Dem Beispiel Brissot\'s folgend erscheinen zahllose neue Zeitungen. Die Buchhandlungen können dem Andrang kaum standhalten, so groß ist der Wissensdurst der Menschen. In Versailles führt die Nationalversammlung gemächlich ihre Beratungen fort, sie ist von den Erwartungen der Menschen beinahe gelähmt. In Paris beschließt die Commune üppige Bezüge für ihren Bürgermeister und den Stadtkommandanten, während sie gleichzeitig bemüht ist, die einfachen Bürger aus der Miliz heraus zu drängen. Hatte die Nationalversammlung davon geträumt, nur einige abstrakte Prinzipien zu deklamieren, so änderten beunruhigende Nachrichten aus der Provinz die Situation: die Bauern weigern sich, die feudalen Abgaben zu leisten, setzen ihre Weigerung schriftlich auf und bewaffnen sich, um ihre Forderungen durchzusetzen. Kann sich die Nationalversammlung mit einigen schönen Worten aus der Affäre ziehen und im übrigen untätig bleiben ? Möglicherweise ist alles verloren, wenn sie zu lange zögert. Der berühmt gewordene Enthusiasmus der Nacht des 4. August ist schließlich das Ergebnis der Taten des Volkes: angesichts der Gefahr allgemeiner Aufstände wird die Abschaffung der feudalen Abgaben, des Zehnten, der Privilegien der Zünfte und der Provinzen beschlossen. Eine grundlegende Veränderung, über die die Abgeordneten endlos weiterdiskutiert hätten, wenn das Volk seinen Willen nicht erzwungen hätte. Aber so erschrocken waren die Vertreter des Adels und der Kirche doch nicht, daß sie alles auf einen Schlag aufgegeben hätten. Die Beschlüsse jener denkwürdigen Nacht hatten zwar unwiederbringlich die feudalen Abgaben beseitigt, aber - weise Beherrschung der Begeisterung - für alle anderen Vorrechte eine Entschädigung vorgesehen. Damit glaubten Adel und Geistlichkeit der Revolution den gefährlichen Stachel genommen zu haben. Die Ordnung, ihre Ordnung könne nun wiederhergestellt werden. Sie übersahen nur ein Detail: die Ablösesumme hätte das Vermögen der Bürger um ein Vielfaches überstiegen. Und die Bauern begriffen auch gleich, die Verpflichtung zur Entschädigung der alten Herren führte sofort zu neuen Unruhen. Die Revolution ging weiter.
Steuern und Anleihen stopfen die Löcher in der Staatskasse nur spärlich, die Finanzkatastrophe verschärft sich weiter. Die Nationalversammlung wird erneut widerspenstig. \"Unfähig\" und \"Verrat\" ist der Kommentar der Redner in Paris. \"Verrat\" sagt auch der Volksfreund (l\'ami du peuple), den Jean Paul Marat (1743-1793) herausbringt. Gleich zu Beginn der Revolution ist er zum Mitglied des Sicherheitskomittees seines Stadtteils gewählt worden. Als einer der ersten erkennt er den Konflikt, der zwischen der Nationalversammlung und dem Volk besteht. Er ruft dem Volk zu: \"Wirst du immer das Opfer deiner Blindheit sein?\" Brot wird knapp. Und ist nicht das wenige, das man bekommt, vergiftet ? Englische Agenten und Mittelsmänner des Herzogs von Orleans tragen zur Verwirrung bei. Der König hat die Beschlüsse vom 4. November nicht unterschrieben. Neue Regimenter kommen in Versailles an. Die Versorgung von Paris hört ganz auf. Man prügelt sich von den Bäckereien, als auch noch bekannt wird, daß die königliche Garde den neuankommenden Truppen ein Bankett bereitet haben. War die ganze Revolution umsonst ? Am Morgen des 5. November macht sich ein Zug von 8.000 Frauen mit Gewehren, Piken und Kanonen auf den Weg nach Versailles um Brot zu fordern. Sie bringen nicht nur den König und seine Familie, sondern auch die Nationalversammlung nach Paris. Die Abgeordneten tagen von nun an unter den Augen des Volkes, das an den Debatten regen Anteil nimmt, so wie es Marat am 12. Oktober als erster vorgemacht hat. Jetzt werden eine nach der anderen alle die Reformen beschlossen, die seit langem überfällig waren. Und jede Gruppe, deren Forderungen erfüllt werden, meint den revolutionären Schwung bremsen zu können sobald sie sich am Ziel glaubt. Die ursprünglich einheitliche Bewegung zersplittert sich immer stärker je größer die Erfolge werden. Die, die in der Nacht zum 4. August noch als Revolutionäre galten, werden jetzt von den hinter ihnen stehenden als Konterrevolutionäre bekämpft, die den Lauf der Revolution aufhalten wollen.
|