Im Gegensatz zu den bisher besprochenen monogen vererbten Krankheiten wird die KHK durch zahlreiche genetische (\"polygene Vererbung\") und umweltbedingte Faktoren begründet. Da die KHK eine der Haupt-Todesursachen unserer Wohlstandsgesellschaft ist, ist das Interesse an ihrer Aufklärung naturgemäß groß, so daß einige der bisherigen Beiträge der Gentechnik dazu hier dargestellt werden sollen.
Um überleben zu können, muß ein Organismus in seinem Innern ein wohldefiniertes stoffliches \"Milieu\" aufrechterhalten (\"Homöostase\"). Da der Stoff- und Energieaustausch mit der Umgebung jedoch diskontinuierlich erfolgt, haben die höheren Organismen im Laufe der Evolution Speichermechanismen und Regelkreise entwickelt, die es ihnen erlauben, solche \"Spitzen\" z.B. an Nährstoffangebot oder -mangel abzufangen und zu kompensieren. Allerdings hat dieses Kompensationsvermögen Grenzen: Es gibt für alle Substanzen ein \"zu viel\" und ein \"zu wenig\", das für den Organismus nicht mehr tolerabel ist. Da die Speichermechanismen und Regelkreise in 1. Linie durch Proteine - Enzyme und Strukturproteine - aufrechterhalten werden, ist klar, daß die Fähigkeit des Organismus (fitness), die auf ihn einwirkenden Stoffe dem homöostatischen Gleichgewicht zuzuführen oder sie abzuwehren, genetisch determiniert ist und der genetischen Varianz der Individuen unterliegt.
Die epidemiologisch erfaßten Auslöser der KHK, die sattsam bekannten \"Risikofaktoren\" wie Rauchen und Überernährung schlagen sich in entsprechend veränderten Serumspiegeln z.B. der Cholesterin-transportierenden LDLs und HDLs (low density und high density lipoproteins) oder des Gerinnungsfaktors Fibrinogen oder anderer Glieder der o.g. Speicher- und Regelmechanismen nieder; offenbar ist der Organismus mit der Kompensation dieser Umwelteinflüsse mehr oder weniger überfordert. Gleichzeitig weiß man aber, daß z.B. die genannten Serumspiegel genetisch determiniert sind und kennt einige der beteiligten Gene, z.B. das LDL-Rezeptor-Gen (Chromosom 19), den Fbrinogen-Gen-Locus auf dem langen Arm von Chromosom 4 oder das Apolipoprotein-apoAI-Gen auf Chromosom 11.
apoAI ist ein Baustein der HDLs, die für den \"Abtransport\" des Cholesterins aus dem Organismus und seine Verstoffwechselung in der Leber sorgen (mit den LDLs wird den Geweben dagegen Cholesterin zugeführt), und der HDL-Spiegel ist bei Risikopersonen wie z.B. Rauchern erniedrigt und der LDL-Spiegel erhöht. Während Träger der Allelen \"G/A\" oder \"A/A\" also mit einem erhöhten HDL-Spiegel (und damit einem geringeren Infarktrisiko) leben als diejenigen mit den \"G/G\"-Allelen, wird dieser Effekt durch das Rauchen zunichte gemacht; welcher molekulargenetische Mechanismus dieser Beobachtung zugrundeliegt, ist noch nicht bekannt.
Ähnliche Varianten wie beim apoAI-Gen kennt man z.B. auch vom Fibrinogen-Gen, und so läßt sich für die verschiedenen Genotypen das KHK-Risiko abschätzen.
Allerdings sind bei dieser Abschätzung erst 2 der zahlreichen genetischen Determinanten des Herzinfarkt-Risikos erfaßt, was im Hinblick auf die Vielzahl der beteiligten Risikofaktoren (entsprechend der polygenen Vererbung) noch sehr grob ist.
Wie bereits erwähnt, ist das LDL-Rezeptor-Gen eine weitere Variable in diesem System, bei der eine Mutation bei heterozygoten Personen (ca. jeder 500. Mensch) ein erhöhtes Infarktrisiko, bei homozygoten Kindern jedoch Arteriosklerose und meistens einen frühen Tod nach sich zieht (familiäre Hypercholesterinämie). Zurückzuführen sind diese Mutationen wohl auf Rekombinationen zwischen Alu-Sequenzen, die über das Genom verstreut sind.
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