Die Schwachstellen und Probleme werden hier in Anlehnung an den auf Seite 85 aufgel-isteten Dimensionen aufgezeigt.
Befragt wurden die Mitglieder der Bewertungskommission, Gutachter und Mitarbeiter der Unternehmung ABC. Die Kommission setzt sich aus dem BVW-Beauftragten als Vor-sitzenden, zwei Vertretern des Betriebsrates, dem technischen Leiter und dem Personalle-iter der Unternehmung ABC zusammen.
Es kristallisieren sich in der Untersuchung in den folgenden Dimensionen verschiedene Problembereiche des Ist-Zustandes heraus:
1. Art des Fortschritts:
Bedingt durch das Alter der Produktionsanlagen sind die Maschinen weitgehend technisch ausgereift, so daß diese "nicht mehr durch einfache, nicht so kapital¬intensive Maßnahmen verbessert werden können." D. h. nicht, daß die Anlagen der Unternehmung ABC nicht modernen Verfahrensmethoden entsprechen, son-dern daß das Potential für Verbesserungen, und dies gerade für Verbesserungen mit großer Wirkung, eher niedrig ist.
2. Realisierungsdauer der Vorschläge:
Die Realisierung der Verbesserungsvorschläge dauert prinzipiell zu lange. Sie liegt zwischen zwei Wochen und zwei Jahren, vereinzelt sogar noch länger.
Ein Grunde hierfür liegt in der Dauer der Begutachtung, welche zwischen fünf Tagen und drei Monaten nach Einreichung des Verbesserungsvorschlages liegt. Etwa 80 % der Verbesserungsvorschläge sind nach zwei Wochen begutachtet. Die Verbesserungsvorschläge, die länger beim Gutachter verbleiben, sind meist errechenbare Verbesserungsvorschläge, die eines höheren Aufwandes bei der Bearbeitung bedürfen.
Weitere Ursachen für die relativ lange Bearbeitungsdauer ergeben sich aus:
. Der Ablauforganisation des BVWs. Hiermit ist der Weg des Verbesse-rungsvorschlages vom Einreicher über den BVW-Beauftragten zum Gu-tachter gemeint und die Anonymität, die die meisten Einreicher (etwa
80 %) wünschen. Dadurch muß sich der Gutachter bei Verständnisfragen bezüglich des Verbesserungsvorschlages über den BVW-Beauftragten an den Einreicher wenden.
. Der Ausführung des Verbesserungsvorschlages. Die Umsetzung erfolgt meist über Handwerker, die hierfür einen Betriebsauftrag erhalten müssen. Die Ausführung kann sich dann über Wochen und Monate hin-ziehen, da die Aufträge in der Reihenfolge des Einganges bearbeitet wer-den. Nur Verbesserungsvorschläge von geringem Aufwand und Ver-besserungsvorschläge, die der Arbeitssicherheit sowie dem Umwelt-schutz dienen, werden in der Regel sofort ausgeführt bzw. mit höherer Priorität in der Ausführung berücksichtigt.
. Der Tatsache, daß die Gutachter die Verbesserungsvorschläge über
Wochen sammeln und diese dann auf einmal bearbeiten.
3. Prämien:
In der Festlegung der Prämie ergeben sich Diskrepanzen, die auf Mängel in der Bewertung der Verbesserungsvorschläge zurückzuführen sind. Zudem vergeht zwischen Einreichung und Prämierung der Verbesserungsvorschläge eine lange Zeit.
Die nicht berechenbaren Verbesserungsvorschläge (qualitative Vorschläge) stellen den größten Anteil der eingereichten Vorschläge dar. Die Bewertung dieser Vor-schläge erfolgt rein subjektiv durch die Gutachter und ist für die Mitarbeiter nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang bemängeln die Mitarbeiter "falsche Berechnungen".
Die Ursache hierfür liegt in dem Fehlen eines einheitlichen Bewertungssystems. Die Kriterien bei der Begutachtung legt der Gutachter durch sein fachliches Wis-sen, seinen "gesunden Menschenverstand" oder den Unterlagen seines Vor-gängers fest. Durch das Fehlen einheitlicher Zielkriterien erfolgt eine unter-schiedliche Gewichtung durch die Gutachter. Die Richtigkeit der Angaben der Gutachten werden "intuitiv" vom BVW-Beauftragten und den Kommissionsmit-gliedern geprüft. Die Prämienvergabe erfolgt anhand der Tabelle 5.1 (vgl. S. 102).
