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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Natur-




Zuerst muß man jedoch klären, was man genauer meint, wenn man von ¯Na-



tur® und ¯natürlich® spricht. John Stuart Mill hat in seinem berühmten Essay

¯Natur® (1850-1858) den Begriff ausführlich untersucht. Er findet heraus, daß

¯Natur in der einfachsten Bedeutung des Wortes ein Kollektivname für alle

wirklichen und möglichen Tatsachen, oder, um genauer zu reden, ein Name für

die uns teilweise bekannte, teilweise unbekannte Art und Weise, wie alles

geschieht® (Mill 1874, 11) gebraucht wird. Natur ist somit ¯der Inbegriff der

Kräfte und Eigenschaften aller Dinge® (Mill 1874, 10f.), also z.B. die allgemei-



nen Naturgesetze. Diese Definition erinnert an den griechischen Begriff von

Natur. Auf Griechisch heißt Natur ¯Physis®, das heißt übersetzt: das, was von

sich aus in Erscheinung tritt und wächst.

Umgangssprachlich wird Natur aber noch in einer anderen Weise gebraucht,

z.B. in der Gegenüberstellung von Natur und Kunst, natürlich und künstlich.

Denn nach der ersten Definition wäre auch die Kunst Natur, denn sie folgt

selbstverständlich den Naturgesetzen.

Der Unterschied besteht darin, daß in der zweiten Bedeutung Natur nur das

meint, ¯was ohne die Mitwirkung, d.h. die willentliche und absichtliche Mit

wirkung des Menschen geschieht® (Mill 1874, 13). Auf der einen Seite also ein

¯Machen®, auf der anderen Seite ein ¯Wachsenlassen®.

Diese Unterscheidung ist sehr wichtig, denn mit dem Begriff Natur verbindet

man immer auch moralische Ansprüche. Schon bei den Griechen und Römern

war Natur nämlich auch ein Prüfstein der Moral. ¯Naturam sequi®, der Natur

folgen, lautete der Leitspruch der Epikureer und Stoiker, zwei philosophische

Schulen, die total Entgegengesetztes lehrten, wenngleich beide für sich in

Anspruch nahmen, ihre Lebensregeln entsprächen den Geboten der Natur.

Wenn also heute ¯naturgemäß® als ein starkes moralisches Argument für Quali-



tät gilt, so ist das nichts Neues.

Damit sind wir aber unbemerkt zu einer dritten Bedeutung von Natur gelangt.

Natur kann ein Kriterium für das sein, was wir tun sollen. Natur gibt so die

Regel und den Maßstab ab, für das, was sein sollte.

Wird die Natur aber zum moralischen Maßstab, so ist offenbar die zweite

Bedeutung von Natur gemeint, denn nach der ersten Bedeutung des Wortes

kann der Mensch gar nicht anders, als der Natur, also den Naturgesetzen,

folgen. ¯Naturam sequi® heißt also, ¯sich den spontanen Lauf der Dinge zum

Modell seiner bewußten Handlungen wählen® (Mill 1874, 62).

Schon in der Scholastik unterschied man zwischen der ¯natura naturans® als

die wirkende oder Schöpferkraft und ¯natura naturata® als dem durch diese

Kraft Bewirkten oder Geschaffenen (vgl. Meyer-Abich 1986, 129). ¯Natura

naturans¯ wird hier verstanden als die grundlegende Kraft, die alle Dinge

hervorbringt, sie wirkt in allem, was lebt.

Mill spielt diesen Gedanken durch und kommt zu dem Ergebnis, daß es mora-



lisch nicht zu rechtfertigen ist, die Natur als Vorbild des Handelns zu nehmen.

Denn die Natur kennt kein Mitleid und keine Gerechtigkeit, sie ist rücksichtslos.

Das Ende wäre ein extremer Darwinismus, bei dem nur das Recht des Stärkeren

gilt. Interessant ist aber nun wiederum seine Schlußfolgerung: Die Natur muß

nicht befolgt, die Natur muß überwunden werden. ¯Jede nützliche Handlung®

besteht ¯in einer Verbesserung der Natur® (Mill 1874, 62) - so lautet die Quint

essenz seiner Gedanken.

Diese Haltung Mills - in der Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert - hat ihre

extreme Bestätigung erfahren in den modernen Naturwissenschaften. Sie sind

ausgezogen mit dem erklärten Ziel, das Leben des Menschen zu verbessern.

Deshalb ist es notwendig, einen Blick auf das Weltbild der Naturwissenschaften

zu werfen, denn unser heutiges Naturverständnis ist entscheidend davon

geprägt.





3.1 Das mechanistische Weltbild von Natur und Mensch



Die westliche Naturwissenschaft und Technik ist analytisch und atomistisch

ausgerichtet. Sie hat ihre großen Fortschritte dadurch erreicht, daß sie Atome

und Organismen untersuchte, indem sie sie in Einzelteile zerlegte und inter-



pretierte. Schon die Organisation der Naturwissenschaften, ihre Aufgliederung

in immer kleinere Abteilungen, zeigt die atomistische Sicht.

