Der Prozeß gegen Erhard MilchMilch hatte den Rang eines Generalfeldmarschalls der Luftwaffe und war Görings Vertreter im Luftfahrtministerium. Der Hauptanklagepunkt beruhte jedoch auf seiner Tätigkeit als Mitglied des \"Amtes Zentrale Planung\", das durch eine Verordnung Hitlers vom 29. Oktober 1943 errichtet worden war. Das führende Mitglied der \"Zentralen Planung\" war Albert Speer, der vom Internationalen Militärgerichtshof (IMG) verurteilt worden war. Letzterer hatte festgestellt, daß besagtes Amt \"die oberste Autorität für die Aufstellung der deutschen Produktionspläne und für die Zuteilung und Fertigstellung von Rohmaterialien hatte\", ferner daß dieses Amt Anweisungen an den vom IMG verurteilten Sauckel zur Beschaffung von Arbeitskräften für solche Industrien geben konnte, die unter der Aufsicht des Amtes standen. Sauckel und Speer wurden beide hauptsächlich deshalb verurteilt, weil sie am \"Zwangsarbeitsprogramm\" teilgenommen hatten, und dies war auch der Hauptanklagepunkt gegen Milch.
Er wurde ferner wegen Mittäterschaft an medizinischen Experimenten angeklagt, zum Beispiel Höhen- und Kühlversuchen, die im Konzentrationslager Dachau für die deutsche Luftwaffe durchgeführt worden waren. (68) Das Gericht war der Auffassung, daß Milchs Beteiligung an den medizinischen Experimenten nicht über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erwiesen war, und sprach ihn von diesem Anklagepunkt frei. Seine Mitverantwortlichkeit für das Zwangsarbeitsprogramm zusammen mit Speer und Sauckel wurde als hinreichend erwiesen angesehen. Er wurde daher für schuldig befunden und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt (69).Der Prozeß gegen die WilhelmstraßeDer größte und letzte der Nürnberger Nachfolgeprozesse betraf fast ausschließlich höchste Regierungsbeamte und wurde daher als der \"Ministerien\" - oder Prozeß gegen die \"Wilhelmstraße\" bekannt; amtlich war es der \"Prozeß der Vereinigten Staaten gegen Ernst von Weizsäcker und Genossen\". Von den 21 Angeklagten waren 18 Minister und hohe Beamte in der Zivilverwaltung des \"Dritten Reiches\".
Die drei weiteren Angeklagten waren die SS-Generale Gottlob Berger und Walter Schellenberg sowie der Bankier Karl Rasche. Die Zusammensetzung der Anklagebank war der des Hauptkriegsverbrecherprozesses ähnlich, nur daß im Prozeß gegen die Wilhelmstraße der Anteil der Diplomaten und Wirtschaftsbeamten größer war, jedoch keine Militärs mitangeklagt waren. Die Anklageschrift beschuldigte 16 Angeklagte der Begehung von Verbrechen gegen den Frieden. Sieben Angeklagte waren wegen Kriegsverbrechen, einschließlich der Mitschuld am Lynchen von abgesprungenen Fliegern und der Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen angeklagt. Sämtliche Angeklagten waren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, begangen gegen die Zivilbevölkerung nach Ausbruch des Krieges, einschließlich der Verfolgung und Ausrottung von rassischen und religiösen Gruppen, wirtschaftliche Ausraubung und Plünderung in besetzten Ländern und Deportierung zur Zwangsarbeit. 15 Angeklagte waren auch als Mitglieder verbrecherischer Organisationen, wie der SS oder des Führerkorps der NSDAP, angeklagt.
Der Chef der Auslandsorganisation der NSDAP wurde nur wegen Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps der NSDAP verurteilt. Er selbst hatte sich der Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps unter Kenntnis ihrer kriminellen Handlungen für schuldig erklärt. Dies war die einzige Schuldigerklärung, die jemals in einem der Nürnberger Prozesse abgegeben worden ist. Alle anderen Angeklagten im Wilhelmstraßen-Prozeß wurden auf Grund von einem oder mehreren Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen den Frieden, wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Im Hinblick auf die Schwere der Verbrechen waren, so Telford Taylor, die Strafen zu milde. (70)Vom Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg vom 1.
10.1946 bis zum Urteil im Wilhelmstraßenprozeß am 11.4.1949 war eine lange Zeit vergangen. Es gab nicht mehr die \"alliance\" mit der Sowjetunion, die im ersten Urteil mitgewirkt hatte. Die amerikanische Politik ging inzwischen dahin, die Deutschen zu ihren Verbündeten zu machen.
Je weiter weg von den Untaten und dem Mai 1945, um so milder wurden die Anschauungen - insbesondere über die Strafhöhe. \"Die Klarheit über die Taten und das Beweismaterial war unerhört angewachsen - und sagen wir ruhig - der Mut zur Bestrafung war gesunken.\" (71)Übersicht über die Nürnberger Nachfolgeprozesse- zusammengestellt von Robert Kempner (72) (Stand vom 31. Januar 1951)Die nachstehende Tabelle gibt die Namen der Angeklagten und in der zweiten Spalte die Kategorie der Straftaten an, deretwegen sie verurteilt wurden.A bedeutet Angriffskrieg V bedeutet Verschwörung zur Planung eines Angriffskrieges K bedeutet Kriegsverbrechen im engeren Sinne, insbesondere gegen Kriegsgefangene und Kombattanten M bedeutet Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere Massenmorde wie die Ausrottung von Minderheiten. S bedeutet Sklavenarbeit P bedeutet Plünderung; S und P sind spezielle Verbrechen gegen die Menschlichkeit O bedeutet Organisationsverbrechen, d.
h. die Mitgliedschaft in einer der vom Internationalen Militärgerichtshof für verbrecherisch erklärten Organisationen, vor allem der SS
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