Ferner gibt es keine sichtbare Differenzierung zwischen Anerkennungsprämien und Prämien für realisierte Verbesserungsvorschläge mit geringem Wert für den Ar-beitsplatz. So gab es schon Prämien von 100,- und 200,- DM für Verbesserungs-vorschläge die nicht realisierbar waren, aber auf Mängel hinwiesen oder mit erk-ennbarer Mühe des Einreichers erstellt wurden. Gleichzeitig wurden Verbesse-rungsvorschläge, die realisiert wurden, mit Prämien in der gleichen Höhe prämiert. Dies führte bei einigen Mitarbeitern zu der Einschätzung der "ungerechten Prämienvergabe". Auch dieser Mangel kann auf ein fehlendes transparentes und nachvollziehbares Bewertungssystem zurückgeführt werden. Im übrigen stellt das Festlegen einer Mindestprämie (100,- DM) eine Barriere für die Mitarbeiter dar (vgl. S. 26).
Die Prämierung der Verbesserungsvorschläge dauert zu lange. Da einmal die Kommission zu selten tagt (alle zwei Monate) und zweitens die Begutachtung zu lange dauert (siehe oben). Zudem versucht die Kommission immer einstimmig zu entscheiden. Dies führt bei Unstimmigkeiten zwischen den Kommissionsmit-gliedern dazu, daß die Entscheidungen über Prämierungen vertagt werden, um weitere Gutachten anzufordern.
4. Bedingungen für die Prämierung von Vorschlägen:
Die Abgrenzung, welche Verbesserungsvorschläge prämiert werden, erfolgt ganz im Sinne des BVWs. Der Verbesserungsvorschlag muß "ganz oder überwiegend außerhalb des sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Aufgabenbereichs des Einreichers stammen." In der Vergangenheit gab es in den Sitzungen der Kommission über die Abgrenzung des Aufgabenbereiches immer wieder Un-stimmigkeiten. Dies lag nicht zuletzt auch an fehlenden Stellenbeschreibungen für die gewerblichen Mitarbeiter.
Nach Artikel 4.2 der Betriebsvereinbarung über das BVW besteht für Verbesse-rungsvorschläge eine Sperrfrist von vier Wochen nach der Abnahme von neuen Maschinen oder Einrichtungen durch die zuständige Abteilung. Dies führt dazu, daß in dieser Zeit das Verbesserungspotential der Mitarbeiter nicht genutzt wird.
5. Organisation:
Bei der Unternehmung ABC liegt ein Einliniensystem vor. Somit liegt hier das klassische Prinzip der Auftragserteilung nach FAYOL vor, d. h. jeder Mitarbeiter hat nur einen Vorgesetzten, ein Vorgesetzter hat jedoch mehrere Mitarbeiter. Das Einliniensystem zeichnet sich weiter durch in der Hauptsache vertikale Kommunikationswege und durch das Aufspalten der Gesamtaufgabe in kleine Arbeitsschritte aus. Die Abstimmung der einzelnen Arbeitsschritte erfolgt durch die jeweiligen Vorgesetzten, die wiederum von ihren Vorgesetzten koordiniert werden. Diese Hierarchie führt bei einzelnen Abteilungsleitern zu einer Überlas-tung. Dies äußert sich bei den Abteilungsleitern, die Gutachter für das BVW sind, in der Form, daß die Erstellung von Gutachten länger dauert als es wün-schenswert wäre. Insgesamt entspricht die Organisation des BVWs bei der Unternehmung ABC der des BVWs, wie sie auf S. 13 ff. dargestellt wird. Die Mängel, die sich aufgrund der Ablauforganisation ergeben, sind schon in der Re-alisierungsdauer der Vorschläge beschrieben worden. Sie ergeben sich meist aus dem Instanzenweg der Verbesserungsvorschläge.
Die Organisation der Kommissionsarbeit weist einige Mängel auf.
Die Kommission tagt zu selten und zu lange. Die Dauer einer Sitzung ist hauptsäch-lich deshalb so lange, da jeder Verbesserungsvorschlag und die dazugehörigen Gutachten erst in der Sitzung verlesen werden. Der Vorschlag des früheren tech-nischen Leiters die Verbesserungsvorschläge einige Wochen vor der Sitzung an die Mitglieder der Kommission zu verteilen, um sich so schon vor der Sitzung eine Meinung zu bilden, stieß auf allgemeine Ablehnung. Die Ablehnung wurde damit begründet, daß die anderen Mitglieder keine Zeit haben sich die Verbesse-rungsvorschläge vorher anzuschauen und bei einigen das Fachwissen fehlt die Verbesserungsvorschläge nachzuvollziehen. Ferner wurde von einigen Mitglied-ern die Befürchtung geäußert, daß sich der technische Leiter mit den Kostenstel-lenleitern bezüglich der Verbesserungsvorschläge unterhalten und damit Einfluß auf die Gutachten haben könnte.