Die großartigen Erfolge, die durch immer weitergehende Spezialisierung erzielt

wurden, dürfen nicht über die Nachteile hinwegtäuschen. So interessant es z.B.

in der Biologie ist, einzelne Pflanzen morphologisch und physiologisch zu

untersuchen, so fatal ist die Wirkung, wenn dies losgelöst gesehen wird vom

ökologischen Zusammenhang.

Eine solche mechanistische und atomistische Naturwissenschaft ist nicht nur

widernatürlich, sie ist auch menschenfeindlich. Dies wird besonders in der

Schulmedizin deutlich, die den Menschen in Einzelteile zerlegt und das kranke

Organ behandelt, anstatt den Menschen als lebendigen Organismus zu ver-



stehen.

Hier wird auch deutlich, daß unsere moderne Einstellung sich letzten Endes

nicht nur gegen die Natur richtet, sondern genauso gegen den Menschen selbst.

Nicht nur die Natur wird instrumentalisiert, der Mensch genauso.

Die Naturwissenschaft ist aber nicht von sich aus atomistisch. Ein Darwin z.B.

hätte seine Erkenntnisse niemals gewinnen können, hätte er atomistisch

gedacht. Deshalb ist unsere Kritik auch nicht als wissenschaftsfeindlich zu

verstehen. Die Naturwissenschaft braucht ein neues wissenschaftliches Welt-



bild, das eine einheitliche Betrachtungsweise möglich macht.





3.2 Das ökologische Weltbild von Natur und Mensch



Diese neue Betrachtungsweise könnte man - wie in der Literatur vielfach vor

geschlagen - ¯ökologisches Weltbild® nennen. Folgende Forderungen muß man

daran stellen:



1. Kein Rückschritt zur Mystifizierung der Natur.

2. Darstellung der gegenseitigen Abhängigkeit alles Lebendigem.

3. Neue Standortbestimmung des Menschen innerhalb der Natur und in

Unterscheidung zur Natur.

4. Verständnis der Natur als gleichberechtigter Partner des Menschen.

5. Alle Lebewesen, ob Mensch, Pflanze oder Tier, haben einen Eigen-



wert und somit das Recht zu existieren und sich zu entwickeln.



ad 5: Gerade am Beispiel der letzten Forderung können wir die Schwierigkeiten

aufzeigen, mit denen ein ökologisches Weltbild zu kämpfen hat.

In der Rechtsprechung gibt es bisher noch keinen Hinweis darauf, daß der Natur

genuine Rechte zuerkannt werden. Die gesamte Gesetzgebung der Bundesre

publik Deutschland ist anthropozentrisch aufgebaut und begründet. So werden

z.B. im õ 1 des Bundesnaturschutzgesetzes folgende Ziele des Naturschutzes

genannt:



¯Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu

schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß

1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts,

2. die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter,

3. die Pflanzen- und Tierwelt sowie

4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als

Lebensgrundlagen des Menschen und als Voraussetzung für seine Erho

lung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind® (BNatSchG õ 1,

Abs. 1).



Auch bei der Frage, ob der Umweltschutz als Grundrecht im Grundgesetz

verankert werden soll, wird vom Menschen her argumentiert. Die weitestgehen-



de Forderung, den Artikel 2, Abs. 2, der bisher so lautet: ¯Jeder hat das Recht

auf Leben und körperliche Unversehrtheit®, zu ändern in: ¯Jeder hat das Recht

auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Erhaltung seiner natürlichen

Lebensgrundlagen und den Schutz vor erheblichen Beeinträchtigungen seiner

natürlichen Umwelt® geht nicht von einem Recht der Natur aus, sondern will

das Recht des Menschen erweitern.

Es stellt sich also dringend die Frage, ob der Natur überhaupt Rechte zugespro-



chen werden können.

Unter anthropozentrischem Gesichtspunkt haben wir die Frage nach etwaigen

Rechten der Tiere schon angesprochen und gesehen, daß sie verneint wird. Die

Frage muß jedoch noch genauer untersucht werden.

Wer ein Recht geltend machen kann, hat auf etwas gegenüber irgend jemandem

einen Anspruch, und umgekehrt besteht eine Pflicht gegenüber jemandem. Da

Tiere jedoch keine moralischen Wesen sind, können ihnen auch keine Pflichten

zugesprochen werden, denn sie sind instinktgebunden, sie können keine Ver

sprechen geben, man kann sie auch nicht wegen moralischen Fehlverhaltens

tadeln.

Weiter wird eingewendet, daß die Tiere aufgrund ihres geistigen Unvermögens

nicht in der Lage sind, Rechtsansprüche einzufordern. Ja sie können noch nicht

einmal unterscheiden, ob ihnen rechtswidriges Leid zugefügt wurde oder nicht.

