5.1 Eine neue Kommunikationsordnung?r />
Die Notwendigkeit einer neuen Kommunikationsordnung sehen ihre Befürworter vor allem darin, daß die alte zersplitterte Ordnung der Konvergenz von Medien-, Telekommunikations- und Informationstechnologie nicht länger zu entsprechen vermag. Die EU-Kommission wirft diese Frage, ob technische Konvergenz zu einer rechtlichen Konvergenz führen kann und ob sektorspezifische Regelungen wegfallen sollen in ihrem Grünbuch zur Konvergenz in europäischer Perspektive auf (vgl. zur Rolle der EU R. Dörr in epd-medien 58/1998, hier S.3). An dieser Konvergenz ist die Digitalisierung der Rundfunksignale insofern beteiligt, als sie damit die Übertragungsart der PCs übernimmt und darüber hinaus Interaktivität in einem ungleich höherem Ausmaß zuläßt .
Bundespräsident Herzog hat eine neue Medienordnung angemahnt, da im anderen Fall durch die Aufsicht der Länder über den Rundfunk und die des Bundes über die Telekommunikation zukünftig Verwirrung eintrete (siehe Tagesspiegel, 11.9.). Der Deutsche Beamten Bund fordert eine Bündelung von Zuständigkeiten und die Integration ressortspezifischer Ansätze (siehe DBB, 1998: 22f.). Staatsminister Pfeifer sieht ebenfalls Handlungsbedarf: "Wir sollten schnell für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Bereich eine neue Struktur schaffen, die entsprechend der technischen Konvergenz die erforderlichen Abstimmungen von rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen im Bund-Länder-Verhältnis, aber auch im Verhältnis zur Europäischen Union, schneller, effizienter und dynamischer (...) herbeiführt." (Pfeifer, 1997: 8) Rüttgers erinnert an einen Vorschlag der Bundesregierung von 1995, zusammen mit den Ländern ein Gremium zu schaffen, das die "erforderlichen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern, wie auch im Verhältnis Deutschlands zur Europäischen Union unterstützen" soll (Rüttgers, dokumentiert in der Beilage zum Medienspiegel 31/1998). Der amtierende DLM-Vorsitzende Hochstein fordert eine Stärkung zentraler Entscheidungsbefugnisse und regt ein Wegkommen vom bloßen Empfehlungscharakters der DLM-Beschlüsse hin zu einer größeren Verbindlichkeit derselben an (in epd-medien, 59/1998: 3). Stammler (Gastmitglied der SPD-Medienkommission) denkt - wie Rüttgers - über eine "erforderliche politische Abstimmung der Planungsprozesse und Grundsatzentscheidungen von Bund und Ländern" nach und empfiehlt als organisatorischen Rahmen einen gemeinsamen Kommunikationsrat von Bund und Ländern (siehe epd-medien, 62/1998: 6).
Auffallend an den Vorschlägen ist die Einigkeit darüber, daß eine Bündelung anzustreben sei bei weitgehender Vermeidung konkreter Umsetzungsanweisungen. Unstrittig ist erhöhter Abstimmungsbedarf zwischen Bund und Ländern aufgrund des Zusammenwachsens von Rundfunk und Telekommunikation - insbesondere bei den neuen Diensten - einerseits und eine internationale Verständigung über Fragen des Jugend- und Datenschutzes aufgrund der durch die digitalen Technik zusätzlich forcierten Internationalisierungsstrategien der Medienunternehmen andererseits.
5.2 Aufgabenverlagerung der Medienbehörden
Die Kabelnetzbetreiber - und hier vor allem die Telekom - steigen zu einem zentralen Akteur auf , da sie mit der wegfallenden Übertragungsknappheit zukünftig die Möglichkeit haben werden, neben den Must-carry Programmen selbst über die Belegung ihrer Übertragungsressourcen zu entscheiden; sie beerben damit teilweise die Aufgabe der Landesmedienanstalten. Das heißt, die aus der Knappheit resultierende gestaltende öffentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten, bei der neben standortpolitischen Erwägungen der Aspekt der Vielfalt eine zentrale Rolle spielte, fällt weg. An ihre Stelle tritt nun mittels der erhöhten Frequenzökonomie gewonnener Spielraum, bei dem jenseits des must-carry-Bereiches betriebswirtschaftliche Überlegungen den Ausschlag für die tatsächliche Belegung der Plätze geben wird.
Die Entwicklung einer "neuen Rundfunkordnung" werden bereits von den Regelungen für Mediendienste vorweggenommen: Nach dem Mediendienstestaatsvertrag ist das Betreiben der Dienste grundsätzlich zulassungsfrei (siehe § 4). Diese neue Rundfunkordnung wird sich, so ist zu vermuten, dadurch kennzeichnen, daß die Medienkontrolleure sich weitestgehend ähnlich der Gewerbepolizei auf eine Mißbrauchsaufsicht beschränken. Sie werden nicht mehr selbst in dem Maße als Zuweiser von Übertragungskapazitäten und Lizenzgeber gestaltend tätig. Wahrscheinlich erscheint die Umwandlung des jetzigen Lizenzierungsverfahrens in eine bloße Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, die den Programmveranstalter berechtigt, dem Netzbetreiber sein Programm zur Verbreitung anzubieten.
