10.1 Zufälle im Zusammenhang mit Sabeths Tod
- Homo Faber fliegt trotz seiner Bemühungen, den Abflug zu verpassen, weiter.
- Die Maschine muss notlanden, wodurch Faber seinen Auftrag in Caracas verpasst.
- Er trifft den Bruder von Joachim.
- Aufgrund der Reparatur seines Rasierers erreicht ihn noch der Telefonanruf der Schiffsgesellschaft, dass er doch mitfahren könne.
- Er trifft seine Tochter bei der verfrühten Abreise auf dem Schiff.
- Sabeth will per Anhalter nach Rom fahren, was Faber natürlich nicht zulässt und sie begleitet.
- Beide treffen sich in der Millionenstadt Paris wieder.
10.2 Schuldfrage an Sabeths Tod
Stellt man sich nun die Frage, wer denn für Sabeths Tod verantwortlich ist, so liegt die Antwort nahe: \"Keiner\". Schließlich wurde Sabeth nicht umgebracht. Andererseits kann man sich die Frage stellen \"Was wäre, wenn...?\". Nimmt man nur ein Glied aus der Zufallskette von Fabers letzten Erlebnissen - von der Notlandung bis zur Mondfinsternis - heraus, würde Sabeth sicherlich noch leben. Faber ist schuldlos-schuldig geworden, indem er die Frage nach Sabeths Vater immer wieder verzögert und verdrängt hat. Um wieder für ihn zu sprechen hat auch Hanna - die Mutter - eine gewisse Mitschuld. So hätte sie dem Vater die Wahrheit nicht verschweigen dürfen, sie konnte jedoch nicht ahnen, dass Faber ihre Tochter auf dem Schiff trifft. Es ist festzustellen, dass es schon in Ansätzen nicht gelingt, die Schuldfrage zu klären. An zwei Stellen gesteht sich Faber jedoch selbst die Schuld zu. Zum einen fragt er: \"Was änderte es, dass ich meine Ahnungslosigkeit beweise, mein Nichtwissenkönnen! Ich habe das Leben meines Kindes vernichtet und ich kann es nicht wiedergutmachen\" (S. 72) und andererseits beendet er seine Aufzeichnungen vor seiner Operation mit: \"aber auch Hanna hat nicht ahnen können, dass Sabeth auf dieser Reise gerade ihrem Vater begegnet, der alles zerstört -\" (S. 203). Diese Verzweiflung zeigt das weniger schöne Ende von Fabers Leben - Sabeths Tod und seine ihm selbst eingestandene Schuld quält ihn mit Gewissensbissen und Zwiespältigkeiten bis zu seinem eigenen Tod.
10.3 \"Homo faber\" als moderner Ödipus (?)
Der Ödipusmythos nach der Tragödie \"König Ödipus\" von Sophokles (429 v. Chr.):
Ödipus wird als Sohn der Iokaste und des Laios, des Königs von Theben, geboren, aber sofort ausgesetzt, da er - laut Orakel - den Vater töten und die Mutter heiraten wird. Er wird heimlich gerettet und dem Herrscherpaar in Korinth übergeben. Als junger Mann erfährt Ödipus vom Orakel seine schreckliche Bestimmung und kehrt nicht mehr nach Korinth zurück, um seinen Eltern Tod und Inzest zu ersparen. In der Nähe von Theben erschlägt er im Zorn einen unbekannten Mann (seinen Vater), löst das Rätsel der Sphinx (auf die Frage, welches Wesen als einziges seine Gestalt ändere und zuerst auf vier Beinen, dann auf zwei und zuletzt auf drei Beinen gehe, antwortet er dass es der Mensch sei) und erhält zur Belohnung dafür die Hand der thebanischen Königin Iokaste, deren Mann gerade von einem unbekannten erschlagen wurde. Als Jahre später in Theben die Pest ausbricht, erkennt Ödipus auf der Suche nach der Ursache für den Götterzorn die Wahrheit. Die Mutter-Gattin erhängt sich daraufhin; Ödipus sticht sich die Augen aus.
Parallelen zum Mythos
- Wunsch Fabers, sich die Augen auszustechen (S. 192), weil er Sabeth immer vor sich sieht
- Faber sieht Oedipus und Sphinx auf einer kaputten Vase (S. 142)
- Griechenland als Ort der Katastrophe und der Erkenntnis
- Schlangenbiss als Ausdruck göttlichen Zorns
- Motiv der Kindstötung
- Inzest möglich, weil Vergangenheit unbekannt ist
- analytische Form
Unterschiede zum Mythos
- Ödipus wird durch menschliche Weisheit Herr von Theben. Faber fühlt sich durch sein technisches Wissen als höhergestellt.
