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Lübeck, den 26. September 2021 Meine geliebte Tochter Siri. Wenn du diesen Brief liest, wird sich mein Leben schon dem Ende geneigt haben. Wie wenn es gestern gewesen wäre, erinnere ich mich noch daran, als deine Zellen anfingen, sich zu teilen. Es war gerade elf Uhr des 7. Januars im Jahre Null, als Mortimer dich mit den Worten "Welcome Iris two" begrüßte.
Die folgenden 48 Stunden waren sehr nervenstrapazierend für mich; der Gedanke dich verlieren zu können, bevor ich dich je hatte, zerfraß mich innerlich. Als die Übertragung des Embryos erfolgreich beendet war, erfuhr mich ein Schrei der Freude und ein unbändiges Lachen. Ein gutes Gefühl, dich zu komponieren. Etwas, das vorher noch nie jemand getan hatte, habe ich, Iris Sellin, geschafft. Dafür wirst du mich immer hassen, aber bedenke auch die schönen Stunden die wir miteinander hatten. Ich denke nur and die Stunden, als du das erste Mal auf dem Klavier geklimpert hast.
Dada spiele dir immer Melodien vor und du hast alles Andere stehen und liegen gelassen um die Klänge nachzuspielen. Im Nu hast du alle Tonleitern und Noten gelernt. Die Musik wurde für dich immer lebensnotwendiger. Immer wieder bist du vor dem Klavier gesessen und hast den Satz "Ich will Pianistin werden" wie ein Papagei vor dich geplappert. Denke auch an die schönen Stunden, als du auf dem schwarzen Flügel gespielt hast und wenn du Kummer hattest bist du immer unter ihm gelegen. Die endlosen Musikduschen, die wir gemeinsam erlebten werden immer in meiner Erinnerung verweilen.
Mister Black, wie wir den Flügel getauft haben, war unser Zwillingsgeheimnis und wird es auch ewig sein. Ich hoffe du vergisst dies nie. In deinem 12. Lebensjahr traten wir das erste Mal gemeinsam auf. Es war Muttertag. Du hast dir diese lächerliche gelbe Schleife über dein schwarzes Kleid um die Hüften gebunden.
Du dachtest ich hätte dies nicht bemerkt, doch es kränkte mich wahrscheinlich so, wie dich meine Unaufmerksamkeit auf dein Protest. Du hattest gegen meinen Willen gehandelt, doch ich verzieh dir, da du mein Leben bist, warst und immer sein wirst. Aber auch als du deine erste Periode bekommen hast. Weißt du noch, wie wir mit einem Glas Sekt abgestoßen haben? Nun warst du endlich zur Frau geworden. Oft quältest du mich mit der Frage, warum du keinen Vater hast. Auch Katharina begriff dies nie, doch es war MEINE Entscheidung, die ich alleine getroffen habe und es war gut so! So langsam geht es auch mit mir zu Ende.
Meine Muskeln werden schwächer und schwächer, meine Organe irreparabel geschädigt und Behinderungen machen mich zum Krüppel. Du wirst mir meine Entscheidung zu einer zweiten Iris wohl nie verzeihen. Meinen Egoismus wirst du mir vorwerfen, aber du hast Recht. Meine Entscheidung war geprägt von Hass, dass ICH die berühmte Pianistin Iris Sellin, vergehen muss. Doch als ich dich das erste Mal im arm hielt, überfiel mich ein unbeschreibliches Gefühl, ich hatte dich - ich wurde du und du wurdest ich - Iris wurde Siri und Siri wurde Iris. Bitte erfülle mir einen letzten Wunsch und lebe mein/dein Leben weiter und denke immer daran, DU bist MEIN Leben.
Mit diesen Worten verabschiede ich mich von dir und wünsche dir viel Glück für die Zukunft. Deine dich ewig liebende Iris P.S. Sag Dada und Janne Danke von mir, dass sie dich und mich auf meinem/unserem Lebensweg unterstützt haben.
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