In den 1511 entstandenen Fresken zur Antoniuslegende für die Scuola del Santo in Padua beginnt sich die Ausdruckskraft der figuralen Zusammenstellungen zu entfalten, die für das Gesamtwerk bestimmend werden sollte. Zugleich gewinnen die Landschaftsszenen an Fülle und die Farben an Tiefe und Intensität, wie Die drei Menschenalter (um 1513) und Himmlische und Irdische Liebe (um 1515) demonstrieren. Den Höhepunkt dieser frühen profanen Werke bilden die drei Bacchanalien, die Tizian zwischen 1518 und 1523 für den Palast des Herzogs Alfonso d'Este in Ferrara schuf. Gesamtkomposition, Figurenkonstellation und Kolorit setzen sich von der vergleichsweise idyllischen Malweise Giorgiones ab und nehmen in ihrer Sinnlichkeit und Dynamik Elemente des Barock vorweg.
Dasselbe gilt für die religiösen Bilder dieser Schaffensphase, wie das auch von den Zeitgenossen als Meisterwerk eingeschätzte Hochaltarbild Himmelfahrt Mariä (1516-1518). In seiner dramatischen Anlage und den leuchtenden Farben glich es einem anderen Gemälde für diese Kirche, der Madonna des Hauses Pesaro (1519-1526). Hier brach Tizian obendrein mit dem Bildschema der Santa conversazione (Andachtsbilder mit der thronenden Mutter Gottes, dem Jesuskind und zwei oder vier Heiligen) durch einen asymmetrischen, diagonalen Bildaufbau. Die üblicherweise im Zentrum platzierte Gestalt der Maria rückte er in die Mitte der rechten Bildhälfte und ließ im Hintergrund zwei riesige, diagonal in die Tiefe verlaufende Säulen über den Bildraum hinaus ragen. Dieses neue Schema wurde von folgenden Künstlergenerationen, wie z. B. Paolo Veronese oder der Malerfamilie Carracci übernommen und ebneten mit der Dominanz von Bewegung und perspektivischer Tiefe den Weg zu neuen Zzusammenstellungsprinzipien.
In den dreißiger Jahren wurde Tizian zu einem der populärsten Maler Italiens, der immer auf vornehme und zahlungsfähige Auftraggeber rechnen konnte. Wie zum Beispiel die Herzöge von Ferrara, Mantua und Urbino und ihre Familien. Eine harmonische und höchst farbenfrohe, unterschiedliche Farbgebung kennzeichnet das meisterhafte Bild der Venus von Urbino (1538-1539), eine Neufassung der Schlummernden Venus von Giorgione (1510). Während der Tempelgang Mariä (1534-1538) eine ähnliche malweise und große Detailfülle aufweist, wird in den drei großformatigen Wandgemälden in Santa Maria della Salute in Venedig (1543-1544) Tizians Befähigung zu kraftvoll-dynamischen Darstellungen gestärkt. Sie belegen darüber hinaus seine Vertrautheit mit den Prinzipien des Manierismus, mit denen ihn Giorgio Vasari und Francesco Salviati anlässlich eines Besuchs 1539 bekannt gemacht hatten.
Zu einem bedeutensden Förderer des Künstlers wurde Kaiser Karl V., dem er erstmals 1530 in Bologna begegnete. Vor allem nach seiner Ernennung zum Hofmaler (1533) und seinen Aufenthalten am Hof in Augsburg 1548 und 1550 war Tizian einer der begehrtesten Porträtmaler seiner Zeit.
Während seine frühen Porträts renaissancetypisch im Zeichen der Selbstinszenierung und Idealisierung stehen, so auch der Mann mit Handschuhen (um 1523) oder Flora (um 1515), gelangte Tizian in den dreißiger Jahren zu einer psychologischen Durchdringung der dargestellten Persönlichkeiten. Charakteristische Beispiele sind die Bilder des Federigo Gonzaga (um 1526), seines Freundes Pietro Aretino (1545) oder Papst Pauls III. (1543l), das Gruppenporträt Papst Paul III. mit seinen Neffen Kardinal Alessandro Farnese und Herzog Ottavio Farnese (1546) sowie das berühmte Porträt Karls V. (1548).
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