Die Kirche war in den Augen vieler Menschen jener Zeit reformbedürftig.
Mit Roderico Borgia war im Jahre 1492 - dem gleichen Jahr, da Kolumbus Amerika entdeckt hatte, da die Reconquista, die Rückeroberung Spaniens, mit dem Fall des letzten maurischen Fürstentums (Granada) zu einem Ende gekommen war, da die Juden, die sich nicht zum Christentum hatten bekehren wollen, aus Spanien verjagt worden waren - ein Unwürdiger zum Nachfolger des Heiligen Petrus gewählt worden, der sich Alexander VI. (1492-1503) nannte. Die verschwenderische Hofhaltung des Papstes und der Bau des Petersdoms in Rom verschlangen Unsummen.
Einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen bezog die Römische Kirche aus Deutschland.
Wie die Kirche - kanonisches Zinsverbot hin, Ablaßhandel her - in die Geldwirtschaft verstrickt wurde Die westeuropäischen Monarchien hatten sich weitgehend dem Zugriff der Kirche entzogen. Heinrich VIII. von England (1491-1547) proklamierte gar sich selbst als Oberhaupt einer von Rom gelösten "anglikanischen" Staatskirche (1534), was übrigens mit einer "Reformation" nichts zu tun hat. Aus deutschen Gebieten aber preßte die Kirche enorme Summen.
Die Kirchenämter und die mit ihnen verbundenen Einnahmen, die Pfründe, wurden immer mehr zum Gegenstand eines schwunghaften Handels.
Ulrich von Hutten sagt:
"Nicht leicht hat einer hier eine fette Pfründe, der nicht zu Rom darum gedient oder viel Geld zur Bestechung dahin geschickt oder sie geradezu durch die Vermittlung der Fugger gekauft hat."
Die aus dem Ablaßhandel zu erwartenden Einnahmen streckten die Fugger vor und berechneten selbstverständlich Zinsen dafür - eine konsquente Einhaltung des kanonischen Zinsverbotes war selbst der Kirche nicht möglich. Die großen - christlichen - Handelshäuser vor allem der Fugger und Welser beherrschten die frühkapitalistische Wirtschaft, in die auch die feudalen Gewalten verstrickt wurden.
Wie im Lauf des Spätmittelalters die Geldwirtschaft in das Beuiehungsgefüge der Feudalgeselschaft eindrang und die Gegensätze verschärfte, die's dort ohnehin schon gab Im Lauf des Spätmittelalters drang die Geldwirtschaft in die feudalen Beziehungen und Abhängigkeiten ein und verschärfte die in der Feudalgesellschaft herrschenden Gegensätze - der von den adeligen Grundherren auf die Bauern ausgeübte Druck steigerte sich, der niedere Adel verarmte.
In den seit dem 11. Jahrhundert wieder aufblühenden Städten erhielten die Bauern für ihre Überschüsse bares Geld, das - wie wir schon früher festgestellt haben - die Begehrlichkeit der adeligen Grundherren auf sich zog. In weiterer Folge wurden die Naturalabgaben und Frondienste der Bauern - scheinbar im beiderseitigen Interesse - immer mehr durch Geldzahlungen (Geldrente) abgelöst, was die Steigerung des auf den Bauern lastenden Drucks nach sich zog und damit letztlich den Deutschen Bauernkrieg (1524-1526) auslöste. Die "natürlichen" Grenzen, die die Ausbeutung zuvor durch den begrenzten Bedarf an Naturalien und deren begrenzte Haltbarkeit gefunden hatte, fielen nun weg, denn der Bedarf an Geld ist unbegrenzt. Der von den Grundherren auf die Bauern ausgeübte Druck konnte umso leichter gesteigert werden, als sich seit dem 15. Jahrhundert die Städte abschlossen und aufhörten Zufluchtsstätten der bäuerlichen Bevölkerung zu sein.
Wie nicht nur die Bauern, sondern auch die Adeligen unter Druck gerieten Der niedere Adel, das Rittertum, verlor seine militärische Bedeutung durch die Erfindung der Feuerwaffe und durch die Tatsache, daß auch der Kriegsdienst allmählich zu einer von käuflichen Söldnern gelieferten Ware wurde. Der hohe Adel, die Landesherren, die Fürsten, profitierten in Form von Steuern von der Entwicklung des Städtewesens und der Geldwirtschaft. Aber die Einkünfte des Ritters ermöglichten diesem kaum ein standesgemäßes Leben, auch wenn er seine Bauern noch so sehr auspreßte. Hier wurzelt das spätmittelalterliche Raubritterunwesen. Fast gleichzeitig mit den Bauern und ebenso vergeblich erhoben sich unter der Führung Franz von Sickingens (der in diesem Kampf fiel) die Ritter (1522).
Der Große Deutsche Bauernkrieg 1524-1526 war ein Versuch, den Angriff der Reformation auf die römisch-katholische Kirche und die geistliche Feudalität zum Kampf gegen die Feudalität überhaupt zu erweitern.
Wie Martin Luther zur Zentralfigur der Reformation wurde Der Mann, der im Mittelpunkt der Reformation stand, war Dr. Martin Luther. Seine 95 gegen den Ablaßhandel gerichteten Thesen waren jedoch weder besonders originell, noch besonders radikal. Luther stellte den Ablaß als solchen überhaupt nicht in Frage, im Gegenteil, These 71 sagt: "Wer wider die Wahrheit des päpstlichen Ablasses redet, der sei im Fluch und vermaledeiet."
