Anders von Anfang an
Jahrzehntelang glaubten Pädagogen an die Gleichheit der Geschlechter. Aber die Hirnforschung belegt, dass die Unterschiede in den Chromosomen über die Art des Denkens bestimmen
Es gab eine Zeit, da hieß es, man müsse den kleinen Jungen bloß Puppen und den kleinen Mädchen Autos schenken, und schon wären sie überwunden, die leidigen Geschlechterrollen: Sozialisation war alles, Biologie oder Veranlagung galten bestenfalls als schlechte Ausreden. Diese blauäugigen Zeiten emanzipatorischer Ideologie haben alle, außer vielleicht einige Hardcore-Feministinnen, hinter sich gelassen.
Mädchen sind anders als Jungen, und das nicht nur infolge fehlgeleiteter Erziehung. »Why can't a woman be more like a man?«, Professor Higgins Stoßseufzer in My Fair Lady wird trotzdem noch vielfach gen Himmel gerichtet. Pech! Frauen sind nicht wie Männer, das belegt inzwischen ein ganzer Berg von Forschungsliteratur aus 30 Jahren - zum Beispiel aus der Feder von Eleanor Maccoby oder Diane McGuiness. Sie und viele andere haben über Unterschiede im Sozialverhalten von kleinen Kindern geforscht und kamen allesamt zu dem Schluss, dass Mädchen weit sozialer veranlagt sind als Jungen.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind weit weniger kulturell, als der an Androgynität orientierte Strang der Frauenbewegung es gern glauben wollte. Die Fortschritte in der Hirnforschung und der Biologie haben so manche Illusion zerstört. Der MIT-Biologe David Page, der das Y-Chromosom erforscht, notiert: »Die genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen stellen alle anderen Unterschiede im menschlichen Genom in den Schatten.«
Das Y-Chromosom ist der Schlüssel zur Männlichkeit: Es setzt die Produktion von Androgenen im Fötus in Gang. Im weiblichen Fötus ohne Y-Chromosom werden die Androgene nicht aktiviert. Die Umwelt, sagt Page, verstärke oder bestätige nur, was ohnehin angelegt sei. Der Augenschein gibt ihm Recht: Wenn die Erstklässler auf den Schulhof strömen, neigen die Mädchen auch nach 30 Jahren Feminismus und geschlechtergerechter Erziehung zu gesitteten Spielen, halten Händchen, schnattern viel und geben sich wichtig. Derweil rotten sich die Jungen immer noch zu Bolzgemeinschaften zusammen, brüllen, rennen, schwitzen.
Jungen formen Barbie-Puppen zu Pistolen und rufen »peng!«
Haben ihre Mütter ihnen das so beigebracht? Hätten ihre Väter öfter mit ihnen ins Kindertheater gehen, still Quartett spielen oder gar die Bohr- und Dübelstunde für die Mädchen ansetzen sollen? Gib einem Bub eine Barbie, und er wird sie so zurechtbiegen, dass sie wie eine Pistole aussieht, und »peng!« sagen. Gib einem Mädchen einen Panzer, und sie wird ihn an ihren Bruder weiterreichen. Larry Summers, Präsident der Universität Harvard, erzählt, wie er seinen kleinen Töchtern einst ganz bewusst zwei Lastautos schenkte. Sie nannten sie »daddy truck and baby truck«. Ein Junge hätte die Dinger aneinander gekoppelt, die Räder abmontiert oder sie aufeinander zurasen lassen. Er hätte sie nie zu Familienmitgliedern gemacht.
Mädchen spielen eher im Haus oder in dessen Nähe, meistens in Gruppen von zwei, drei Freundinnen. Ihre Beziehungen sind eng und vertratscht. Jungen entfernen sich weiter vom Haus, spielen in größeren Gruppen, ihre Freundschaften sind selten so intim und drehen sich meist um gleiche Interessen wie Fußball oder die PlayStation. Mädchen tun regelmäßiger, was man ihnen sagt, und geraten dadurch seltener in Gefahr als Jungen: beim Klettern, beim Skilaufen, im Straßenverkehr. Mädchen suchen den Konsens, wollen beliebt sein, stimmen mit dem andern gern überein. Sie wollen mit Worten überzeugen, nicht wie die Jungen ihr Ziel mit Aggression erreichen.
Doch die Aggression der Jungen scheint eben nicht in erster Linie böser Wille, sondern Teil ihres genetischen Rüstzeugs zu sein. Schon im Mutterbauch werden sie im dritten Monat von bis zu achtmal größeren Mengen Testosteron überschwemmt als die Mädchen. Es besteht wenig Dissens über die Rolle von Hormonen (und Chromosomen) bei der Festlegung des Geschlechts.
Aber formen die Hormone nur den Körper oder auch das Hirn? An Ratten haben Roger Gorski und sein Team an der University of California in Los Angeles (UCLA) herausgefunden, dass weibliche Rattenbabys, denen man Testosteron verabreicht hatte, männliches Sexualverhalten an den Tag legten. Die vermännlichten Rättinnen zeigten freilich noch andere Veränderungen: Sie waren aggressiver, selbstbewusster, raumgreifender und konnten komplizierte Labyrinthe so gut meistern wie sonst nur ihre männlichen Brüder.
