6.1 Der Wolf in Gefangenschaftbr /
Der freilebende Wolf versetzte durch Jahrhunderte die Menschen in Schrecken, erweckte Angst und Hass. Der Wolf in Gefangenschaft, hinter den Gittern eines Käfigs, kitzelte den Mut des Menschen, der sich dann ungefährdet auch als Herr dieser "blutrünstigen Bestie" fühlte. Das könnten auch die ersten Motivationen für das Fangen von Wölfen für Menagerien, Tiergärten und Zoos gewesen sein. Mit der Zeit entwickelte sich der Aspekt der Haltung von Wölfen in Gefangenschaft aus Gründen des Erkenntnisgewinns. Man entdeckte, dass damit eine einmalige Gelegenheit zur Untersuchung und Beobachtung der Wölfe, ihrer Entwicklung und ihres Verhaltens gegeben war. So entstanden klassische Arbeiten aus diesem Bereichen.
In Nordamerika erfreuen sich sogenannte Wolfparks großer Popularität. Einer der berühmtesten befindet sich im Staate Montana, USA. Die Wölfe halten sich dort unter halbnatürlichen Bedingungen in großen gezäunten Gehen auf. Rundherum sind türme und Punkte zur bequemen Beobachtung der Tiere angeordnet. Die Wölfe sind gezähmt oder zumindest an die Gegenwart des Menschen gewöhnt, führen aber ihr natürliches Leben weiter: werfen, ziehen Junge auf und unterhalten soziale Bindungen. Alles das geschieht unter den Augen der Besucher, die auf diese Weise das Leben der Wölfe kennen lernen. Darüber hinaus führt man dort Untersuchungen an bedrohten Unterarten sowie am Verhalten der Wölfe durch.
Es wurden vielfältige Versuche zur Zähmung von Wölfen unternommen. Die Chancen der Zähmung sind groß, wenn die Arbeit mit den Wölfen bis zum 2. Lebensmonat begonnen wird. Selten gelingt die Zähmung allerdings auch mit älteren Welpen. Aber viele von ihnen werden mit zunehmenden alter schwierig im Umgang mit Menschen. Die Welpen verlangen viel Zeit für Pflege und Einfühlung, damit sich dauerhafte Bindungen zum Menschen anbahnen können. Denn Wolfseltern und die in der Gruppe verbliebenen älteren Geschwister beschäftigen sich stundenlang mit den Jungen.
Bei verschiedenen Wölfen kann aber auch ein sehr unterschiedlicher Grad der Zahmheit erreicht werden. Das Ergebnis hängt nicht nur davon ab, dass jedes Individuum eine unterschiedliche Persönlichkeit ist, sondern auch von der differenzierten Art und Weise der Erziehung der Wölfe durch ihre Betreuer. Wenn jedoch der Welpe entsprechend behandelt und mit großer Fürsorge umgeben wird, wird er sehr freundschaftlich, zärtlich und zeigt große Verbundenheit zu seinem Pfleger. Nie jedoch wird er zahm wie ein Haushund!
In Nordamerika und Westeuropa ist in letzter Zeit die Mode ausgebrochen, einen gezähmten Wolf besitzen zu müssen. Viele Leute betrachten das als Extravaganz, mit der sie anderen imponieren wollen. Es gibt auch Menschen die in redlicher Absicht handeln. Sie wollen den Wolf kennen lernen und das Verhältnis anderer Menschen zu Wölfen verbessern. Es scheint jedoch, dass unabhängig von den Motiven, diese Handlungsweise nur die Besitzer der Wölfe selbst beglücken, weniger die durch sie gehaltenen Tiere. Weil das angemessenste Biotop der Wölfe die Wildbahn ist, sollten Menschen, denen wirklich am Wohl dieser Tierart gelegen ist, eher die Schaffung einer den Wölfen entsprechenden natürlichen Umwelt unterstützen.
Ganz falsch ist die Meinung, dass durch Verpaarung mit einem Wolf der Hund schärfer wird. Ganz im Gegenteil! Infolge des an Wald und Wildbahn angepassten Charakters des Wolfes und seiner angeborenen Menschenscheu wird ein Hybride aus Wolf und Hund einerseits ängstlicher und zurückhaltender, als der seit Jahrtausenden für die Belange des Menschen gezüchteten Haushunde. Andererseits wird der Mischling für den Menschen unberechenbarer und auch gefährlicher, denn seine Furcht vor dem Menschen ist geringer geworden. Deshalb kann es beim Zusammentreffen mit dem Menschen eher zu Konflikten kommen.
Eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Bevölkerung über die Natur des Wolfes und in der naturwissenschaftlichen Erziehung der Jugend spielen Einrichtungen, in denen Wölfe mit ihrem Verhalten beobachtet werden können. Das sind vor allem Tierparks und Zoologische Gärten.
Mit einem nicht verwandten Paar eine Wolfhaltung zu begründen, was der Biologie des Wolfes entspricht, scheint manchem Tierparkdirektor (ich betone: nur manchem) nicht zu genügen, vermutlich aus Unwissenheit, obwohl bereits im ersten Jahr nach der Ranz vier bis sechs oder mehr Junge die Familie vergrößern und die Attraktivität für die Besucher steigern würde. Schnell ist ein "normales", das heißt aus sich selbst bewachsenes Rudel entstanden. Statt dessen werden mehrere erwachsenen Wölfe zusammengestellt: innerartliche Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.
