Die Wirtschaft Böhmens hatte sich im 14. Jahrhundert außerordentlich rasch entwic¬kelt. Eine wichtige Rolle spielten dabei die reichen Sil¬bervorkommen bei Kuttenberg (die 1237 entdeckt worden wa¬ren).
Wie es böses Blut machte, daß die von den böhmischen Fürsten ins Land geholten Deutschen die städtische Oberschicht bildeten und den hohen Klerus stellten Zur Förderung der Wirt¬schaft hatten Böhmens Fürsten im 13. Jahrhundert deutsche Einwanderer ins Land geholt. Kuttenberg und andere Berg¬städte wie Deutschbrod und Iglau waren vorwiegend von Deutschen bewohnt. In anderen Städten befanden sich der Rat und die vornehmeren Zünfte in den Händen der Deutschen. Die Masse der Handwerker und die Städtische Unterschicht stell¬ten die Tschechen. Die 1348 von Karl IV. (die böhmische [Wenzels-]Krone war 1310 an das Geschlecht der Luxemburger übergegangen) gegründete Prager Universität - die erste Universität auf dem Gebiet des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" überhaupt - wurde von Deutschen kontrol¬liert, den hohen Klerus stell¬ten die Deutschen.
Das ist die Situation, "in der jene dem Papst und den Deutschen feindliche Bewegung erwuchs, die nach dem Namen ihres vornehmsten literarischen Vertreters, Johannes Hus, die hussitische genannt worden ist."
Hus war Professor der Theologie an der Universität Prag. Seine Auffassungen kamen denen des englischen Theologen Wicliff nahe, der in den Acht¬zigerjahren des 13. Jahrhun¬derts zum Ketzer gestempelt worden war, nachdem aufständi¬sche Bauern seine Lehre aufge¬griffen hatten. Die deutschen Theologen in Prag bezeichneten 45 Sätze aus der Lehre Wicliffs als ketzerisch. Als sich Hus auch gegen den 1411 von Papst Johann XXIII. (vom Konzil in Konstanz 1415 abgesetzt) feil¬gebotenen Ablaß wandte und den Papst öffentlich als Antichrist bezeichnete, brach in Prag der offene Konflikt in Form gewalt¬tätiger Auseinandersetzungen zwischen hussitischen Tschechen und katholischen Deutschen aus.
Wie die Verbrennung des der Ketzerei verdächtigen Jan Hus einen Volksaufstnd auslöste Das 1414 in Konstanz zusammen¬getretene Konzil sollte nicht nur mit dem Umstand fertig wer¬den, daß es damals gerade drei Päpst gleichzeitig gab, sondern auch den Fall Johannes Hus ver¬handeln. Bekanntlich endete Hus trotz des ihm von Kaiser Sigis¬mund (1410 - 1437) zugesicherten freien Geleits auf dem Schei¬terhaufen. Die Verbrennung des Johann Hus aber kam einer Kriegserklärung von Kirche und Reich an Böhmen gleich. Sie lö¬ste einen Volksaufstand aus. Und auch die tschechischen Ade¬ligen eigneten sich - um Hussens Tod zu rächen, versteht sich - Kirchengüter an, wo sie nur konnten.
Daß die Hussitenbewegung keinen einheitlichen Block bildete Der gemeinsame Gegensatz zu Kirche und Reich, dessen Symbol der Kelch wurde, ver¬deckte kurzzeitig die Gegen¬sätze innerhalb der Anhänger¬schaft des Jan Hus, um sie dann umso deutlicher hervortreten zu lassen.
Jede Revolution wird erst von einem Taumel patriotischer Einigkeit, scheinbarer Versöh¬nung aller gegenüber dem Haupt¬feind erfaßt. Sobald dieser aber vorerst geschlagen ist, brechen die Gegensätze unter den Siegern in einem blutigen Kampf um die neue Ordnung auf.
Die Hochadeligen unter den Hussiten waren mit der reichli¬chen Konfiskation von Kirchen¬gut zufrieden und wünschten darüber hinaus keine Verände¬rung der bestehenden Gesell¬schaft, schon gar keine Bauern¬befreiung. Gemeinsam mit den reichen Bürgern vor allem Prags bildeten sie die Partei der Calixtiner (von lat. calix Kelch; auf das Symbol des Kelches wird weiter unten noch näher eingegangen).
Der niedere Adel hatte bei einer erfolgreichen Bauern¬revolution ebenfalls den Ver¬lust von Zins und Fronden zu gewärtigen, hatte andererseits aber mit der Masse der aufstän¬dischen Bauern im Rücken die Chance, den Hochadel auszu¬schalten. Dementsprechend schloß sich ein Teil der Rit¬terschaft der hochade¬lig-"gemäßigten" Partei, ein an¬derer der demokratischen Volks¬bewegung (Bauern, Handwerker, Taglöhner) an. Von den Rittern, die es mit der Volksbewegung hielten, ist vor allen anderen Zizka von Trocnow zu nennen.
Daß die "Taboriten" die radikale Vorhut der Hussiten darstellten, die die Veränderung der Gesellschaft nach dem urchristlich-kommunistischen Ideal anstrebte Die radikale Vorhut der hussitischen Volksbewegung strebte die Verwirklichung des urchristlich-kommunistischen Ideals an, wie es von allen seit dem Hohen Mittelalter ent¬standenen Sekten vertreten wor¬den war, von den Waldensern in Südfrankreich und Norditalien, von den Apostelbrüdern oder Pa¬tarenern in Norditalien, von den Begharden in Flandern, von den Lollharden in England.