Es ist jedoch die Frage, ob dies ein Grund sein kann, Tieren einen Rechtsan-



spruch zu verwehren. Wenn nämlich die geistigen Fähigkeiten eine notwendige

Bedingung darstellen, dann muß man auch Schwachsinnigen und Kleinkindern

Rechtsansprüche absprechen. Da dies jedoch nicht geschieht und solche

Personengruppen ihre Interessen durch einen Anwalt vertreten lassen können,

müßte dies bei Tieren doch auch möglich sein.

Man kann natürlich einwenden, daß Tiere überhaupt keinen Auftrag zur Ver-



tretung erteilen können. Dies ist jedoch kein Gegenargument, denn im mensch-



lichen Bereich ist dies ja gerade der Grund dafür, daß z.B. bei Geisteskranken

Anwälte tätig werden, der Auftraggeber bleibt dabei vollkommen passiv.

Wenn man nun weiter davon ausgeht, daß Tiere bestimmte Bedürfnisse haben,

um ihr Leben artgerecht zu verwirklichen, dann kann man sagen, daß der

Mensch dazu verpflichtet ist, Tiere um ihrer selbst willen rücksichtsvoll zu

behandeln. Auf eine Formel gebracht könnte man - mit Dieter Birnbacher (1980,

125) - so sagen: ¯X hat immer dann ein Recht gegenüber Y, wenn Y eine

Pflicht gegenüber X hat.® Das heißt also: Tiere haben immer dann Rechte

gegenüber Menschen, wenn Menschen eine Pflicht gegenüber Tieren haben.

Entscheidend ist dabei das ¯gegenüber®, denn damit wird anerkannt, daß die

Pflicht dem Tier selbst geschuldet ist.

ad 3, 4: Das traditionelle Verhältnis des Menschen zur Natur überhaupt steht

damit zur Disposition. Die Gefahren, die wir selbst verschuldet haben, haben

uns auch sensibel gemacht. Die progressive Unterwerfung der Natur weicht

mehr und mehr dem Bewußtsein der ¯Verantwortung für die Erhaltung und

Reproduktion der Natur® (Spaemann 1979, 193). Die Macht und die Möglich-



keiten, die allein der Mensch hat, fordern geradezu sein Verantwortungsbe-



wußtsein heraus. ¯Das ist die einzig mögliche Konsequenz aus seiner ambiva-



lenten Lage, einerseits aufgrund seiner Instinktungebundenheit und Vernunft

\"über der Natur\" zu stehen, andererseits aber doch natürliches Wesen und mit

seiner Existenz an natürliche Voraussetzungen gebunden zu bleiben® (Spae-



mann 1979, 197).

Nebenbei bemerkt: Das betrifft nicht nur die Fragen des Umweltschutzes, auch

die ethischen Probleme der Gentechnologie müßten von diesem Gesichtspunkt

her neu überdacht werden.

ad 2: In Anfängen bereits erkennen wir die Interdependenz aller ökologischen

Systeme. Hier ist die Aufgabe der Biologie und Tkologie, die Zusammenhänge

aufzuzeigen und wissenschaftlich gesicherte Grundlagen zur Entscheidung

anzubieten. Der anthropozentrische Funktionalismus zerstört ja nicht nur die

Natur, sondern auch den Menschen. Nur wenn wir mehr über die Natur wissen,

können wir der gängigen Kosten-Nutzen-Rechnung etwas sberzeugendes

entgegensetzen.





3.3 Zusammenfassung



Indem wir von der Natur sprechen, sprechen wir immer als Menschen von der

Natur. Die Natur macht keine Aussagen über sich - nur der Mensch kann Aus-



sagen von sich machen.

Dann verwundert es nicht, wenn die Natur als das definiert wird, was ohne den

Willen des Menschen existiert. In seinem natürlichen Bestreben, die Natur zu

verstehen, hat die Natur-Wissenschaft ihren Gegenstand in Einzelteile zerlegt

und analysiert. Wird diese Haltung als Prinzip und Methode verabsolutiert,

verliert man den sberblick, vernachlässigt die gegenseitige Abhängigkeit der

Teile.

Dies berücksichtigt das ¯ökologische Weltbild®, das kein Zurück zur Mystifizie-



rung der Natur darstellt, aber die Natur in ihrer Gesamtheit und den Menschen

in seiner besonderen Stellung in ihr sieht.

In der Beziehung Mensch - Natur muß der Mensch also seinem Partner Natur

wieder einen anderen Stellenwert einräumen. Das neue, partnerschaftliche

Verhältnis von Mensch und Natur berücksichtigt das eigentümliche Wesen des

Menschen, der einerseits ganz Natur ist, andererseits die Natur immer als

einziges Lebewesen notwendig und wesensmäßig transzendiert.

 
 

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