6.2 Der Schutz des Wolfes (am Beispiel Werner Freund)
Deutschland hat sich im Bereich der Wolfshaltung zu einem Vorbild entwickelt, was soziale Zusammensetzung, Gehegegröße und -struktur betrifft. In den letzten Jahren sind zahlreiche neue "Wolfparks" entstanden, wie zum Beispiel in Vahrendorf (Landkreis Harburg bei Hamburg) die sogenannte "Wolfsschlucht"
Im Kammerforst Merzig befindet sich wohl der bekannteste Wolfpark...mit mehreren Rudeln aus den verschiedenen Unterarten. Werner Freund betreut hier Timberwölfe, die besonders bedrohten Indischen Wölfe, Arktiswölfe sowie europäische Tiere. Von seinem Lehrer Prof. Dr. Konrad Lorenz, Begründer der Human- und Tierpsychologie verbindenden Verhaltensforschung, als "Ehrenwolf" bezeichnet, lebt er als Wolf unter Wölfen. Sein Charakter hat sich durch und mit dem der Wölfe gebildet. Er lernt von ihnen, nicht sie von ihm.
Insgesamt 58 Wölfe haben er und seine Frau Erika in 26 Jahren im Merziger Kammerforst aufgezogen, und derzeit lebt der Wolfsmensch mit 24 indischen, europäischen, arktischen und kanadischen Wölfen in vier Rudeln zusammen. Betritt er eines der Gehe so scheint es, als bleibe der Mensch Werner Freund zurück und allein der "Ehrenwolf" nähert sich seinen Kumpanen von denen er respektvoll als Oberwolf anerkannt wird. Allein diese Nähe ermöglicht ihm, zu jenen verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen, die durch die Beobachtung der Tiere in freier Wildbahn oder in Zoos nicht möglich sind.
"Doch bei aller Ehre, das Leben mit Wölfen verlangt ganz direkte und konkrete wölfische Verhaltensweisen. Die soziale Führung des Rudel obliegt dem Alphawolf. Mit dem Funktionieren der engen Beziehung zum Alphawolf steht und fällt meine Beziehung zum gesamten Rudel. Hierbei sind Gefühl und Reaktion maßgeblich. In der Natur führt der Alphawolf das Rudel, aber in der speziellen Konstellation Wolf - Mensch stehe ich über dem Alphatier, bin also der Oberwolf. Diese herausgehobene Position ist nötig, da ich mich nicht in Positionskämpfe verwickeln lassen kann. Will ich überleben, muss ich wahrsten Sinne des Wortes "unantastbar" sein. Und dennoch: überraschen lassen darf ich mich nie. Denn kommt es doch einmal zu einem Angriff des Alphawolfes und ich blocke nicht sofort mit Entschiedenheit ab, zum Beispiel durch einen Kinnhacken, Biss in den Fang oder einen Tritt mit dem Stiefel unters Kinn, habe ich meine Position für immer verspielt und werde aus dem Rudel ausgeschlossen. Blocke ich aber ab, ist der Alphawolf überrascht, seine Angriffshaltung verwandelt sich schlagartig in Demut und das Rudel akzeptiert mich weiterhin als seinen zweibeinigen Ehrenwolf". Freund kam während seiner langjährigen Arbeit mit Wölfen nur dreimal in die Verlegenheit, einen Angriff seitens der Wölfe abwehren zu müssen, und in allen Fällen handelte es sich um Fehler von ihm, die zu diesen Reaktionen führten.
Freund zieht all seine Wölfe von Geburt an auf, oft übernimmt er Welpen von Tiergärten, die keinen Platz mehr für die Tiere haben. Er betont die Wichtigkeit, mit den Wölfen während ihrer Prägungszeit Kontakt zu haben, denn schließlich übernimmt er die Rolle der Mutter für die Jungen. Ungefähr ab dem 77. Lebenstag knüpft ein Wolf nur mehr sehr schwer soziale Bindungen.
Aufgrund der Tatsache, dass Werner Freund mehrere Rudel verschiedener Unterarten betreute, konnte er Verhaltensdifferenzen unter ihnen ausmachen, die zuvor in der Verhaltensforschung bei Wölfen nicht möglich gewesen waren. Zum Beispiel beschreibt er die Indischen Wölfe als sehr viel furchtsamer den Menschen gegenüber, als deren Europäischen Verwandten oder gar den Arktiswölfen. Auch zeigen sich hier Unterschiede in den sozialen Bindungen. Wölfe, die in Gebieten leben, wo Großwild die Hauptnahrung darstellen jagen im Rudel, die Indischen Wölfe hingegen, die wegen der Bedrohung durch die Menschen sehr zurückgezogen leben und sich von Kleinwild ernähren, neigen vor allem in Zeiten der Nahrungsknappheit zum Einzelgängertum.
Ohne Werner Freund wäre die Wissenschaft auf dem Bereich der Wolfsforschung weit weniger entwickelt.
"Zum Abschied schenkte er (Konrad Lorenz) mir sein letztes Buch "Rettet die Hoffnung" mit der Widmung: "Herrn Werner Freund, dem Kenner der Wölfe freundlichst zugeeignet". Er riet mir, unbedingt weiter über die Wölfe zu berichten: "sie wissen zu viel, das darf nicht verloren gehen". Seine Worte wurden für mich zum Auftrag denn ich verehre diesen Menschen, er ist mein Vorbild. Ohne Konrad Lorenz' Vermächtnis wären meine beiden Bücher "Wolfsmensch" und "Ein Wolf unter Wölfen" nie zustande gekommen"
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