- Ödipus lebt in einer gottbestimmten Welt. Für Faber gibt es keine Götter.
Da die Übereinstimmungen zwar häufig, jedoch nicht sinnvoll verwendet wurden, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um eine Aktualisierung des Stoffs handelt.
10.4 Hat sich eine Wandlung Fabers vollzogen?
Ja
Die Tatsache, dass Faber überhaupt schreibt - sich so also seinen Gedanken stellt - zeigt seine Bereitschaft, seine Erfahrungen neu zu bewerten bzw. seine Ansichten neu aufzuarbeiten Nein
Fabers Schreiben kann aber auch als eine Selbstrechtfertigung für ihn sein, indem er seine Auffassungen verteidigt.
Faber trifft Entscheidungen, die die Absage seines \"alten\" Lebens bedeuten. Diese Entscheidungen könnten auch praktische Notlösungen sein.
- Kündigung des Berufs als Techniker - Kündigung aufgrund Krankheit
- Ablehnung des \"American Way Of Life\" - keine Wandlung, nur oberflächliche Ansätze
- Aufgabe der Wohnung zeugt für Neuanfang - Faber flüchtet vor seiner Einsamkeit
- \"Mein Entschluss, anders zu leben\" (S. 175) - keine weitere Vertiefung von \"anders\"
Meiner Ansicht nacht, hat sich Faber wohl verändert. Zumindest was seinem Ausdruck der Gefühle angeht. Sicherlich hat er sein Weltbild nicht gänzlich abgelegt, Tatsache ist aber, dass er sich teilweise in seiner Einstellung verändert hat. Die immer weniger werdenden Ausflüchte können zwar auch in Fabers Gewissheit liegen, dass es um sein Leben immer schlechter bestimmt ist, dennoch ändert er sich vom materialistisch-technisch Denkenden zum teilweise gefühlsbetonten Menschen, dem sein Leben doch wichtig ist. Auch im Aspekt des Filmens hat er sich geändert. Er hat anfangs immer seine Kamera dabei gehabt. Nachdem er das Material allerdings noch einmal anschauen muss, lässt er seine früheren \"Schätze\" zurück.
10.5 Homo Faber als Roboter
Besonders, wenn Faber in puren statistischen und rationalen Gedanken schwebt, verschwimmt die Grenze zwischen einem Menschen, der nach allgemeiner Auffassung Gefühle und Stimmungen nicht nur wahrnimmt, sondern auch auslebt, und einem Roboter oder Computer, der mittlerweile sogar in der Lage ist, Gefühle zu erkennen, diese aber nicht versteht. Dieser Unterschied wird von den meisten Forschern, neben der \"Intelligenz\", als wesentlicher Mangel von Computern und Robotern im Vergleich zu Menschen gesehen. So fragt sich Faber beispielsweise, was am Mond ein Erlebnis sei. Somit scheint Faber zumindest für diese Art von Gefühl nicht erreichbar zu sein. Daher kann er teilweise als Roboter bezeichnet werden, nicht mehr als Mensch. Zwar klagt Faber (auf Seite 151) darüber, dass viel zu wenig Menschen seine Gefühle verstehen, später jedoch - bei einem Spiel, bei dem Faber und Sabeth jeweils zu einem Begriff eine andere Beschreibung finden - zeigt sich wieder das gefühllose und rational-vergleichende Wesen Fabers. Sei es der Vergleich eines schwarzen Felsens mit Kohle, des Meers mit einem Zinkblech - dies alles sind keineswegs gefühlsbetonte Begriffe sondern eher das Anzeichen für einen kalten Roboter. Die häufig verwendeten Fachbegriffe wie \"Super-Constellation\" heben Fabers Fachkenntnisse und (einseitiges) Interesse über das Gebiet der Technik hervor.
10.6 Homo Faber und die Roboter - sein Fortschrittswahn
Faber stuft den Roboter, ein Symbol für technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, höher als den Menschen, ja er glaubt sogar, dass diese \"den Tod annullieren\", weil sie \"den Menschenleib ersetzen\". Solch reiner Glaube in die Technik, und der Verlust des Vertrauens in den Menschen, ist eines der stärksten Anzeichen für den Fortschrittswahn Fabers.
