Artikel: Kleine Zeitung Online vom 10. Sep. 1997
Josef Kardinal Ratzinger präsentierte gestern in Rom die überarbeitete, lateinische Endfassung des katholischen Weltkatechismus. Der schwerwiegendste von etwa hundert Eingriffen in den französischen Originaltext von 1992 betrifft die Beurteilung der Todesstrafe. Wer erwartet harte, die Aussage über die prinzipielle Zulässigkeit der Todesstrafe ausdrücklich revidiert zu finden, wurde enttäuscht. Die Redaktion unter Kardinal Ratzingers Leitung griff zu einem anderen Mittel, dasselbe Ziel zu erreichen: Die Fülle der beigefügten Bedingungen schließen de facto aus, dass Hinrichtungen moralisch gerechtfertigt sein können. In der französischen Fassung spricht die Kirche der "gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt" das Recht zu, angemessene Strafen zu verhängen, "ohne in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen". In der Endfassung finden sich aber zwei Einschränkungen, die den Inhalt des Satzes praktisch ins Gegenteil verkehren: Eine davon schließt de facto alle heute praktizierten Hinrichtungen von der Rechtfertigung aus: die Verhängung der Todesstrafe müsse "der einzige praktikable Weg zum wirksamen Schutz von Menschenleben vor einem widerrechtlichen Angreifer" sein. Um die Unwahrscheinlichkeit zu unterstreichen, dass ein konkreter Fall diese Bedingung erfüllen könnte, fügt der Katechismus an: "Heute... sind die Fälle absoluter Notwendigkeit der Beseitigung des Schuldigen bereits sehr selten, wenn nicht geradezu praktisch nicht vorhanden." Als Begründung fügt der Katechismus die vielfältigen Möglichkeiten des Staates an, Verbrechen effektiv zu unterdrücken und Täter unschädlich zu machen, ohne ihnen "die Möglichkeit der Umkehr
endgültig zu nehmen".
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