Auf Grund der Replikationsstudie von Clement et al. war es möglich, Veränderungen im sexuellen Verhalten und in der sexuellen Einstellung von Studenten festzustellen. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß im Jahr 1981, gegenüber 1966, erheblich mehr Studenten Koituserfahrung hatten, ganz gleichgültig, ob es sich um vorehelichen oder außerehelichen Geschlechtsverkehr oder um Geschlechtsverkehr in einer Beziehung selber handelte. Nun aber einige Teilergebnisse, 1981 im Vergleich zu 1966:
a. Was den ersten Geschlechtsverkehr betrifft, so findet dieser früher statt. Hatten 1966 nur 20% der 18jährigen Männer Koituserfahrung, so verdoppelte sich die Zahl innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten auf 45%. Bei den Frauen ist die Zunahme noch drastischer, da hier ein gewaltiger Sprung von 11% auf 60% geschah, was fast einer sechsfachen Quote entspricht.
b. Aber auch die Frequenz der koitusaktiven Studenten ist stark gestiegen.
(siehe Tabelle 4.2.a.)
Männer 1966 Männer 1981 Frauen1966 Frauen 1981
Häufigkeit/Monat 3,9 6,9 4,5 6,9
Tabelle 4.2.a. Koitus: Häufigkeit (in den letzten 12 Monaten) (Clement, 110)
c. Betrachtet man die Anzahl aller Geschlechtspartner seit dem ersten Koitus, wird es einen auch hier nicht überraschen, völlig verschiedene Quoten vorzufinden, bei den Frauen im Besonderen. So haben zum Beispiel nur mehr ein Viertel der Frauen einen einzigen Geschlechtspartner, im Gegensatz zu 1966, wo es noch 49% waren.
d. Interessant wird es dann, wenn man den Gründen der Koitusabstinenz² nachgeht. (siehe Tabelle 4.2.b.) Laut Tabelle scheinen moralische Gründe, sowie Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft kaum mehr eine Rolle zu spielen. Das Hauptmotiv, hingegen, ist das Fehlen eines passenden Partners. Koitusabstinenz scheint somit keinen ideellen oder moralischen Grund mehr zu haben.
Motive für Koitusabstinenz Männer 1966 Männer 1981 Frauen 1966 Frauen 1981
kein Interesse 6% 14% 18% 19%
Moral 33% 16% 39% 9%
Angst vor Versagen 4% 2% 1% 9%
Furcht vor Schwangerschaft 13% 5% 23% 7%
kein geeigneter Partner 37% 51% 18% 56%
Partner lehnt ab 8% 11% 1% -
Tabelle 4.2.b. Motive für Koitusabstinenz (Clement, 114)
² Hier muß man anmerken, daß der Prozentsatz der koitusabstinenten Student(inn)en ohnehin schon von 35% auf 14% bei den Männern und von 44% auf 9% bei den Frauen zurückgegangen ist.
In weit mehr Bereichen, als es mir überhaupt möglich ist aufzulisten, haben sich signifikante Änderungen im sexuellen Verhalten und den sexuellen Einstellungen der Studenten zur Sexualität vollzogen. Traditionelle Werte, wie heiraten, Kinder haben ober sexuell treu sein, werden immer seltener angestrebt. "Erlaubt ist was Spaß macht" scheint das Motto der 80er Jahre zu heißen. Und wie sagte doch Edward Carpenter sogleich: "Sex goes first, and hands eyes mouth brain follow; from the midst of belly and thighs radiates the knowledge of self, religion and immortality." (Giddens, 158) Der englische Soziologe Jeffrey Weeks meint den Hintergrund dafür zu kennen.
Zum liberalen Diskurs der sechziger und siebziger, der den
Wegfall vieler Sexualverbote besiegelte, ist in den achtziger
Jahren ein Equal rights- Diskurs, ein Selbstbestimmungskurs,
hinzugetreten...Dieser Diskurs bringt einen neuen Sexualkodex
hervor, einen Kodex, der nicht alte Verbote neu installieren will,
sondern der den sexuellen Umgang friedlicher, kommunikativer,
berechenbarer, rationaler verhandelbar...regeln will. Hatten vor
dreißig Jahren die Studenten...das Gespür für die gesellschaftlich
möglichen, fälligen, ja notwendigen Umbrüche der Sexualverhältnisse
(sie waren die Hauptakteure des liberalen Diskurses), so sind es
heute (im Selbstbestimmungskurs) die Frauen und die
Frauenbewegung. (Schmidt, 8)
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