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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Republik

Der weg zu einem unionsvertrag



Der Weg zu einem Unionsvertrag ähnelte einem holbrigen, dreckigen Feldweg. Die extreme Herausforderung, die Reifeprüfung für alle sowjetischen Republiken war zwar ein Beweis für das etablierte liberale System, schuf aber gleichzeitig auch einen unfassbaren politischen Sumpf voller Intrigen, Lügen und Enttäuschungen.
Selten kam es auf der Welt zu einem so weitreichenden Vorhaben, dass so viele realistische und vernünftige, aber zugleich grundverschiedene Meinungen beinhaltete, dass ein riesiges Spektrum von Positionen entstand.

Ich bin - wohl auch beeinflusst durch Gorbatschows Blickwinkel - zu der Meinung gekommen, dass eine Konföderation ähnlich dem Vorbild der EU das progressivste und langfristig beste System, gerade in der Zeit der Globalisierung ist, obwohl hierbei die Frage der Ausarbeitung und der reellen Umsetzung eines solchen konföderalen Vertrages pessimistische Zweifel aufbringt - besonders in Hinblick auf das Protokoll der damaligen Sitzung (später genaueres). Desweiteren bringt Gorbatschow viele Argumente bezüglich Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Finanzen, Verteidigung etc. die einen völligen Alleingang der einzelnen Länder geradezu als lächerlich und kurzsichtig brandmarken. Jedoch bleibt aus westlicher Sicht ein nicht zu verachtender positiver Punkt offen: Auch wenn dieser Standpunkt sehr egoistisch ist und die erbärmliche Situation vieler Menschen der ehemaligen SU ausnützt, so muß man doch sagen, dass gerade dieser Zerfall das Ende des Kalten Krieges darstellt. Folglich ist aus westlicher Sicht der totale Zusammenbruch und der Ruin der Sowjetunion unschätzbar wertvoll, da damit die ehemalige "rote Gefahr" anscheinend endgültig gebannt und beendet ist und wir auf einen dauerhaften Frieden hoffen können.
Außerdem folgte die Aufgabe des sowjetischen Hegemonialanspruchs über die osteuropäischen Staaten auch die Auflösung des Warschauer Paktes, die friedliche Revolution der DDR und die deutsche Wiedervereinigung, bei der Gorbatschow während der 2+4-Verträge eine zentrale Rolle spielte.

Die Meinungskonflikte während der Grundlegung der neuen Verfassung - dem Unionsvertrag- waren enorm. Angefangen mit den schwachen und zahlenmäßig unterlegenen Kommunisten, über viele sozialistische Entwürfe in einer Bandbreite von konservativ bis liberal und etliche demokratische Meinungen vom konservativen linken bis zum extremen militanten rechten Flügel, gab es viele einflussreiche Politiker, die alle Mittel nutzen ihre Anschauung in den Vertragstext zu pressen. Eine andere fundamental wichtige offene Frage, war die Art der Union und ob überhaupt eine erwünscht war. Im bejahenden Lager (Gorbatschow) kamen Vorschläge zu einer Föderation, einer Konföderation, einem Konglomerat von Republiken oder einer Commonwealth ähnlichen Verfassung wobei selbstverständlich noch ungeklärt war in welchem Grad die Republiken liberal und souverän sein sollten - nur in der Politik oder auch in der Wirtschaft oder vielleicht in allen Bereichen? Hier war Boris Jelzin ein erbitterter Gegner Gorbatschows, da er sich für den völligen Alleingang Rußlands einsetzte. Eine weitere ungeklärte Frage bezog sich auf die Menge der Teilnehmer. Viele stimmten überein, dass Rußland zusammen mit der Ukraine und Kasachstan schon eine repräsentative und ausreichende Größe hätte.
Spätestens hier wird deutlich, dass man nicht im geringsten pauschal von "der Regierung" einer Republik sprechen konnte, da nahezu jede kleine Organisation schon in sich zerrissen war, Machtkämpfe und Intrigen geradezu wucherten und, denke ich, durch die fehlende bzw. rudimentäre demokratische Erfahrung der Millionen Menschen die Meinungsführer ihre Position auch schnell mit simpler Rhetorik durch Anhänger untermauern konnten.

Gorbatschow wurde vom neu geschaffenen Kongress der Volksdeputierten am 25.51989 zum neuen, mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Staatsoberhaupt (Vorsitzender des Obersten Sowjets) gewählt, sowie, nach Einführung des Präsidialsystems am 15.3.1990 zum Staatspräsidenten gewählt - zuvor war er "nur" Generalsekretär des ZK der KPdSU. Boris Jelzin wurde nachdem Gorbatschow Staatspräsident war zum Vorsitzender des Obersten Sowjets der RSFSR (Parlamentspräsident) gewählt.
Bei Gorbatschows Amtsantritt wurde ein Föderationsrat geschaffen- bestehend aus sämtlichen Führern aller Unionsrepubliken. Es folgte die Bildung von Arbeitsgruppen: 12 Treffen der Arbeitsgruppe der Vertreter der Unionsrepubliken und der Arbeitsgruppe des Obersten Sowjets der UdSSR.