6. Information und Kommunikation:
Wesentliche Teile der Kommunikationswege sind durch die Einlinienorganisation der Unternehmung ABC vorgegeben. Bedingt durch Zwischeninstanzen kommt es zu Zeitverlusten und der Gefahr der Informationsfilterung.
Die meisten befragten Vorgesetzten sprachen von einem guten Kommunika-tionsklima. Aufgrund der Befragungen ergaben sich jedoch grundlegende Infor-mationsdefizite. Bezüglich des BVWs soll dies an folgenden Punkten beispiel-haft aufgezeigt werden:
. Die Gutachter erhalten Verbesserungsvorschläge zur Begutachtung, ohne konkret informiert zu werden, was die Gutachten enthalten sollen und wie die Bewertung vorgenommen werden soll. Weiterhin bekommen sie keine Rückmeldung über ihre Gutachten und den Entscheidungen der Kommission bezüglich der von ihnen begutachteten Verbesserungsvor-schläge.
. Die Mitarbeiter wünschen sich mehr Informationen über das BVW. Im Moment sind Informationen über das BVW eine "Holschuld". Die Mi-tarbeiter müssen sich an ein Organ des BVWs oder an den Vorgesetzten wenden, um Informationen zu erhalten.
Informationsdefizite der Mitarbeiter waren in folgenden Punkten feststell-bar:
. Was ist das BVW?
. Wer und wie kann man teilnehmen?
. Wer ist der BVW-Beauftragte?
. Wer begutachtet die Verbesserungsvorschläge?
. Wer prämiert die Verbesserungsvorschläge?
. Wie wird die Prämie ermittelt?
Einige Mitarbeiter wußten zwar was das BVW ist, kannten aber nicht das BVW der Unternehmung ABC.
. Die Einreicher erfahren über Standardbriefe über Annahme oder Ablehnung ihres Verbesserungsvorschlages. Bei Rückfragen haben sie sich an den BVW-Beauftragten zu wenden ("Holschuld").
. Es ist keine klare Zuständigkeit für Werbung erkennbar. So gab es bei fünf Kommissionsmitgliedern vier unterschiedliche Aussagen, wer für die Werbung zuständig sei. Konsequenz: Es gibt keine Werbung!
. In dem Organigramm der Unternehmung ABC wird das BVW nicht auf-geführt!
. Es gibt keinen Informationsaustausch zwischen dem BVW-Beauftragten der Unternehmung ABC und der Niederlassung in K.
Somit gibt es insgesamt große Kommunikations- und Informationsdefizite im BVW. Dies führt zu Barrieren für die Mitarbeiter sich am BVW zu beteiligen (Vgl. S. 32).
Dabei ist Kommunikation ein bedeutendes Element sozialer Interaktion und damit menschlichen Verhaltens in der Unternehmung. So ist nach WEINERT "in der Kommunikation eine Art 'allgemeine Basis' (bzw. ein Indikator) zu sehen, auf der sich Organisationsverhalten abzeichnet." Somit ist in der Unterneh-mung ABC, durch das Fehlen der Kommunikation im BVW, eine Organisation zu erkennen, die kein Interesse am BVW hat. Auf diesen Punkt wird abschließend noch einmal eingegangen.
7. Ziele der Mitarbeiter:
Die meisten Mitarbeiter nannten neben der Geldprämie Anerkennung, Arbeitser-leichterung und Realisierung der Verbesserungsvorschläge als Beweggründe für eine Teilnahme am BVW. Dies deckt sich mit einer Studie von THOM, bei der die Möglichkeit zur Arbeitserleichterung als wichtigster Beweggrund genannt wurde. Danach kam erst die Geldprämie sowie persönliche Anerkennung und die schöpferische Mitarbeit. Die befragten Vorgesetzten sahen jedoch in der Geldprämie die Hauptmotivation für eine Teilnahme am BVW begründet, was mit der Studie von SPRENGER übereinstimmt.
8. Beschäftigungspolitisches Modell:
Die Beschäftigungspolitik der Unternehmung ABC und damit auch bei der Unternehmung ABC zeichnet sich durch einen kurz- bis mittelfristigen Planung-shorizont aus. Im Vordergrund stehen "Verbesserung der Produktionsabläufe, Entwicklung neuer Produkte, Kostenreduzierungen - das sind noch immer die wesentlichen Faktoren, mit denen wir Geld verdienen können." Dies zeigt sich auch der Personalpolitik der Unternehmung ABC.
