Lorentz ist bestimmt DER wichtigster Physiker des aus-
gehenden 19. Jh. Auch wenn heute sogar die meisten
Physiker nicht mehr wissen, wer Lorentz eigentlich war.
Einstein beklagte: \"Die Physiker der jngeren Generation
sind sich meist der entscheidenden Rolle, welche H.A.
Lorentz bei der Gestaltung der fundamentalen Ideen in der
theoretischen Physik spielte, nicht mehr voll bewuát.\"
(A.E. \"Aus meinen sp"ten Jahren\") Er sagte anschlieáend,
daá ohne die Arbeit von Lorentz die Relativit"tstheorie
nicht m"glich gewesen w"re. Ein anderer Nobelpreis-
Physiker, Emilio Segre wrdigte: \"Lorentz\' Wurzeln liegen
bei Fresnel und Maxwell, w"hrend die Krone Planck und
Einstein berhrt.\" Kein Zweifel. Er ist der Brckenschlag
zwischen der klassischen und der modernen Physik.
Lorentz wurde in Holland geboren und blieb Zeit seines
Lebens in Holland, abgesehen von einigen Reisen, die ihn
nach Deutschland, Frankreich, England und die USA fhr-
ten. Man kann Lorentz als einen typischen Universit"ts-
professor ansehen. Er ist h"flich, zurckhaltend und
fachkundig. Er fhrte ein sehr ruhiges, geordnetes Leben,
heiratete eine Verwandte seines Kollegen und hatte viele
Kinder mit ihr. Alles in allem war es eine typisch
brgerliche Familie, w"re der Vater nicht Nobelpreis-
tr"ger geworden.
Lorentz war derjenige, der die Elektrodynamik, wie sie
von Maxwell hinterlassen wurde, in all ihren Konsequenzen
theoretisch bearbeitete. Dabei nahm er auch an, daá die
Lichtgeschwindigkeit konstant bleibt, in allen Koordina-
tensystemen. Dies hatte jedoch zur Folge, daá die uns ge-
wohnte Galilei-Transformation fr die Geschwindigkeit
ihre Gltigkeit verloren h"tte. Auch wenn jemand mit
halber Lichtgeschwindigkeit fliegt, bleibt fr ihn die
Lichtgeschwindigkeit 300 000 km/s, nicht etwa wie von
Galilei vorhergesagt 150 000 km/s! Durch konsequente
Anwendung der Mathematik entwickelte Lorentz stattdessen
eine neue Transformationsregel, die heute seinen Namen
tr"gt: Die L.-Transformation.
Wie im ersten Teil dieser Serie beschrieben wurde, ist
die Galilei-Transformation eine einfache Subtraktion:
T2 = T1 - DT
X2 = X1 - DX
Das alles gilt auch, wenn sich jemand bewegt. Man braucht
nur eine kleine nderung zu machen. Ein Beispiel soll das
verdeutlichen.
Flensburg liegt 310 km n"rdlich von Braunschweig. Hamburg
liegt 145 km n"rdlich von Braunschweig. Jemand f"hrt mit
einem Auto mit 100 km/h von Hamburg nach Norden (wir neh-
men an, daá es eine gerade Straáe zwischen den drei St"d-
ten gibt). Genau um Mitternacht, also 0 Uhr, f"hrt er von
Hamburg los. Um 0 Uhr liegt also Flensburg 165 km
n"rdlich von ihm. Um 1 Uhr liegt Flensburg nur noch 65 km
n"rdlich von ihm, denn in dieser Zeit ist sein Wagen um
210 km n"rdlich von Braunschweig. Um 2:39 Uhr ist er in
Flensburg angekommen.
Die Galilei-Transformation fr diesem Fall ist
X2 = X1 - DX - V * T1.
In unserem Beispiel ist X1 der Abstand zwischen
Braunschweig und Flensburg (310 km), DX der Abstand
zwischen Braunschweig und dem Autofahrer um 0 Uhr (145
km), V die Geschwindigkeit des Autofahrers (100 km/h). T1
ist die verstrichene Zeit.