Gorbatschow kritisiert heftig die Handlungsweise Jelzins, dem Staatsoberhaupt, der viele Republiken bekräftigte in ihrem Wunsch auf Abspaltung, denen Rußland -durch Jelzin- ein Vorbild war. Jelzin sagte z.B.: "Auf der Grundlage der Souveränitätserklärung [...] wird Rußland in jeder Hinsicht selbstständig sein, und seine Beschlüsse müssen über den Unionsbeschlüssen stehen." Diese, von Gorbatschow als "unverantwortlich" und "irrig" kommentierte Haltung bedeutete, dass Rußland "nicht die Absicht hatte, Beschlüsse auszuführen, die von der Föderation getroffen worden waren." Diese Handlungsweise Rußlands löste nach Gorbatschow faktisch den Zerfall der Union aus. "Sämtliche Einschätzungen, dass die Nationalitätenprobleme im Baltikum, im Transkaukasus, in Mittelasien den Zerfall der Sowjetunion eingeleitet hätten, sind Versuche, die unverantwortliche Handlungsweise Jelzins und seiner Anhänger in der Bewegung "Demokratisches Rußland" im nachhinein zu rechtfertigen" schreibt Gorbatschow und ergänzt: "Weder damals noch heute hat irgendjemand überzeugende Argumente vorzubringen vermocht, weshalb sich Rußland unbedingt von der UdSSR unabhängig erkläre mußte." Natürlich hatte Jelzin auch seine - wohl berechtigten- Pläne, die auszuführen aber zu weit reichen würde. Jedoch agierte er oftmals hinter dem Rücken des Präsidenten und hatte eine um 180° gekehrte Meinung zu Gorbatschows Politik. Jelzin betrieb eine "Politik mit dem Ziel der Zerschlagung der Union und der Machtübernahme in Rußland." Er ging sogar soweit eine Kampagne gegen den Präsidenten zu starten und dessen Rücktritt öffentlich zu fordern.

Es kam zu einem "Krieg der Gesetze", indem die Russische Föderation Gesetze erließ, die dem Unionsgesetzen widersprachen. Die Demokraten schlossen eine Allianz mit separatistischen, nationalistischen Gruppierungen mit dem gemeinsamen Ziel die Union zu schwächen und wenn möglich aufzulösen. Bewaffneter Terror gegen Andersdenkende sowie die Schändung sowjetischer Denkmäler und die Verbreitung profaschistischer Ansichten als auch die sozialen Krisen durch den Rückgang der Produktion wären fast in einem Bürgerkrieg eskaliert.

Der einzige Ausweg den alle Seiten annehmen mußten, da er demokratisch und fair war, lag in dem Referendum über die Erhaltung der Union. Am 17. März 1991 stellte man allen Bürgern die Frage: "Halten sie die Erhaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneuerte Föderation gleichberechtigter, souveräner Republiken, in der die Rechte und Freiheiten der Menschen jeder beliebigen Nationalität in vollem Maße garantiert sein werden, für notwendig?" Bei einer Wahlbeteiligung von 80% stimmten 76,4% mit "Ja" und 21,7% mit "Nein". Das Ergebnis steht für sich. Problematisch blieb allerdings, dass zwar die Mehrheit der Bürger- nicht aber die Mehrheit der Politiker dafür war. Vielen ging der Reformkurs maßlos zu weit, andere forderten die Neugestaltung der Führung und die Rückkehr zum alten System, wie Gurenko (Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine), der öffentlich forderte "den Status der KPdSU als Regierungspartei gesetzlich zu verankern" und die Parteikontrolle über die Massenmedien wiederherzustellen!

Bei einer entscheidenden Diskussion über den neuen Unionsvertrag zitiert Gorbatschow eine Mitschrift der Vorbereitungskommission, deren Simplizität, die Geringschätzung der Teilnehmer und das offene Desinteresse für den immerhin wichtigsten Vertrag seit Jahrzehnten, mich tief beeindruckt haben. An einigen Stellen drängt die Frage auf, ob die Teilnehmer überhaupt begriffen hatten was für weitreichende Aussagen dort gemacht wurden! Der Inhalt der Diskussion umfaßte Themen wie der Name des zukünftigen Staatsgebildes, Mitgliedschaft in dieser Union, Steuern, Territorium, juristische Befugnisse etc. Jelzin verläßt das Gremium direkt zu Anfang, da er sich um seinen Wahlkampf kümmern muß!!! Als der Artikel 3 (Territorium) besprochen wird, schreibt Gorbatschow, dass er eine kurze Geschichte erzählt mit der Pointe, dass "Die beste Rede ist die Rede, die nicht gehalten wurde"! Im darauffolgenden Satz schreibt er fast beiläufig: "Im folgenden wurden weniger Kommentare abgegeben."
Ähnlich ist die Beschreibung Gorbatschows des 5. Artikels (Abgrenzung der Befugnisse zwischen Union und Republiken): "Über eine Stunde lang wird die Bezeichnung des Artikels diskutiert. Danach einigten sich die Anwesenden aus irgend einem Grund sehr schnell über den ganzen Artikel."
Ein weiteres Indiz für das Desinteresse an der Zukunft des eigenen Landes folgt, als jemand, da es bereits Nacht ist, fragt, ob man die Diskussion auf morgen vertagen solle. Gorbatschow ist dagegen und schreibt: "Nach einer kurzen Pause wird der Artikel über die Steuern in zwei Minuten abgeschlossen." Als auch er keine Lust mehr hat, jemand aber noch etwas einzuwenden hat, antwortet er gebieterisch mit eisener Faust: "Was mußt du denn ständig murren, wie ein alter Großvater? Wir haben doch alle deine Vorschläge angenommen."
In ähnlichen, endlosen Diskussionen fanden in dieser Zeit regelrechte rhetorische Schlachten über eine Fülle von ungelösten Problemen statt. Gefährliche Zuspitzungen und Meinungskonflikte zwangen die Befürworter des Vertrags möglichst schnell zu handeln und den Vertrag in aller Eile zur Ratifizierung bereit zu stellen. Die Gegner des Vertrags hatten ein leichtes Spiel jenen Vertrag zu verzögen, was ihnen so gut gelang, dass der Unionsvertrag letztlich nicht einmal ratifiziert wurde.


