Im Verlauf dieser Ausarbeitung sind bisher sowohl das Eurozentrische Geschlechtermodell sowie die Love and Trouble Tradition als auch Alice Walkers "The Color Purple", mit besonderem Schwerpunkt der Darstellung des Männerbildes anhand der Charakterisierungen Mr. ____s, Harpos und Samuels, vorgestellt worden. Im folgenden Abschnitt soll nun versucht werden festzustellen, inwiefern die Love and Trouble Tradition und das Eurozentrische Geschlechtermodell den Rollenverhältnissen in "The Color Purple" entsprechen.
"Mayor ____ bought Miz Millie a new car, cause she said if colored could have cars then one for her was past due." (Walker 1982: 107). Dieser beiläufige Bericht Celies in einem ihrer Briefe an Gott ist ein treffendes Beispiel für das Eurozentrische Geschlechtermodell in Alice Walkers Roman. Es zeigt, wie tief die Vorstellung, Weiße seien den Farbigen überlegen, in den Äußerungen der Frau des Bürgermeisters verwurzelt sind. Sie begründet deshalb indirekt ihren Willen, ihr eigenes Auto besitzen zu wollen, mit den Vorstellungen des Eurozentrischen Weltbildes: Ihre gesellschaftliche Stellung gilt als Legitimation für ihre Ansprüche.
Das Eurozentrische Geschlechtermodell beruht jedoch nicht nur auf der Annahme, Weiße seien den Farbigen überlegen, sondern auch Männer ständen über den Frauen. Für diese These gibt es in Alice Walkers "The Color Purple" eine Menge Hinweise. Besonders in der Beziehung zwischen Mr. ____ und Celie wird dies deutlich. Dort findet die Überlegenheit Alberts in der physischen und psychischen Gewalt gegen seine Frau ihren Ausdruck (Beispiele siehe Mr. ____/Albert). Erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß sich Celie mit dieser Gewalt abgefunden zu haben scheint. Dies stellt sich unter anderem in gleichgültig klingenden Äußerungen wie "Just a slap now and then when he ain´t nothing else to do" (Walker 1982: 115) oder "I make myself wood" (Walker 1982: 23) dar. Eine mögliche Erklärung für diesen Zustand findet man in der Frauenliteratur, zum Beispiel bei P. Hill Collins oder bei Bell Hooks: Beide sehen in der Love and Trouble Tradition einen möglichen Ursprung. Daß dies jedoch nicht auf Celie und Mr. ____ zutreffen kann, beweist die einfache Tatsache, daß beide nicht sich, sondern Shug Avery lieben. Einen Hinweis auf die Love and Trouble Tradition in "The Color Purple" findet sich jedoch in einer Erzählung Shugs über ihre Mutter: "She just like me. Mama say. She drink, she fight, she love mens to death." (Walker 1982: 126).
Interessant ist nun die Frage, warum Celie erst so spät und nur mit Hilfe Shug Averys den Mut findet, Mr. ____ zu verlassen. Die Erklärung liegt darin, daß Celie vor ihrer Freundschaft mit Shug niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann und deshalb auf sich allein gestellt ist. Ein weiteres Indiz für die Hinnahme der Gewalt durch ihren Stiefvater und ihren Mann findet sich in Celies Briefen an Gott. Dort schreibt sie: "Bible say, Honor father and mother no matter what. [...] But he my husband." (Walker 1982: 43-44). Diese Textstellen verdeutlichen, daß Celie die Gewalt, die sie erfährt, durch die Bibel legitimiert sieht.
Die erwähnte Annahme, farbige Männer reagierten gewalttätig gegen Frauen und kompensierten somit ihre angestauten Aggressionen, da ihnen der Großteil der Unterdrückung der Gesellschaft widerfährt, trifft im Falle Mr. ____s nicht zu. An keiner Stelle des Romans wird deutlich, daß Albert persönlich mit der (weißen) Gesellschaft in Konflikt gerät. Vielmehr ist er ein verhältnismäßig wohlhabender Farmer auf dem Land seines Vaters, der relativ wenig Kontakt mit Weißen hat.
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau in "The Color Purple" stellt sich jedoch nicht immer so antagonistisch dar wie zwischen Mr. ____ und Celie. Daß Albert auch eine andere Rolle einnehmen kann, zeigt sich nicht nur daran, daß er einmal Shugs Kleid anzieht: "[...] he one time put on my [Shugs] dress." (Walker 1982: 153). Auch sein Verhalten gegenüber der Frau, die er liebt, unterscheidet sich von seinem Verhalten gegenüber Celie (siehe Mr. ____/Albert). Erst als sich Albert positiv verändert, kann er auch Celie als gleichgestellten Partner/Freund akzeptieren.
In der Beziehung zwischen Harpo und Sofia sind die "typischen" Rollen von Mann und Frau sogar vertauscht. Sofia, die Harpo (physisch) überlegen ist, trägt seine Hosen und verrichtet vorwiegend handwerkliche Tätigkeiten, während Harpo sich um das Kind und den Haushalt kümmert. Die Beziehung zwischen den beiden wird erst dadurch gefährdet, daß Harpo versucht, das Rollenverständnis seines Vaters auf seine Ehe zu übertragen.(siehe Harpo)
Weitere Beispiele für harmonische und gleichberechtigte Beziehungen sind die Ehen zwischen Samuel und Corinne bzw. zwischen Samuel und Nettie.
Buster/Prizefighter, Sofias zwischenzeitlicher Geliebter bringt seine Rolle als Mann in einer Beziehung auf den Punkt: "I don´t fight Sofia battle. My job to love her and take her where she want to go." (Walker 1982: 86).
Abschließend läßt sich feststellen, daß Alice Walker in ihrem Roman "The Color Purple" neben dem Rollenverhältnis im Eurozentrischen Geschlechtermodell eine Vielfalt anderer Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Beziehung aufzeigt. Dazu gehört neben den genannten Formen auch die homosexuelle Beziehung, die Walker in der Liebe zwischen Celie und Shug Avery beschreibt. Daß die Autorin das Rollenverhältnis des Eurozentrischen Geschlechtermodells nicht als Alternative zu einer der anderen Möglichkeiten ansieht, wird deutlich in ihrer Darstellung der Unmenschlichkeit Mr. ____s gegenüber Celie. Auch die Reaktionen der Leser (siehe Reaktionen) unterstützen Alice Walker in diesem Punkt.
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