In dem Maße, wie der direkte Einfluß bei der Auswahl aber auch Kontrolle der Programme sinkt wird sich ein neues Tätigkeitsfeld für die Landesmedienanstalten auftun. "Während sich das Rundfunkrecht bislang auf programminhaltliche Fragen (Werbung, Jugendschutz, Persönlichkeitsschutz) konzentrierte, ist es zunehmend Aufgabe der Rundfunkaufsicht, für einen fairen Zugang z.B. zu Vertriebswegen und Programmrechten zu sorgen." (Holznagel et al, 1998: 2) Zusätzlich werden die Landesmedienanstalten mit dem vierten Rundfunkstaatsvertrag verstärkt mit der Aufgabe betraut, Konzepte zur Medienkompetenz zu entwickeln und diese zu vermitteln. Idealerweise wird in anbetracht einer unübersehbaren Fülle an Informationsangeboten die medienpolitische Aufgabe der Landesmedienanstalten ersetzt durch ein aufgeklärtes Publikum, das dem Angebot der Sender korrektiv-kritisch zur Seite steht und dieses damit letztlich positiv zu beeinflussen vermag.
5.3 Wirtschaftsgut Medien?
Unter Abschnitt 3 wurde die These aufgestellt, daß sich die Reaktionen von Mitgliedern der Parteien anhand ihrer Gewichtung beim Zielkonflikt Wettbewerbs-/Ordnungspolitik und Industriepolitik gut einordnen lassen. Diese Gleichsetzung von Wettbewerbs- und der eigentlich strengeren Ordnungspolitik war dabei nur möglich, da die wettbewerbsrechtlichen Regelungen hinsichtlich der geplanten Fusion von DF1 und Premiere letztlich zu einem 'härteren' Urteil kommen konnte als die Prüfung nach den medienspezifischen Regelungen, die der Idee nach dem Verständnis der Medien als Kulturgut mit gesellschaftlicher Verantwortung Rechnung tragen sollen. Das Phänomen gibt es auch auf nationaler Ebene. Im Gegensatz zum Bundeskartellamt, das auch in neuen Märkten wie Pay-TV wettbewerbsrechtlich argumentieren kann, kann die KEK nach Maßgabe des Rundfunkstaatsvertrags nur den Zuschaueranteil nach dem Zuschaueranteilsmodell ermitteln (siehe auch Abbildung 5), bei dem nicht der Fernsehmarkt in Pay- und Free-TV unterteilt wird. Insofern spielt der gemessen an der Gesamtzuschaueranzahl zunächst geringe Anteil des Pay-TV Marktes eine untergeordnete Rolle. Das führt zu der paradoxen Situation, daß die Kommission - die ihrem Namen gemäß auf die Konzentration im Medienbereich achten soll und diese Aufgabe dem geschilderten Umstand verdankt, daß der sensibele Bereich der Medien strengere Strukturvoraussetzungen zu erfüllen hat als die für andere Märkte geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen - gerade dort keine rechtlich ausreichende Handhabe besitzt, wo Zusammenarbeit von Konkurrenten stattfindet und wo die technischen Bedingungen für das zukünftige digitale Fernsehen wesentlich mitgestaltet werden. Auch hier geht die allgemeine Wettbewerbspolitik weiter als die medienspezifische Ordnungspolitik. Henle (in Landesmedienanstalten, 1995: 81) schlug beispielsweise im Zuge seiner Überlegungen zur Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen für entgeltfinanzierte Programme und digitales Fernsehen eigene Marktanteilsgrenzen vor, da kartellrechtliche Regelungen als Strukturvoraussetzung für Meinungspluralismus nicht ausreichten (siehe auch S. 16f.). Da nun ausgerechnet das Bundeskartellamt für die Anteilsaufstockungen an Premiere "die Bremse zieht" (vgl. Tagesspiegel, 9.9.98: 17) könnte das im Umkehrschluß als ein Defizit medienspezifischer Strukturbestimmungen beim Pay-TV interpretiert werden.
Abbildung 5: Vereinfachtes Schaubild der deutschen Medienakteursstruktur
Diese Verkehrung der Auswirkungen von Kartellrecht und Medienkonzentrationskontrolle überdeckt den eigentlichen Grundsatzstreit, der sich hinter der Debatte um die Allianz von Bertelsmann und Kirch verbirgt: ob es - auch vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten - weiterhin zu rechtfertigen ist, dem Rundfunk eine rechtliche Sonderstellung zuzugestehen, die sich mit seiner Funktion für die öffentliche Meinungsbildung begründet. "Die inhaltliche Funktion der Medien hat (..) nur noch instrumentelle Bedeutung insoweit, als sie Nachfrage nach neuen digitalen Hard- und Software-Angeboten schafft. Medienpolitik wird so zum Unterfall einer vor allem ökonomisch orientierten Innovationspolitik, ohne eigenständigen Stellenwert." (Stammler in epd-medien 62/1998, 3f.). Mit zunehmender Kompetenzverlagerung zur EU wird sich die Schwerpunktverlagerung vom Kultur- zum Wirtschaftsgut beschleunigen, da sie ihre Entscheidungen vornehmlich auf Grundlage der Bestimmungen zum freien Binnenmarkt fällt. Mit der Verlagerung des Wettbewerbs auf eine internationale Ebene wird zusätzlich der medienspezifische und ggf. aus ökonomischer Sicht einzwängende Ordnungsrahmen hinterfragt.
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