Am 15. August 1991 veröffentlichte man den Entwurf des Unionsvertrags, der vier Tage später ratifiziert werden sollte. Jedoch wurde die Annahme des neuen Vertrages "durch den Putsch jäh verhindert." Ich will nur kurz auf den Putsch vom 19. - 20. August eingehen, da dieser erstens scheiterte und zweitens die Reaktion der Reformgegner war, die nun einsahen, das ihre Pläne nicht mehr verwirklichbar waren. Der Putsch an sich basierte auf einem einfachen Erlaß, mit dem Inhalt, dass der Vizepräsident Janajew die Funktion des Präsidenten übernahm, da dieser "aus gesundheitlichen Gründen zu deren Ausübung nicht mehr bereit sei." Außerdem kritisierten die Putschisten den Entwurf des Unionsvertrages heftig und riefen den Ausnahmezustand aus. Nach nur drei Tagen hatte die ehemalige Regierung die Zügel der Macht wieder fest in der Hand. Der Staatsstreich von reaktionären Kräften aus der Partei und dem Militär wurde mit Hilfe loyaler Truppen, durch den Widerstand der Bevölkerung und schließlich durch (Gorbatschows politischen Gegner) Jelzin beendet.
Als Folge des Putsches versuchte Gorbatschow natürlich die Unterzeichnung des Vertrages zu beschleunigen, also eine neue Unionsverfassung und ein neues Wahlgesetz zu erlassen, damit Wahlen zum Unionsparlament und für das Präsidentenamt angesetzt werden konnten.
Der Putsch hatte die Gestaltung neuer Beziehungen auf Unionsebene zwischen den souveränen Republiken unterbrochen und den Desintegrationsprozeß nicht nur des Staates, sondern auch der Gesellschaft verstärkt.

Jelzin erließ das Dekret "Über die Gewährleistung der wirtschaftlichen Grundlagen der Souveränität der RSFSR", das die Übergabe sämtlicher der Unionsregierung unterstellten Unternehmen und Organisationen an Rußland beinhaltete.
Der Oberste Sowjet der Ukraine erklärte das Land am 24. August zu einem unabhängigen, demokratischen Land. Am 25. August folgte Weißrußland, danach die Republik Moldau, Aserbaidschan, Kirgisistan und Usbekistan. Am 28. August verkündetet die Führung der RSRSF, dass Rußland die Kontrolle über die Staatsbank und die Außenhandelsbank der UdSSR übernehme.
Der Weg zu einer Einigung über den Unionsvertrag führte nun durch tiefen Sumpf, obwohl eine vereinte Verteidigung und eine gemeinsame Außenpolitik immer noch bejaht wurden.
Die Unabhängigkeit der baltischen Republiken wurden offiziell anerkannt und die Gründung eines gemeinsamen Wirtschaftsmarktes sowie eine koordinierte Wirtschaftspolitik konsolidiert als Voraussetzung zur Überwindung der Krise. Der Entwurf des Unionsvertrages sah außerdem vor, dass einem Eintritt in die Union nicht unbedingt auch ein Eintritt in die Wirtschaftsunion folgten musste. Am 18. Oktober unterzeichneten die Führer von acht Republiken und der Präsident der UdSSR die Wirtschaftsunion. Rußland sollte den anderen Republiken wirtschaftlich helfen, da es über die meisten Ressourcen und eine ausgebaute Wirtschaft verfügte. Somit konnten die anderen Republiken den durch den Putsch drohenden Zerfall nicht als Tragödie, sondern als eine Art Sieg umwerten, da durch die offensichtlich schwache russische Regierung ihr Machteinfluß wuchs. Wieder forderten viele unter der Führung Jelzins einen Alleingang Rußlands und somit eine Isolation. Darauf folgten "Verzögerungsmanöver und politische Intrigen", so dass dem Land durch die Unklarheit "die Puste ausgeht".

 
 

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