Busch und Kate Kühl. Viele dieser Bekanntschaften nach er nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf. Um 1931 waren Kästners Chansons auf Grund ihrer Bissigkeit und Witzigkeit ebenso populär wie die \"Anna-Luise\" von Tucholsky oder die \"Kleptomanin\" von Friedrich Hollaender. Neben den Chansons schätzte er aber auch Volksweisen und Epigramme.
Zwischen all diesen sehr zeitraubenden Tätigkeiten auf der Bühne fand er aber auch noch die Zeit einen weiteren Roman zu schreiben. Dieser sollte nicht für Kinder, sondern für Erwachsene sein. Den Plan einen satirischen Zeitroman für Erwachsene zu verfassen hat Erich Kästner wohl schon lange vorher gehegt, als er noch in Leipzig tätig war. Man erinnere sich an die vorher schon erwähnte Geschichte mit dem Direktor und dem Blinddarm, die in diesem Werk zu finden ist. Als das Skriptum aber in den Druck gehen sollte, intervenierte die Verlagsleitung, und zwei Kapitel mußten herausgestrichen und der Titel geändert werden. Der Titel \"Der gang vor die Hunde\" wurde abgelehnt, und so hieß sein erster Roman für Erwachsene \"Fabian - die Geschichte eines Moralisten\". Fabian ist das Buch Kästners, das die moralischen Intentionen und weltanschaulichen Positionen seines Autors am stärksten zur Geltung bringt. In der Form einer schonungslosen Satire auf der Krise des bürgerlichen Gesellschaftssystems ist \"Fabian\" der Roman zwischen Hoffnung und Verzweiflung, verkörpert in den beiden Hauptgestalten Fabian und Labude. Stärker noch als die Gedichtbände präsentiert er sich als Zerrspiegel vom Untergang einer Gesellschaft, indem er den Zustand der Krise in Form fotografischer Nahaufnahmen schildert, deren Optik er absichtlich verzerrt, um das Chaos deutlicher zu machen. Mit dem ersten Titel wollte Kästner vor dem drohenden Untergang Deutschlands und Europas waren. Die Inhaltsangabe und die Interpretation finden sich im Anhang. Wegen der radikalen Haltung seines Buches wurde Kästner 1931 in den Kritiken von rechts maßlos attackiert als \"Autor der nationalen Schande\". Es fielen Ausdrücke wie \"zersetzend\", \"Schund und Schmutz\", \"Asphaltliteratur\". Die kommunistische Partei lobte hingegen das Buch und feierte den Autor. Trotz Fürsprache angesehener Zeitschriften und namhafter Kritiker hat \"Fabian\" lange Zeit zu den umstrittenen Werken gehört. Das lag an der Brisanz des Themas und Kästners Mut. Bis Januar 1932 betrug die Auflagenhöhe bereits 20000 Exemplare. Und immer wieder war das Buch vergriffen. Anderthalb Jahre nach der Veröffentlichung waren bereits Übersetzungen in über neun Sprachen vorhanden, von Englisch über Russisch bis Ungarisch. Die soziale Lage in Deutschland um 1931 glich genau den in \"Fabian\" beschriebenen Zuständen.
In den dreißiger Jahren spitzte sich die politische Situation immer mehr zu. Deutschland wurde geplagt von hohen Arbeitslosenzahlen und politischer Unordnung. Die Regierung der Weimarer Republik hatte das Land nicht mehr unter Kontrolle, und eine nach der anderen Notverordnung trat in Kraft. Die Demokratie geriet immer mehr in Bedrängnis. Erich Kästner setzte zwar die mit den Verlagen vereinbarte Arbeit fort, fürchtete aber um seine Existenz als freier Schriftsteller.
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