1.1 Beschreibung einer reaktiven Arbeitsweise.
Bei der Beschreibung muskulärer Arbeitsweisen sind systematisch drei Varianten zu unterscheiden. Die isometrische (statische) Kontraktion ist gekennzeichnet durch eine muskuläre Spannungssteigerung gegen einen unbeweglichen Widerstand, ohne daß sich die Länge des Muskels dabei ändert. Eine konzentrische (überwindende) Muskelkarbeit bewegt eine Last, deren Gewichtskraft den Betrag der Maximalkraft des Übenden nicht überschreiten kann. Bei dieser Bewegung verkürzen sich die arbeitenden Synergisten, z.B. m.brachialis und m.biceps brachii bei der Beugung des Ellenbogengelenks.
Die exzentrische (nachgebende) Arbeitsweise eines Muskels wird bedingt durch eine Verlängerung der arbeitenden Muskulatur und kann deshalb auch mit einer Last funktionieren, deren Gewicht über das Maximalkraftniveau des Übenden hinausgeht. So wird beispielsweise beim desmodromischen Krafttraining ein unüberwindbarer Widerstand maschinell bewegt, den der Überwindende mit aller willkürlich erzeugbaren Kraft aufhalten oder zumindest verlangsamen soll.
Dem reaktiven Krafttraining, bzw. dem plyometrischen Training liegt eine kombiniert exzentrisch-konzentrische Bewegungsform zu Grunde. Dies läßt sich anschaulich an der Grundbewegung des Absprungs im Sport erklären. Zunächst erfolgt mit Aufsetzen des Sprungbeines als Reaktion auf den dabei auftretenden Kraftstoß eine Dehnung der Sprungmuskulatur (m. gastrocnemius, m. soleus, m. quadriceps femoris u.a.), die sich dann möglichst schnell (nach einer Amortisationsphase von 50 - 100 ms) in der konzentrischen Arbeitsphase kontrahieren soll. Wie dieser Dehnungsprozeß der Sprungmuskulatur genau abläuft wird noch zu klären sein. Festzuhalten bleibt erstens, daß sich nach einer exzentrischen Phase, in der der Muskel an Länge und Tonus zunimmt, weitgehend verzögerungsfrei eine konzentrische Arbeitsweise anschließen muß, die im Sprung die eigentliche Zielbewegung ausmacht. Zweitens ist die Amortisationsphase so kurz, daß die nachfolgende Kontraktion nicht willkürlich innerviert werden kann. Der diesem Phänomen zu Grunde liegende Mechanismus wird in Kapitel 2.2.1 behandelt.
1.2 Wirkungsbereich der plyometrischen Trainingsintervention
Nach dem Kraftmodell von BÜHRLE/SCHMIDTBLEICHER , das mit den Schnellkraftkomponenten der Absolutkraft, der Maximalkraft, der Explosivkraft und der Startkraft arbeitet, läßt sich der Anwendungsbereich des plyometrischen Trainings auf die Verbesserung der Explosivkraft beziehen. Untersuchungen von VIITASALO et al. (1981) belegen, daß ein Niedersprungtraining mit reaktiven Bewegungsformen im Vergleich zu herkömmlichen Gewichtstrainingsformen (konzentrisch und exzentrisch-konzentrisch) signifikante Verbesserungen im Bereich der Sprunghöhe nach sich zieht, während im Bereich der konzentrischen Maximalkraft kaum Verbesserungen festzustellen sind.
Offensichtlich sind reaktive Bewegungsmuster als hochspezialisierte Übungsformen im (Kraft-) Trainingsprozeß anzusehen.
1.3 Die Entwicklung des plyometrischen Krafttrainings
Der Begriff Plyometrie geht zurück auf gr. "plythyein" (steigern, erhöhen), besteht also aus den Bestandteilen "plio" und "metric", die "mehr" und "messen" bedeuten. Die Geschichte der Plyometrie ist kurz. Erstmals beschrieben wurden ihre Arbeitsweise von Sportwissenschaftlern aus osteuropäischen Ländern seit Mitte der sechziger Jahre. Die damaligen leichtathletischen Erfolge vor allem der Sowjetrussen beruhen zu einem großen Teil auf dieser Trainingsform (zumindest in den Schnelligkeits-und Explosivkraft-Wettbewerben). Ein früher Verfechter, Yuri VEROSHANSKI, hatte mit plyometrischem Training, vor allem mit von ihm trainierten Springern, große Erfolge. Er experimentierte ab 1967 mit Tiefsprüngen und der Schlagmethode. Eine wichtige Erkenntnis VEROSHANSKIS war schon damals, mit dem Reaktivkrafttraining eine Methode gefunden zu haben, die nicht nur das kontraktile Gewebe auf schnellstkräftige Bewegungen vorbereitet, sondern entsprechende Adaptionserscheinungen im gesamten neuromuskulären System nach sich zieht.
Erstmals große Beachtung wurde dem plyometrischen Training durch die Erfolge des Sprinters Valeri Borzov geschenkt, der sehr intensiv in diesem Bereich trainiert hatte. Bei den Olympischen Spielen von 1972 gewann Borzov im Alter von 20 Jahren die Goldmedaille über 100 m in 10,0 Sekunden.
Inzwischen ist das plyometrische Training wissenschaftlich untersucht worden und in der Wirkung auf reaktive Kraftentwicklung allgemein anerkannt. Leider fehlen immer noch Untersuchungen über einen längeren Zeitpunkt, die außer über die muskuläre Verbesserung auch aussagekräftige Ergebnisse über die Verträglichkeit solcher Übungsformen liefern können. Zumindest aber für kürzere Zeiträume (im Bereich von einigen Wochen) liegen Ergebnisse vor. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten von VIITASALO ( 1981), BOSCO (1982), SCHMIDTBLEICHER (1984 u. 1985), sowie KOMI (1985).
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