Des weiteren sieht Faber die Natur schon als gänzlich durch die Technik und Wissenschaft besiegt an: Alles Mystische ist für ihn hysterisch, denn er denkt sich: \"Wozu soll ich mich fürchten? Es gibt keine urweltlichen Tiere mehr...\". Monate später führt dann aber ein Schlangenbiss indirekt zum Tod seiner Tochter. Er scheint jedoch bestens informiert zu sein über tatsächliche Gefahren in der Natur, er verdrängt sie nur. Diese Verdrängung wiederum ist ein eindeutiges Anzeichen für seine \"Wahnvorstellung\".
Schließlich ist ihm jegliches Mystische, Sentimentale, nicht auf Arbeit oder Technik Bezogenes absurd, ja er kann sich gar nicht vorstellen, dass ein Mann derart denken kann.
Somit wird deutlich, dass Homo Faber an einem Wahn leidet, der als bürgerlicher Männlichkeitswahn bezeichnet werden kann (\"homo faber\" und \"homo oeconomicus\").
10.7 Spiegelmotiv
Im Roman taucht das Spiegelmotiv dreimal auf. Faber erhält ein ungeschminktes Bild von sich. So realisiert er die Spuren seiner Krankheit, die er immer wieder verdrängt. An entscheidenden Stellen ist dieser Spiegel zu finden:
Bei der Zwischenlandung in Houston, Texas sieht Faber im Spiegel sein Gesicht \"scheußlich wie eine Leiche\" (S. 11). Seine Hände sind \"weiß wie Wachs\" (S.11).
Später sieht sich Faber im \"Spiegel im Goldrahmen\" als \"Ahnenbild\" (S.98). Als Anzeichen seiner Krankheit sieht er \"Ringe unter den Augen\", verdrängt dies aber als \"nichts weiter\" (S. 98).
Im Krankenhaus in Athen sieht Faber aus \"wie der alte Indio in Palenque, der uns die feuchte Grabkammer zeigte\" (S. 171). Hier wird ein deutlicher Hinweis auf Fabers späteren Tod gegeben, verstärkt durch die Tatsache - Fabers Statistik - der \"vielen Todesfällen\" im \"letzten Vierteljahr\" (S. 172) und den Tod von Professor O., der ebenfalls an Krebs starb.
10.8 Walter Faber und die Frauen
Faber ist ein typischer Einzelgänger. Er betont häufig, dass er gern allein ist. So ist er regelrecht froh, als sein Flugzeug abfliegt, um von Ivy Abschied nehmen zu können. Auch ist er anfangs gegen eine Unterhaltung mit Herbert Hencke und täuscht diesem sogar vor, er würde schlafen. Faber lehnt anfangs dauerhafte Beziehungen ab, weil diese seine Freiheit einschränken. So erfährt man auf Seite 90f, dass er gewohnt ist, \"allein zu reisen\" und dass er den Gedanken eines Doppelzimmers als Dauereinrichtung mit dem Gedanken an eine \"Fremdenlegion\" vergleicht (S.91). Seiner Meinung nach würde er seine Ehefrau nur unglücklich machen, was er aber selbst nicht will (S. 92). Die Frauen sind ihm also nicht egal. Sicherlich hat er Recht, wenn er behauptet, dass seine Spontaneität unter einer Beziehung leiden würde, weil er eben als Single kurzfristiger auf Reisen gehen kann und auch in anderen Punkten flexibler ist. In der ersten Station spricht sich Faber gegen die Ehe aus. Diese Ablehnung soll sich doch bald ändern. So macht er Sabeth sogar einen Heiratsantrag, wenngleich er auch nichts dagegen hat, dass sie nicht antwortet: \"ich genoss es, unser Schweigen\" (S. 95). Fabers Bindungsängste werden deutlich, als er von \"einem Hotel\" spricht, \"das man bald wieder verlassen kann\". So schließt er eine Bindung nicht aus, solange er diese jederzeit brechen kann. Fabers Problem ist sein Umgang mit Gefühlen, die er nicht zeigen kann, weil sie nicht in sein rationelles Weltbild passen. So macht er einen eher \"kalten\" Eindruck als er Empfindungen mit \"Ermüdungserscheinungen\" oder \"Stahl\" (S. 92) vergleicht. Für ihn bedeuten Gefühle ein Zeichen von Schwäche und Verwundbarkeit.
Seine Einsamkeit und Distanz zu anderen Personen - nicht ausschließlich Frauen - hat er sich selbst zuzuschreiben. Bei der Party beispielsweise bezeichnet er \"seine glücklichsten Minuten\" ja selbst als die, \"wenn er die Gesellschaft verlässt\". Sein Beruf gibt ihn die Möglichkeit durch Reisen aus Beziehungen zu flüchten, wenn es ihm \"zu eng\" wird.
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