In der Mitte der 50er-Jahre setzt in ganz Deutschland eine zunächst kleine und schwache - am Ende aber unglaublich massive und unmenschliche Hetzkampagne gegen Heinrich Böll ein. Der Anlass hierfür ist zunächst unscheinbar, und die ganze Sache eigentlich gar nicht wert: Der Nordwestdeutsche Rundfunk sendete Bölls Erzählung \"Nicht nur zur Weihnachtszeit\" - prompt erfolgt die an Böll gerichtete bittere Kritik des Leiters der kirchlichen Rundfunkzentrale, Hans Werner von Meyenn: Die Geschichte sei \"lieblos, unbarmherzig, und unmenschlich\", außerdem eine \"Kritik ohne Verantwortung\". (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten
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dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 96, Zeile 20 und 21). Böll antwortete (gleiche Stelle, gleiches Buch): \"Angesichts der teilweise widerwärtigen Prosperität in der Bundesrepublik glaube er nicht, dass es etwas schaden kann, unserem westdeutschen restaurativen Selbstbewusstsein einen Schock zu versetzen.\" Er spielt damit auf die Verwandtschaft von Sentimentalität und Brutalität an, möchte angesichts des wirtschaftlichen Fortschritts und der Restauration des deutschen Bewusstseins nach dem dritten Weltkrieg auch einmal Kritik üben - und er reißt damit riesige Fronten auf. Die Konsequenzen, die sich aus der nun beginnenden Medienhetze ergeben, sollten ihm später Stoff für seine Erzählung \"Die verlorene Ehre der Katharina Blum\" geben. Böll wird im Laufe der Jahre von Christdemokraten mit Nazis verglichen und von der Presse des Springer-Verlages diffamiert. Dass diese Kritik gegenstandslos war beweist Bölls großes soziales und antifaschistisches Engagement in vielen Vereinen, auch als Präsident des PEN Deutschlands und des internationalen PEN.
Noch 1969 kann Böll in Deutschland Verhältnisse feststellen, die denen ähneln, die Heinrich Mann in seinem berühmten, eigentlich als historisch geltenden Roman \"Der Untertan\" beschrieb. (Heinrich Böll, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Klaus Schröter, im rororo-Verlag erschienen 1982, Seite 102, erste bis sechste Zeile): \"Es bedarf nur weniger Veränderungen, um aus diesem scheinbar historischen Roman einen aktuellen zu machen: den Mißbrauch alles , des , der Schein-Ideale für eine handfest-irdisch-materielle bürgerliche Interessengemeinschaft, der alles Humanitäre, sozialer Fortschritt, Befreiung jeglicher Art verdächtig ist, deren Moral heuchlerisch ist, die kritiklos untertan ist [...]\" Der Konflikt zwischen Heinrich Böll und dem konservativen Bügertum und der Axel-Springer Presse verschärft sich in den Jahren, in denen das Thema Terrorismus in Deutschland aktuell wird: Böll reagiert auf die unverschämte Behauptung der BILD-Zeitung, Teile der RAF seien an einem Bankraub beteiligt gewesen - obwohl es keine Indizien hierfür gab - indem er im SPIEGEL des 10. 01. 1972 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er diese Form der Berichterstattung als \"Aufforderung zur Lynchjustiz\", als \"nackten Faschismus\", als \"Verhetzung, Lüge, Dreck\" beschreibt. Die BILD-Zeitung kontert am Tag darauf, indem sie Böll mit einem Nazi und einem \"SED-Chefideologen\" vergleicht. Als Andreas Baader am 1. Juni des selben Jahres gestellt wird, wird auch Bölls Haus umstellt, und die Polizei fahndet nach Terroristen. Am 7. Juni bezeichnet der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Vogel die Bölls als Helfershelfer der Terroristen, als übere innere Sicherheit debattiert wird.
1974 erscheint dann, mit Sicherheit als eine Reaktion auf die Verleumdnungen der Axel-Springer-Presse und der CDU/CSU sowie auf die vorhergegangenen Hetzkampagnen gedacht, \"Die verlorene Ehre der Katharina Blum\". In der Zeit, in der diese Erzählung ein Verkaufsschlager ist, werden die Bestseller-Listen in der WELT und der BILD nicht abgedruckt.
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