a) Der Erzähler will also in das Gemüt seines Lesers den phosphorischen Feuerfunken fallen lassen. Was er damit meint, hat er schon zu Beginn der 4. Vigilie verkündet: Zum erstenmal wagt er sich dort an die Oberfläche der Erzählung, in einer direkten Anrede \'\'geradezu [an] dich selbst, günstiger Leser\'\' (34,5), und stellt sein Ziel in Form einer kleinen Poetik dar: Der Erzähler drückt hier die Befürchtung aus, der Leser werde ihm nicht \'\'glauben\", da er ja, aus der Perspektive des \'\'gemeinen Lebens\'\' gesehen, nichts anderes tue, als \'\'das alltägliche Leben ganz gewöhnlicher Menschen [solcher, die \'\'noch jetzt in Dresden umherwandeln\'\'] ins Blaue hinauszurücken\'\' (35,11f.). Dieses verzaubernde Verfahren löst Bedenken aus, weil sich der Erzähler hier im Umgang mit seinen Figuren der magischen Kausalität des angedichteten Verliebt-, Krank-, Wahnsinnig-, Betrunken- oder \'\'Magnetisiert\"- (also Hypnotisiert-) Seins bedient, ebenfalls der angedichteten Einbildung und Sinnestäuschung, schließlich auch einiger erzählerischer Taschenspielertricks, alles um den veränderten Zustand \'\'gewöhnlicher Menschen\'\' glaubhaft erscheinen zu lassen. Dies wäre aber letztlich nichts anderes als das magische Metallspiegelverfahren der Hexe, die - wie Serpentina kommentiert - \'\'alle Mittel aufbietet, von außen hinein ins Innere zu wirken\'\' (90,6f.), und die damit im Bereich des psychologisch-rational Erklärbaren bleibt. Aber dem von außen nach innen wirkenden Verfahren geht beim Erzähler zuerst die innere, durch nichts Äußeres veranlaßte Schau des - an Novalis erinnernden - \'\'feenhaften Reichs voller Wunder\'\' voraus, \'\'wo die ernste Göttin ihren Schleier lüftet, daß wir ihr Anlitz zu schauen wähnen\'\' (35,19ff.), und dann die Anamnesis, der Versuch, in diesem phantastischen und mythischen Traumreich genau \'\'die bekannten Gestalten, wie sie täglich [...] um dich herwandeln, wiederzuerkennen\'\'. Erst wenn er sie innerlich dort erschaut hat, darf der Erzähler sie im Vorgang des Erzählens auch wirklich in Dresden aufgreifen und \'\'ins Blaue\'\' projizieren, also verwandeln, verzaubern. Dem Leser aber wird vom Erzähler angeraten, dieses \'\'serapiontische Prinzip\" seinerseits anzuwenden, während und nach der Lektüre: \'\'Versuche es, geneigter Leser, [...] in diesem Reiche, das uns der Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, [...] die [dir] bekannten alltäglichen Gestalten wiederzuerkennen\" - in erster Linie ja wohl dich selbst.
b) So hält der Erzähler dem Leser statt eines magischen Metallspiegels den \"Goldnen Topf\" entgegen. Das Märchen erzählt nicht nur von dem Goldnen Topf, es ist der Goldne Topf. Dem Leser mag es dann so ergehen wie dem Anselmus, als er den spiegelblanken Topf zum erstenmal erblickt: \'\'Es war, als spielten in tausend schimmernden Reflexen allerlei Gestalten auf dem strahlend polierten Golde - manchmal sah er sich selbst mit sehnsüchtig ausgebreiteten Armen\'\' (62,19ff.). Aber schon in der mythischen Urzeit hat der Erdgeist und Spender dieses Goldnen Topfs dessen Bestimmung festgelegt: \"in seinem Glanze soll sich unser wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang mit der ganzen Natur besteht, in blendendem herrlichen Widerschein abspiegeln\'\' (88,22ff.). Wir sind also wieder bei der zweifachen Spiegelung angelangt: Auf der spiegelblanken Fläche des \'\'Goldnen Topfs\" können die Lebensgeschichte des Lesers wie die des Erzählers/Autors darin koinzidieren, daß sie sich selbst und die Ereignisse der konkreten Welt um sich herum im mythischen Geschehen des \"wundervollen Reichs\'\' wiedererkennen.
Aber was erkennen sie eigentlich in diesem Spiegel? Anders gefragt: Welchen Sinn soll die Lektüre des Goldenen Topfes haben - das Sichhineinbegeben des Lesers in das Märchen der doppelten Spiegelung?
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