Julia ist zum Zeitpunkt des Geschehens erst 14 Jahre alt und unerfahren, was die Liebe betrifft. Als sie die Nachricht der Mutter erhält, daß Graf Paris um sie wirbt, ist sie unsicher, was zu tun ist. Fromm will sie sehen, ob Neigung entsteht. Sie scheint vorher nicht über die Liebe nachgedacht zu haben.
Maria hingegen ist nicht so schüchtern, sondern voller Tatendrang und bereit für Amerika und die Liebe. Bernardo hat Chino für sie als Bräutigam ausgewählt, doch sie weiß, daß er nicht der Richtige ist. Im Beisein Chinos trifft Maria Tony.
Diese Szene ist wie bei Romeo & Julia: Während Julia mit Graf Paris tanzt, nähert Romeo sich ihr und beide wissen sofort, daß sie einander gefunden haben, obwohl Julia sich anfangs sanft distanziert um nicht den Kopf zu verlieren. Sie deutet sein Begehr als "sittsam andachtsvollen Gruß eines frommen Pilgers" und läßt sich trotz der bereits entflammten Leidenschaft füreinander erst auf sein Bitten hin von ihm küssen. Kurz darauf erfährt sie, wer er ist. "So einz'ge Liebe aus großem Haß entbrannt, ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt". Julia ist sich durchaus des Risikos der Entdeckung mit allen Konsequenzen - sogar dem Tod Romeos ("die Stätt' ist Tod, bedenk nur, wer du bist") - bewußt.
Der temperamentvolle, überraschende Einbruch der Liebe in ihr Leben verklärt gewiß den Blick, doch sie zweifelt stets an der Richtigkeit dieser Hingabe: "Obwohl ich mich dein freue, freu ich mich nicht des Bundes dieser Nacht. Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich". Das gesamte Geschehen passiert innerhalb von nur vier Tagen, dh Julia fällt ihre Entscheidungen spontan und emotionsgeleitet. Sie entscheidet sich für die Liebe und geht so wissend die Gefahr des Jähzorns ihres Vaters und der Ächtung der gesamten Familie ein.
Maria in der Westside Story vergißt in dem Moment, als sie Tony zum ersten Mal sieht und auf ihn zugeht, alles um sich herum. Mit der Selbstverständlichkeit eines lang verheirateten Paares scheinen sie sich durch und durch zu kennen. Die beiden müssen die Herkunft des jeweilig anderen ahnen, sind doch nur Jets und Sharks anwesend. Bernardo erkennt die Gefahr und stört die weltvergessene Zweisamkeit. Auf die Frage ihres Bruders "Hast du denn nicht gesehen, daß er einer von denen ist?" antwortet Maria mit "Nein, ich habe nur ihn gesehen". Maria ist die einzige, die sich von Liebe, nicht von Haß leiten läßt, da sie erst seit kurzem hier ist und so haben sich die Aggressionen ihrer Landsleute gegenüber den Amerikanern auf sie noch nicht ausgewirkt. Wahrscheinlich würde Maria auch nicht durch die Beeinflussung anderer Puerto-Ricaner zulassen, daß Vorurteile ihre Beziehung zu Menschen ändern würden. Sie weiß, daß Tony die Liebe ihres Lebens ist und negiert die Tatsache, daß sie ihm eigentlich feindlich gesinnt sein müßte, wenn sie ihr Umfeld (Bruder, Eltern, andere Sharks) nicht enttäuschen will.
Als Tony Maria später findet (die Szene auf der Feuerleiter gleicht der Balkonszene bei rj sehr), ist für beide bereits klar, daß sie ihr Leben gemeinsam erleben wollen: "Es begann heute nacht, ich sah dich und der Rest der Welt verschwand, es gibt nur mehr dich für mich". Maria weiß, daß ihre Liebe zu Tony nicht geduldet werden wird, darum stellt sie sich einen Ort vor, wo sie beide gemeinsam leben können. "irgendwann, irgendwo gibt es einen Ort für uns, für unsere Liebe". Maria glaubt an die Erfüllung dieser gemeinsamen Sehnsucht, selbst nachdem Tony Bernardo getötet hat. Trotz der Verschärfung der Situation gibt Maria nicht auf.
Julia hingegen ahnt ein verhängnisvolles Schicksal ("Oh, Gott. Ich hab ein Unglück ahnend Herz. Mir deucht, ich seh' dich, da du unten bist, als lägst du tot in eines Grabes Tiefe"), als Romeo die Nacht bei ihr verbringt. Als ihr Vater sie zwingt den Grafen Paris zu heiraten, verzweifelt sie und flüchtet zu Pater Lorenzo. Mutlosigkeit und Schwermut haben Julia derart übermannt, daß sie Suizid begehen will. Erst als der Pater ihr seinen Plan mitteilt, schöpft sie neue Hoffnung, der Hochzeit entgehen und mit Romeo gemeinsam leben zu können.
Der Akt der Selbsttötung kann zu dieser Zeit noch durch den Pater vereitelt werden, in der Schlußszene jedoch wird er Realität. Als Julia erwacht und den toten Romeo vorfindet, küßt sie seine von Gift benetzten Lippen in dem Versuch den Tod zu finden "Gift seh ich, war sein Ende vor der Zeit. - Oh, Böser! Alles zu trinken, keinen güt'gen Tropfen mir zu gönnen, der mich zu dir brächt? Ich will dir deine Lippen küssen, vielleicht hängt noch ein wenig Gift daran und läßt mich an einer Labung sterben". Unfähig ohne ihren Geliebten Sinn in ihr Leben zu bringen und wegen ihres Ungehorsams von den Eltern verstoßen nimmt sie sich mit dem Dolch ihres Gemahls das Leben.
Kurz nachdem Tony in ihren Arm starb richtet Maria die Waffe gegen die anderen und erwägt auch sich selbst mit chinos Waffe zu richten "Wieviele kann ich damit töten? Wieviele, um noch eine Kugel für mich übrig zu haben." Doch sie legt die Waffe weg und begegnet dem Haß und der Aggression mit dem Willen zum Lieben und Verzeihen, indem sie sich für ein Weiterleben entscheidet. Für jemanden, der so liebt, wäre der Tod und somit die Vereinigung mit dem Geliebten wahrscheinlich der wünschenswertere Ausweg, aber Maria trotzt dem Schicksal und erreicht durch ihren Entschluß eine Annäherung der beiden Feinde. Ihr Mut und das Bestreben weiter zu existieren mahnt alle Beteiligten. Während Julia ihrem Gefühl und der Todessehnsucht nachgibt, fällt Maria den reiferen und für die Gesellschaft wichtigeren Entschluß.
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