Luthers Kritik aber traf die Kirche zu einer für sie ungünstigen Zeit an einem wunden Punkt.
Die "Dunkelmännerbriefe", die zu dieser Zeit die mönchische Gelehrsamkeit der Lächerlichkeit preisgaben, waren nur einer von etlichen "Pfeilen gegen den Schurken", wie Hutten formuliert. Wenn in den Chor der Kritiker dann ein Insider einstimmte, mußte das doppelt unerwünscht sein. Und die besonders sensible Stelle, an der Luthers Thesen die römische Kirche getroffen hatten, das war der Geldbeutel. Deshalb konnte die Auseinandersetzung zwischen Luther und Tetzel, dem Verkaufsleiter in Sachen Ablaß, nicht das bleiben, was sie eigentlich war, nämlich bloßes Mönchsgezänk.
Der weitere Verlauf der Dinge entwickelte eine Eigendynamik, der sich Luther nicht entziehen konnte.
"Ohne rechte eigene Initiative wurde Luther vorwärtsgeschoben von Freund und Feind, zum Bruch mit dem Papsttum. Wenn er 1519 verfluchte, was er noch 1518 gesegnet, für alleinseligmachend erklärte, was er eben noch verdammt, so war dies nicht die Folge einer Erweiterung seiner Erkenntnis, sondern die Folge der Wirkung rein äußerer Einflüsse, von denen er sich tragen und leiten ließ."
Wie Luther vor dem Reichstag zu Worms stand und nicht anders konnte Die Bannbulle des Papstes (Giovanni de Medici alias Leo X. 1513-1521) steigerte nur die Popularität Luthers. Der Kaiser (Karl V. 1519-1556) zitierte Luther vor den Reichstag in Worms (1521). Der Vergleich mit Jan Hus liegt nahe. Hus hatte sich auf dem Konzil von Konstanz einer feindlichen Front gegenübergesehen. Luther blieb aber gar nichts anderes übrig, als mit der Papstkirche zu brechen, die deutsche Öffentlichkeit erwartete das von ihm: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen" . Luthers späterer Gegenspieler, der große Ideologe der Volksreformation Thomas Müntzer relativierte (in seiner "Hoch verursachten Schutzrede" von 1524) Luthers Heldentum: "So du zu Worms hättest gewankt, wärest du eher erstochen vom Adel worden als losgegeben; weiß es doch ein jeder." In die Reichsacht getan ("getan" heißt´s in den Geschichtsbüchern an dieser Stelle immer, einen Luther "tut" man immer in die Reichsacht) wurde Luther wohlweislich erst, als die mit seiner Lehre sympathisierenden Fürsten den Reichstag bereits verlassen hatten.
Wie Luthers Lehre allen Ständen etwas zu bieten hatte ... Luthers Reformation sprach zunächst alle Stände an.
Ein Aufruf "An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung" (1520) empfahl eindringlich die Anwendung von Waffengewalt gegen die "Raserei der Romanisten", und
stellte dem Adel damit Bereicherung an säkularisierten Kirchengütern in Aussicht:
"Wenn wir Diebe mit dem Strang, Mörder mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer bestrafen, warum greifen wir nicht vielmehr mit allen Waffen diese Lehrer des Verderbens an, diese Kardinäle, diese Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom, welche die Kirche Gottes ohne Unterlaß verderben, und waschen unsere Hände in ihrem Blute."
Luthers Worte "Von der Freiheit deines Christenmenschen" (1520) verstanden die Bauern als Verheißung des Endes der Unterdrückung durch die Feudalherren und nicht bloß die geistlichen.
Dem Bürgertum kam Luther insofern entgegen, als er die Ächtung bürgerlicher Erwerbstätigkeit aufhob und berufliche Arbeit zur menschlichen Pflicht und zum gottgefälligen Werk erklärte Am kanonischen Zinsverbot hielt er jedoch fest.
... daß es Luther dann aber lieber mit den Fürsten als mit den Bauern hielt Ein sicherer Instinkt führte Luther an die Seite derer, die allein langfristig von der Bewegung profitierten, die er wohl nicht verursacht, für die er aber das Startsignal gegeben hat. Als die Reformation sich zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet hatte, der von Luther klare Parteinahme forderte, schlug er sich auf die Seite der Fürsten, wetterte "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" (1525) und stellte damit klar, daß er die "Freiheit eines Christenmenschen" als bloß innerliche verstanden wissen wollte, obwohl er seinerzeit formuliert hatte:
"Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Ding und niemandem untertan."
Daß die Lehre des Schweizer Reformators Zwingli dagegen antifürstliche Vorstellungen wiedergibt Insgesamt stellt sich die lutherische Reformation als Kompromißideologie zwischen Handelsbürgertum und Feudalismus dar.
Radikalere, das heißt republikanische und antifürstliche Vorstellungen des Kleinbürgertums fanden ihren Ausdruck in der humanistisch-rationalistisch gefärbten Lehre des Züricher Reformators Huldrych Zwingli (1484-1531).
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