Im Produktionsbereich werden sehr viele unqualifizierte Mitarbeiter eingesetzt, d. h. sie haben keine oder eine fachfremde Ausbildung. Hinzu kommt ein hoher Anteil an Ausländern mit Sprachproblemen. Der Schwerpunkt der Qualifikation dieser Mitarbeiter liegt im learning by doing, d. h. den meisten der Mitar-beiter im gewerblichen Bereich wird vor Ort gezeigt was sie tun müssen. Zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen sind selten.
Die meisten vorgenommenen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sind fachspezi-fischer Natur, d. h. dem Mitarbeiter werden Kenntnisse vermittelt, die er zur besseren Erfüllung seiner augenblicklichen Tätigkeit braucht. Dadurch sind die Mitarbeiter Spezialisten in ihrem Arbeitsbereich und sind an ihren Arbeitsplatz gebunden.
Es fehlen jegliche Schulungsmaßnahmen in Methoden- und Sozialkompetenz. Unter Methodenkompetenz ist das Wissen über Verfahren und Werkzeuge zu verstehen und deren Anwendung zur Lösung von Problemen (vgl. S. 77). Die Sozialkompetenz erstreckt sich auf die Fähigkeit, mit anderen effektiv zu kom-munizieren und die eigene Tätigkeit mit anderen zu koordinieren. Diese Techni-ken sind nicht nur für die Führungskräfte relevant, sondern sie sind auch im be-trieblichen Bereich eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit.
Diese hier angesprochenen Mängel zeigen sich auch im BVW. Kein Beteiligter ist in irgendeiner Form auf seine Aufgabe im Rahmen des BVWs vorbereitet worden. Von allen wurde erwartet, daß sie die nötige Kompetenz durch ihre Ausbildung und Erfahrung in ihre Funktion einbringen. Die nötige Fachkompe-tenz ist bei fast allen vorhanden. Doch zeigen sich wie oben beschrieben ekla-tante Mängel in der Methoden- und Sozialkompetenz. Die Testpersonen waren hierbei die Mitarbeiter, die nun erst einmal mit Mißtrauen auf alle Maßnahmen der Unternehmungsleitung oder des BVWs reagieren.
9. Unternehmensleitbild:
In der Unternehmung ABC gibt es kein schriftlich festgehaltenes Unterneh-mensleitbild. Es gibt auch keine sichtbaren Handlungen seitens der Unterneh-mungsführung bewußt auf die Unternehmenskultur einzuwirken.
Die Unternehmungskultur, die sich aufgrund der Aussagen und Maßnahmen der Unternehmungsleitung (Unternehmung ABC AG und Unternehmung ABC) in den letzten Jahren entwickelt hat, zeichnet sich durch Mißtrauen aus.
Die Gründe hierfür sind:
. Die hierarchische Struktur, die funktionale Arbeitsteilung sowie die durch Spezialisierung in der bürokratischen Organisation entwickelten anonymen Entscheidungsketten.
BLEICHER spricht in diesem Zusammenhang von einer Organisation die durch ein reduktionistisches Menschenbild und einem Mißtrauen gegenüber dem Verhalten der Mitarbeiter getragen wird.
. Die Rationalisierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben zusätzlich Ungewißheit und Unmut unter den Mitarbeitern verbreitet.
. Ferner ergeben sich aus dem Verhältnis der Unternehmung ABC AG zur Unternehmung ABC Spannungen. Diese Spannungen entstehen aus der Unsicherheit vieler Mitarbeiter der Unternehmung ABC bezüglich der Zukunft der Unternehmung ABC in der Unternehmung ABC AG. Da der Schwerpunkt der Produkte der Unternehmung ABC AG klar bei Produkt A liegt. Dies wird auch öffentlich so gelebt: "Unternehmung ABC ganzes Engagement gilt der Produktion und der Vermarktung von Produkt A,..." Die Unternehmung Unternehmung ABC stellt aber primär Pro-dukt D zur Weiterverarbeitung her. D. h. das Management der Unterneh-mung ABC steht nicht sichtbar hinter den Produkten der Unternehmung ABC.
Die Konsequenz dieser Handlungen und Aussagen ist, daß eine grundlegende Mißtrauenskultur in der Unternehmung entstanden ist, die bei den Befragungen spürbar war.
Die Probleme des BVWs der Unternehmung ABC die hier ausgearbeitet wurden, können nicht alle Schwächen und deren Ursachen aufzeigen. Vielmehr sollen sie die wesentlichen Ansatzpunkte für eine Verbesserung des BVWs aufzeigen, wie sie im nächsten Kapitel kurz dargestellt werden.
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