Durch die bahnbrechenden Entdeckungen des Nikolaus Koperikus sind die Grenzen unseres Weltalls in unvorstellbare Entfernungen gerückt. Ähnliche Vorstellungen über eine ungeheure Ausdehnung von Zeit und Raum sind in Indien jedoch schon seit viel längerer Zeit präsent gewesen und haben auch in den Buddhismus Eingang gefunden. Sie beruhten aber weniger auf wissenschaftlichen Beweisen, als auf einem umfassenden Analogiedenken.
Buddhistischer Vorstellung zufolge vollzieht sich das Entstehen und Vergehen einer Welt in vier großen Äonen, die jede 1 300 000 000 Jahre andauern. Im ersten Zeitalter existiert einzig die große Leere als Essenz des Universums. Durch die Entstehung eines Urwindes und Bildung der Elemente in der Reihenfolge Wind, Feuer, Wasser und Erde im zweiten Äon, gestaltet sich im dritten Äon das Leben der Erde. Danach löst sich die Welt in einem vierten Äon in einem Verbrennungsprozeß wiederum in ihre eigentliche Natur der Leere auf.
Ohne Anfang und ende folgt so eine Welt der anderen, jede mit Sonne, Mond und Planeten ausgestattet. 3000 solcher Welten werden von einer Mauer umgeben, von diesen 3000 Welten gibt es wiederum 3000 von einer Mauer umringte Welten, die ihrerseits in 3000facher Anzahl existieren. Daraus ergibt sich eine Anzahl von 27 000 000 000 Welten - ein Sinnbild für die Unbegrenztheit des Raumes.
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Nach dem Abidharmakosha, dem "Schatz des Wissens" wird der Weltenberg Meru (1) von sieben Ringgebirgen und Ringozeanen (2) umschlossen. Umgeben wird dieser Kern jeden Weltensystms vom Urozean (3), der an seinem äußeren Rand von einer Gebirgskette (4) begrenzt wird. In den vier Himmelsrichtungen sind die Kontinente samt ihren jeweils zwei Nebenkontinente gelegen: im Osten der halbkreisförmige Kontinent Puravideha (5), im Süden der annähernd fünfeckige Kontinent Jambudvipa (6), auf dem wir Menschen leben, im Westen - verdeckt durch Meru, so daß nur seine beiden Nebenkontinente zu sehen sind - der kreisförmige Kontinent Aparagodaniya (7), im Norden der viereckige Kontinent Uttarakuru (8). Auf der Spitze des von sonne und Mond flankierten , fünfstufigen Meru, befindet sich der Himmlische Palast des hinduistischen Gottes Brahma (9), der als Weltenherrscher für die Periode der gegenwärtigen vier Äonen die Weltgeschichte lenkt. Über dem Meru erheben sich die himmlischen Sphären mit den vier Daseinsbereichen der niederen Götter (10), die noch von Begierde beherrscht werden, darüber die 17 verschiedenen Himmel der Götter feinstofflicher Form (11) und an der Spitze die vier "Stufen der Formlosigkeit" (12), die man sich als rein meditative Bereiche vorzustellen hat.
Das Rad der Existenzen
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Oft am Eingang der Versammlungshalle eines Klosters dargestellt, soll es den einfachen Gläubigen in bildlicher Weise mit den grundlegenden dogmatischen Anschauungen über den Kreislauf des Daseins vertraut zu machen.
In der Radnabe sieht man ein Schwein, eine Schlange und einen Hahn als Symbole für Unwissenheit, Haß und Stolz, die "Drei Grundgifte", welche die Ursache des Geburtenkreislaufes bilden. Solange das Bewußtsein von ihnen beherrscht wird, nimmt es wegen des Durstes nach Existenz Wiedergeburten in einer der sechs, innerhalb der Radspeichen sichtbaren Wiedergeburtswelten an. Im Nabenkranz sind die beiden Wege heilvoller und unheilvoller Taten dargestellt: Der "Weiße Weg" als langsamer, kontinuierlicher Aufstieg zum Heil, sowie der "Schwarze Weg" frevelhafter Taten, auf dem Dämonen den Lebewesen Schlingen um den Hals legen und sie in die Tiefe der niederen Gefilde zerren.
Die unteren Bereiche sind die von besonders schweren und langfristigen Arten des Leidens gekennzeichneten "Niederen Daseinsbereiche", in denen Höllenwesen, Hungergeister und Tiere ihr Dasein fristen. Die Unglücklichen leben dort in eiskalten und brennendheißen Höllen, werden immer wieder zerstückelt, von Speeren durchbohrt, mit Hämmern gemartert und bei lebendigem Leibe in Töpfen gekocht.
In den oberen Bereichen existieren die Menschen, Halbgötter und Götter. Die Menschen, die durch ihren Intellekt die idealen Voraussetzungen hätten, Befreiung zu erlangen, frönen in der Mehrzahl dem Egoismus, anstatt sich der Lehre des Buddha hinzugeben.
Die von Neid und Ehrgeiz besessenen Halbgötter liegen ständig mit den Göttern in Streit, erringen such Teilerfolge, werden jedoch stets sobald sie in den Himmel der Götter gelangen wieder geschlagen.
Die Götter führen je höher angesiedelt ein umso üppigeres Leben, frei von Sorgen und Krankheiten. Sie unterliegen jedoch der Illusion, ihr himmlischer Zustand dauere für alle Ewigkeit an. Sobald ihr Tod naht, haben sie eine schreckliche Vision vom Ende ihrer Existenz.
Häufig werden in diesen sechs Daseinsbereichen die Gegenmittel zur Aufhebung des leidvollen Daseins bereit gehalten. So erscheint ein Bodhisattva in der Götterwelt mit einer Laute, um die Lebewesen durch den ausklingenden Ton an die Vergänglichkeit ihres Daseins zu erinnern, bei den Halbgöttern mit einem Schwert als Symbol der Sittlichkeit, bei den Menschen mit einer Almosenschale als Symbol für einen schwierigen Weg der Erkenntnis, bei den Tieren mit einem Buch als Symbol der Weisheit, bei den Hungergeistern mit einer Vase mit dem ewigen Lebenswasser als Symbol der Stillung aller Begierde und in der Hölle mit einem Spiegel als Symbol für die Aufhebung der Leidenschaft durch die Erkenntnis der wahren Natur der Dinge.
Im Radkranz befindet sich schließlich die Darstellung der "Zwölffachen Kausalkette", welche zeigt, daß Entstehung und Prägung des Bewußtseins einem kausalen Abhängigkeitsverhältnis unterliegen.
Geboren wird dieses Rad aus dem Schoße einer Dämonin. Ein oberhalb abgebildeter Buddha weist den Weg zur Befreiung aus einem von Unwissenheit und Leidenschaften geprägten Daseinskreislauf.
Das Tibetische Totenbuch
Dieses Buch zählt wegen seiner zahlreichen Übersetzungen zu den bekanntesten Zeugnissen der tibetischen Literatur. Es belehrt über die Erfahrungen, die der Mensch im Bardo macht, dem Zwischenbereich zwischen Tod und Annahme einer neuen Existenz. Der Bardo ist gleichermaßen ein Reich des Schreckens, wie die beste Chance zur Befreiung. Aufgabe des Menschen ist es , seine karmisch bedingten Illusionen zu durchschauen und den Bardo als die Pforte zur Befreiung zu begreifen. Das Tibetische Totenbuch, dessen Originaltitel wörtlich übersetzt "Die Befreiung durch Zuhören im Zwischenzustand" lautet, wird ebenso von den Lamas als ein Führer für das Leben verstanden.
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