Gewissermaßen das "Motto" der Letzteren lautete - ins Deutsche übertragen: "Als Adam pflügte, Eva spann, wo war da wohl der Edelmann?"
In Böhmen wurden die den urchristlichen Kommunismus anstrebenden Radikalen nach der von ihnen gegründeten befestigten Siedlung an der Luznic, der sie den alttestamentarischen Namen Tabor gegeben hatten, "Taboriten" genannt.
Ihre Hoffnung auf eine baldige grundlegende Verände¬rung der Gesellschaft äußerte sich (wie bei den anderen mit¬telalterlichen Sekten) in chi¬liastischen Erwartungen:
Wir wissen schon: In der Johannesapokalypse wird das Bild eines nahe bevor¬stehenden Reiches entworfen, das aus einem furchtbaren Kampf mit dem Antichrist, den Chri¬stus aber siegreich beenden wird, hervorgehen wird. Alle, die am Wort Gottes festgehalten haben, werden in diesem "Zukunftsstaat des Urchristen¬tums" mit Christus für tausend Jahre zur Herrschaft gelangen.
Ob die Hussiten wirklich wegen einer liturgischen Frage viele Jahre lang Krieg geführt haben Der Kelch sollte beim hei¬ligen Abendmahl unter den Laien kreisen, um auch dem Kirchen¬volk die Kommunion unter bei¬derlei Gestalt zu ermöglichen. Der Laienkelch wurde für die Hussiten zum "Feldzeichen, um das sie sich scharten, das sie bis zum äußersten verteidigten, aber nicht ihr Kampfobjekt".
Die Menschen haben einan¬der niemals bloß wegen liturgischer Fragen die Köpfe eingeschlagen, nicht einmal im Mittelalter. Da aber die Kirche ihre Lehre in den Dienst der Aufrechterhal¬tung der Feudalordnung stellte und die Mitglieder der hohen Geistlichkeit gleichzeitig Feu¬dalherren waren, mußte jede po¬litische Opposition notwendigerweise eine reli¬giöse Erscheinungsform haben, so wie die Bekämpfung solcher Opposition notwendigerweise mit ihrer Verketzerung verbunden war.
Die katholischen Theologen in Prag hielten in einer 76 Punkte umfassenden Liste die Abweichungen der Auffassungen der Taboriten vom wahren Glau¬ben fest. Den Taboriten wurde vorgeworfen, daß sie unter an¬derem folgendes lehrten:
"In dieser Zeit wird auf Erden kein König oder Herrscher, noch Un¬tertan sein, und alle Abgaben und Steuern werden aufhören, keiner wird den anderen zu et¬was zwingen, denn alle werden gleiche Brüder und Schwestern sein.
Wie in der Stadt Tabor kein Mein und Dein, sondern al¬les gemeinschaftlich ist, so soll immer alles allen gemein¬schaftlich sein und keiner ein Sondereigentum haben, umd wer solches hat, begeht eine Tod¬sünde."
Wie der taboritische Kommunismus die Mächtigen schreckte Der taboritische Kommunis¬mus war - so wie der urchristli¬che - ein Kommunismus des Kon¬sums, während ja der "rote" Kommunismus das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln in den Vordergrund stellt. "Praktisch gestaltete sich der Kommunismus schlie߬lich so wie bei den ersten Christen: Jede Familie arbei¬tete für sich und lieferte bloß den Überschuß, den sie er¬zielte, an die gemeinsame Kasse ab."
Die radikaleren Taboriten ("Adamiten") forderten den vollständigen Kommunismus, dem¬zufolge auch die Aufhebung der Familie und der Einzelehe. Es kam zum offenen, gewalttätigen Konflikt zwischen gemäßigten und radikalen Taboriten, der mit der Ausrottung der letzte¬ren unter der Führung Zizkas endete.
Die Ausrottung der Hussi¬tischen Ketzerei überhaupt mußte im Interesse aller feuda¬len Gewalten sein. Ein Abge¬sandter des Kardinallegaten Branda beschrieb dem Polenkönig die von den Taboriten ausge¬hende Gefahr mit folgenden Wor¬ten:
"Der Grund meiner Sendung ist die Ehre Gottes, das Wohl des Glaubens und der Kirche, die Rettung der menschlichen Gesellschaft. Ein großer Teil der Ketzer behauptet, es müsse alles gemeinsam sein, und man solle den Obrigkeiten keinerlei Zinstribut oder Gehorsam lei¬sten. Grundsätze, durch welche die menschliche Kultur vernich¬tet und jede sachgemäße, kun¬dige Führung der Menschheit un¬möglich gemacht wird. Sie er¬streben die Beseitigung aller göttlichen und menschlichen Rechte durch die rohe Gewalt; und es wird so weit kommen, daß weder die Könige und die Für¬sten in ihren Reichen und Herr¬schaften noch die Bürger in den Städten noch überhaupt jemand in seinem eigenen Hause vor ih¬rer Frechheit sicher ist; diese abscheuliche Ketzerei verfolgt ja nicht allein den Glauben oder die Kirche, sondern führt, vom Teufel getrieben, Krieg ge¬gen die ganze Menschheit, deren Rechte sie antastet und nieder¬reißt."
Bis 1431 wurden fünf Kreuzfahrerheere aufgeboten, die allesamt der von Zizka ge¬führten Taboriten nicht Herr werden konnten. Diese gingen, im Gegenteil, sogar zum Angriff über. Erst 1434 (in der Schlacht bei Lipan) konnten sie durch Verrat besiegt werden. Von 18.000 taboritischen Kämp¬fern fanden dabei 13.000 den Tod.
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