Wie oberflächlich - oder bewußt negierend - Kaiser und Regierung mit ideellen Aspekten der Demokratie umgingen, zeigen die zwei Jahrzehnte, die es dauerte, die Inschrift \"Dem Deutschen Volke\" anzubringen. Dieser anscheinend von Paul Wallot recht spät erdachte Weihespruch erfreute sich keineswegs der Unterstützung des Kaisers, der die Anbringung auf verschiedenen, nichtamtlichen Wegen zu verzögern wußte. Viele Vorschläge - ernste und komische - wurden bei Feststellung ihres Fehlens in der Öffentlichkeit gemacht: \"Dem Deutschen Volke ist der Eintritt verboten\" oder \"Quatsch nicht, Krause\", oder der Vorschlag von Ernst von Wolzogen, der schrieb: \"Festgefügt steh ich aus Stein, nun schau Geist, wie Du kommst herein.\"
Innerhalb der nächsten zwanzig Jahre gab es immer wieder Vorschläge, die jedoch alle abgelehnt wurden, bis ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges der Unterstaatssekretär im Reichskanzleramt, Wahnschaffe, seine Sorge in einem Brief an den Chef des Zivilkabinets, Valentini, zum Ausdruck brachte, daß der Kaiser mit jedem weiteren Kriegstag die Unterstützung des Volkes verlöre, und es begrüßenswert sei, wenn der Kaiser etwas gegen diesen Treueverlust unternehmen würde durch die Anbringung der Inschrift. Wilhelm II. ließ antworten, daß er keineswegs eine ausdrückliche Genehmigung für die Inschrift erteilen werde, aber sollte die Reichstagsausschmückungskommission beschließen, die Inschrift anzubringen, würde er dagegen keine Bedenken mehr erheben.
Einige Tage später konnte der Präsident des Reichstages, Johannes Kaempf, bekanntgeben, daß die Inschrift beschlossene Sache sei. Der bereits berühmte Architekt und Kunstgewerbler Peter Behrens wurde vom Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Theodor Lewald, im Herbst 1915 mit der Gestaltung des Schriftzuges beauftragt. Das Reichskanzleramt besorgte zwei erbeutete Geschützrohre aus den Freiheitskriegen von 1813 und ließ sie in der Gießerei von S. A. Loevy umgießen. Die 60 cm hohen Buchstaben wurden dann als \"Weihnachtsgeschenk für das deutsche Volk\" zwischen dem 20. und 24. Dezember 1916 angebracht.
Architekt
geboren am 26.06.1841 in Oppenheim, gestorben am 19.08.1912 in Langenschwalbach
Besuch der Höheren Gewerbeschule in Darmstadt
1859/60 Maschinenbaustudium in Hannover
1860-1863 Studium an der Bauakademie
1863/64 Besuch der Bauschule der Universität Gießen, Baumeisterprüfung
1864-1867 Tätigkeit bei H. Strack, R. Lucae, F. Hitzig und Gropius & Schmieden
1867/68 Studienreise nach Italien und England
1868-1883 Privatarchitekt in Frankfurt/M.
1882 Übersiedlung nach Berlin
1885 Mitglied der Akademie der Künste
1894 Mitglied der Akademie des Bauwesens
seit 01.10.1894 Professor der Kunstakademie und Lehrer an der TH Dresden
1911 trat Wallot in den Ruhestand und Übersiedlung nach Bieberich/Rhein
Hauptwerke:
Reichstag (1884-1894), Reichstagspräsidentenpalais (1897-1903),
Ständehaus an der Brühlschen Terasse Dresden (1901-1906)
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