Leonardo agierte in seinem eifrigem Tatendrang auch als Anatom. Zu seinen bedeutendsten Aufzeichnung gehören die Studie der menschlichen Proportionen, der Embryo im Mutterleib sowie diverse Schädel- und Muskelstudien.
Es ist genau so außergewöhnlich wie bewundernswert, daß Leonardo bereits zur damaligen Zeit anatomische Studien an menschlichen Leichen vornahm, zumal die Fachmediziner noch fast ausschließlich am Buchwissen "klebten" und das Öffnen einer Leiche als gesetzwidrig galt, weil der Mensch als göttliches Geschöpf anzusehen war und nicht von "irdischer Hand" verunreinigt werden durfte.
Er hat mit feinen Sägen, die er sich eigens herstellen ließ, die Leiche eines alten Mannes geöffnet, die er sich sorgfältig ausgesucht hatte, "weil sie frei von Fett und Säften, die das Erkennen der verschiedenen Organe verhindern" und an ihr als erster die Erscheinungen der Arteriosklerose beobachtet: "kastaniengroße Versteinerungen in den Adern, von der Farbe von Trüffeln."
Seine anatomischen Skizzen des menschlichen Organismus sind bis zum heutigen Tage sehr oft kopiert worden, aber in Qualität und Detailreichtum unerreicht.
Die Zeichnung der menschlichen Proportionen (korrekter Titel: "Der Vitruvsche Kanon menschlicher Proportionen") illustriert einen Abschnitt in dem berühmten Werk des römischen Architekten Vitruv: "Der Nabel ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers. Liegt der Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, so werden die Fingerspitzen beider Hände, sowie die Zehenspitzen vom Kreis berührt. Ebenso wie der menschliche Körper durch einen Kreis umschrieben werden kann, läßt sich auch ein Quadrat um ihn ziehen. Nimmt man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel Maß und wendet dieses Maß auf die ausgestreckten Hände an, so wird sich die gleiche Breite und Höhe ergeben, wie bei Flächen, die nach dem Winkelmaß quadratisch angelegt sind."
(Quelle: Leonardo da Vinci -Gemälde & Schriften)
Man weiß, daß Leonardo die anatomische Nachbildung eines männlichen Körpers plante und vermutlich auch ausgeführt hat, die er im Zusammenhang mit seinen Zeichnungen und Bildhauerarbeiten benutzt hat und welche ihm vielleicht zur Unterweisung seiner Schüler diente.
Diese Studie der menschlichen Proportionen wird auch noch heute in vielerlei Hinsicht verwandt, zum Beispiel auf den Krankenversicherungsausweisen der Barmer- Ersatzkasse.
In der großen Zeichnung "Der Embryo im Mutterleib" ist ein voll entwickelter Fötus in einer menschlichen Gebärmutter, doch mit der Plazenta von einer Kuh dargestellt. Die vier Zeichnungen rechts oben sind vergrößerte Darstellungen der Plazentazotten eines Huftieres (Leonardo wußte anscheinend nichts von der scheibenförmigen menschlichen Plazenta). Darunter, Mitte rechts, eine außerhalb des Zusammenhangs stehende Zeichnung einer exzentrisch belasteten Kugel auf einer Neigungsebene. Darunter erscheint links die winzige Skizze einer Gebärmutter mit Andeutung der Plazentazotten und rechts die flüchtige Skizze eines Fötus in der Gebärmutter, von mehreren schützenden Häutchen umgeben. Als nächstes, nebeneinander dargestellt, die Gebärmutter aufgeklappt, um Membranen und Plazenta zu zeigen und rechts ineinandergreifende Plazentazotten. Weiter unten erscheinen drei Skizzen der auseinandergeklappten Gebärmutter- und Fötusmembranen; bei der obersten Zeichnung ist auch der Embryo in seinem Amnion dargestellt. Schließlich, ohne jeden Bezug, ein Diagramm binokularen Sehens.
(Siehe Anlage: Kopie der Skizze "Embryo im Mutterleib")
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