Man kann sich die Sache noch etwas komplizierter vorstel-
len. Man kann annehmen, daá die Uhr des Autofahrers um
eine Stunde verstellt ist. Als die Atomuhr in der PTB in
Braunschweig gerade die Geisterstunde l"utete, zeigt
seine Uhr gerade 23:00. Angenommen, die beiden Uhren
liefen ansonsten gleich schnell. Das heiát, wenn die
Atomuhr 1:00 zeigt, steht auf die Uhr des Autofahrers
0:00. Auch das ist kein Problem, denn man kann auch hier
eine einfache Subtraktion als Umrechnung benutzen. Ich
schreibe sie hier nur noch einmal in Formel auf:
T2 = T1 - DT.
Bei der Lorentz-Transformation ist es anders. Sie hat die
Form:
T1 - X1 * V / c^2
T2 = -------------------------
( 1 - (V / c)^2 ) ^ 1/2
X1 - T1 * V
X2 = -------------------------
( 1 - (V / c)^2 ) ^ 1/2
Hier hat man angenommen, dass DX=0 und DT=0 seien. Also
am Anfang steht das Auto nicht etwa in Hamburg, sondern
auch in Braunschweig. Und die Uhr des Autofahrers ist mit
der Atomuhr verglichen und wird richtig gestellt.
Diese komplizierte Transformation kommt allein von der
Anforderung, daá die Lichtgeschwindigkeit konstant sein
muá. Sie hat nur unter dieser Bedingung Sinn. Genau wie
die uns vertraute Galilei-Transformation nur dann
sinnvoll ist, wenn sich das Licht genau so verh"lt, wie
alles andere, was uns vertraut ist.
Hier m"chte ich auch schon auf den Anwendungsbereich der
Relativit"t eingehen. Angenommen, die Geschwindigkeit des
Autofahrers V ist sehr klein gegenber der Lichtgeschwin-
digkeit (V=100 km/h =27 m/s ist wirklich j"mmerlich klein
gegenber c=300 000 000 m/s), dann ist V/c fast Null. Der
Nenner in der Transformationsformel wird dann zu 1. Das
gleiche gilt fr den Term V/c^2. Die Lorentz-Transforma-
tion wird dann mit der Galilei-Transformation fast iden-
tisch. Man braucht also nicht die relativistischen
Effekte zu bercksichtigen, wenn man mit dem Auto f"hrt.
Selbst wenn man mit der Concord fliegt, ist der Effekt
der Relativit"t vernachl"ssigbar.
Die Astronauten in einer Raumkapsel fliegen etwa mit
einer Geschwindigkeit von 10 km/s. Der Nenner in der
Lorentztransformation (die Physiker nennen ihn Gamma, wir
nennen ihn G ) wird fr V=10 km/s etwa 0.9999999994
ergeben. Man kann sagen, daá das schon 1 ist. Selbst in
der Raumfahrerei (das, was wir heute darunter verstehen)
werden die relativistischen Effekte also auch kaum
bercksichtigt.
Bei V=c/10 (das ist schon eine unvorstellbare Gr"sse) er-
gibt G = 0.995, auch fast vernachl"ssigbar. Bei V=c/4
ist immer noch G = 0.968. Erst wenn man sich mit halber
Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist der Relativit"tseffekt
nicht mehr zu bersehen: G = 0.866. Und danach wird G
drastisch kleiner, und damit 1/G immer gr"sser. Bei V=c
wird G=0 und 1/G = UNENDLICH!
Bei der Geschwindigket unterhalb von c/10 ist es noch
nicht n"tig, die relativistischen Effekte zu berck-
sichtigen. Sie machen die Sache nur unn"tig kompliziert.
Die eigentliche Effekte gehen bei solch berkomplizierten
Darstellungen unter, und die Messger"te sind meistens
sowieso nicht in der Lage, so kleine nderungen zu
registrieren.
Nun. So weit ber Lorentz. Es ist schade, daá Lorentz
seine Arbeit nicht weiter gefhrt hat. Er war sozusagen
schon mit einem Fuá in der Tr der Relativit"t. Aber
wahrscheinlich hatte ihn seine Vorsicht, die konservative
Einstellung, daran gehindert, den entscheidenden Schritt
zu gehen. Und den machte dann ein (damals) unbekannter
junger Mann. sber Einstein wird schon genug geschrieben,
ich werde ihn diesmal schonen. Im n"chsten Teil werde ich
dann aufzeigen, wie man die Lorentz-Transformation
benutzt, um die ganzen Effekte der Relativit"t
aufzudecken.
|