Die Entstehung der Mafia reflektiert die sozialen Umwälzungen des sizilianischen Feudalismus während der italienischen Nationalstaatsgründung. Die adeligen Latifundienbesitzer Westsiziliens, deren wichtigstes Herrschaftsinstrument, die Leibeigenschaft der Bauern auf ihren Besitzungen, nominell aufgehoben wurde, vergaben fortan ihre Ländereien zur Pacht an Verwalter. Diese gabellutti, was ursprünglich Steuereintreiber bedeutet, wuchsen nach und nach in eine Mittelposition hinein: Sie verpachteten das Land an die ansässigen Bauern, die weiterhin arm und faktisch sozial gebunden waren, und verlangten von diesen horrende Bodenzinse. Mit der Zeit wurden die Landbarone von den gabelluti entmachtet. Diese eigneten sich die Herrschaftrechte des Adels an, wie Polizeiaufgaben und Gerichtsbarkeit, und sie nutzten staatliche Vorrechte für ihre eigenen Zwecke. Zudem stellten die gabelutti bald auch Schutztruppen für ihr Ländereien auf.
Als sich zeigte, dass der italienische Staat mit seinem Gewaltmonopol die Lücken, die das alte Feudalsystem hinterlassen hatte, nicht schließen konnte, waren die gabellutti in einer ungeheuer starken Position. Dies entsprach freilich nicht ihrer sozialen Herkunft. Die gabellutti waren nämlich vielfach Viehmakler, Händler oder kleine Landbesitzer und entstammten sozial und wirtschaftlich heterogenen Unterschichten. Als ungebildete Analphabeten, die sie oft waren, wurden sie von den bürgerlichen Schichten und vom Adel gemieden.
|