Im nächsten Schritt wird ein kleineres Protein benötigt, das für die Integration der DNA-Abschrift des Viruserbguts in das Erbgut der Wirtszelle notwendig ist. Die Bauanleitung für dieses Integrase genannte Protein ist auf demselben Gen gespeichert, das auch die Bauanleitung für die Reverse Transkriptase enthält. Zusätzlich besitzt dieses Gen auch die Bauanleitung für die Protease, die zunächst sich selbst abspaltet und dann die beiden anderen Enzyme freisetzt. Das zeigt sehr anschaulich, wie effizient das Virus mit wenig Information Proteine bzw. Enzyme mit vielen verschiedenen Funktionen herstellen kann. Die Integrase gelangt nun zusammen mit der DNA-Abschrift des Virus auf bisher nicht bekannte Weise in den Zellkern der Wirtszelle. Dort sorgt sie für den Einbau der DNA-Abschrift in das Erbgut des Wirts an
einer beliebigen Stelle. Etwa zehn Stunden nach dem Eindringen des HIV in seine Wirtszelle ist die Integration der Abschrift des Viruserbguts in das Erbgut des Wirts abgeschlossen.
In dieser Form kann das Virus theoretisch ohne zeitliche Begrenzung in der Zelle überdauern. Es verändert sich in diesem Stadium nicht. Die integrierte Abschrift des Viruserbguts kann aber bereits durch Produktion einiger Proteine die Zelle in ihrer Funktion hemmen. Man vermutet, daß virale Proteine des HIV eine direkte oder indirekte schwächende Wirkung auf die infizierte Zelle und damit auf das Immunsystem haben. Auf welche Weise dies geschieht, ist noch unbekannt. Sind genügend Zellen des Immunsystems durch Virenbefall abgestorben oder indirekt gehemmt, können erste Symptome von AIDS bereits zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden. Etwa 80 Prozent der Infizierten können aber zunächst eine gute Immunabwehr gegen die von den befallenen Zellen produzierten Viren aufbauen und werden nach den ersten Symptomen der Primärinfektion (die oft grippeänlich, mit Lymphknotenschwellungen verlaufen) scheinbar wieder gesund. In ihnen \"schlummert\" das Virus im Erbgut der befallenen Zellen, ohne viele Nachkommen zu produzieren und damit dem Immunsystem zu \"verraten\", daß seine Wirtszelle infiziert ist. Das Virus wird ja auch auf andere, unauffällige Weise vermehrt: Bei jeder Zellteilung wird das integrierte Viruserbgut wie ein Bestandteil des Wirtszellerbguts an die Tochterzellen weitergegeben. Dadurch findet eine latente Vermehrung der Viren bei jeder Zellteilung statt. Da das Stadium der latenten Vermehrung sehr lange andauern kann, kommt es erst mehrere Jahre nach der Infektion zum Ausbruch der AIDS-Symptome.
Innerhalb der Retroviren zahlen die AIDS-Viren deshalb zu den sogenannten Lentiviren. Lenti steht für \"die Langsamen\" und deutet auf eine normalerweise langsame Vermehrung der Viren in einem befallenen Organismus hin.
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