Menschen sind keine Ratten, aber als Säuger verfügen sie über ähnliche Nervenstrukturen und ähnliche Hormone. Was Gorski im Labor beobachtete, kann man bei Menschen nur an biologischen Zufällen erkennen: bei so genannten AGS-Mädchen (adrenogenitales Syndrom). Das sind Mädchen mit XX-Chromosomen, die als Fötus hohe Dosen an männlichen Hormonen produzieren. Sie kommen mit männlichen oder zweideutigen Genitalien auf die Welt, ihre inneren Organe sind jedoch weiblich.
Diverse Studien, zum Beispiel von Richard Udry oder Katherine Hoyenga (Gender Related Differences, 1993), zeigen, dass solche Mädchen sich durchgehend verhalten wie Jungen. Sie sind wild, laut, unberechenbar, immer mit Gruppen von Jungen zusammen, sie spielen lieber mit Lego als mit Kuscheltieren - und mit vier Jahren wünschen sie sich den Jeep mit Fernbedienung statt der Hochzeitsbarbie.
Trotz aller Mühen schaffen es die Eltern solcher AGS-Mädchen nicht, aus ihnen typische Vertreterinnen ihres Geschlechts zu machen. Das männliche Pendant dieser Störungen - also Föten, die zu wenig männliche Hormone erwischen und in der Pubertät auch zu wenig Testosteron ausschütten - hat einen männlichen Körper, aber weibliche Eigenschaften. Sie spielen lieber mit Mädchen, sind braver und müssen sich nicht ständig mit anderen messen. Beide Zufälle der Natur sind Hinweise auf ein angeborenes Programm.
Darüber hinaus gibt es auch aggressive Mädchen, die nicht am AGS leiden. Auch bei ihnen war ein Zuviel an Testosteron im Mutterleib entscheidend: Hatten die Mädchen mehr als die normale Dosis bekommen, dann zeigten sie beim Heranwachsen verstärkt Charakteristika männlichen Verhaltens. Apostel der Akkulturierung misstrauen in der Regel solchen bloß naturwissenschaftlichen, »deterministischen« Argumenten. Doch wie soll man die Tatsache bewerten, dass auch die Gehirne von Jungen und Mädchen unterschiedlich funktionieren - und genutzt werden? Mädchen sind verbaler und Jungen räumlicher orientiert.
Geniale Mathematiker brauchen zum Denken weniger Hirn
Mädchen sprechen mit ihrem Spielzeug, Jungen nehmen es auseinander. Mädchen lernen früher sprechen, lesen besser und mehr, können sich besser konzentrieren (zwanzig Minuten, Buben bloß fünf) und leiden seltener unter Legasthenie. Jungen hingegen können einen Körper in ihrer Vorstellung drehen. Sie können schon als Zweijährige dreidimensionale Puzzles zusammenbauen und haben eine bessere Hand-Augen-Koordination. Das sind die statistischen Durchschnittswerte: Natürlich gibt es auch sprachlich begabte Knaben und Mädchen mit einem fabelhaften Ortssinn.
Der Vorteil der Mädchen bei Sprachtests ist groß, in der höheren Mathematik allerdings geht dieser Vorteil verloren. Warum? Mädchen fehlt offenbar das räumliche Vorstellungsvermögen der Jungen. Diese benutzen die visuellere rechte Gehirnhälfte, um mathematische Probleme zu lösen. Die verbreitete und nicht nur legendäre Parkunfähigkeit unter Frauen ist diesem Unterschied geschuldet. Er sieht die Lücke und kann sich bildlich vorstellen, wie der Wagen in die Lücke passt. Sie muss das Parken in Worte fassen: Wie lang ist mein Auto, wie groß ist die Lücke? Freilich sind verbale Strategien zur Lösung räumlicher Probleme nicht besonders effektiv.
Die Jungen haben auch einen besseren Ortssinn, aber Mädchen finden einen Weg besser, den sie zum zweiten Mal zurücklegen, weil sie das räumliche Problem in ein verbales verändert haben - »rechts hinter dem Spielplatz, links hinter der Gärtnerei«. Diese Unterschiede sind auch bei Schimpansen und Ratten festgestellt worden, Männchen finden ihren Weg leichter durchs Labyrinth, Weibchen aber prägen sich die Wegmarken ein.
Hirnforscher wie Katherine Hoyenga erklären die unterschiedlichen Begabungen so: Frauen haben eine stärkere Vernetzung zwischen beiden Hirnhälften, Männer haben eine stärkere Verbindung innerhalb jeder Hälfte. Das weibliche Hirn sieht mehr, hört mehr, kommuniziert schneller, schafft schneller Querverweise.
Die Sprachbereiche im weiblichen Hirn sind größer als jene bei den Männern. Sein Hirn kann ganz eng fokussieren - daher wohl auch der männliche »Tunnelblick«. Sie hat sozusagen Flutlicht, er ein Spotlight. Ein Mathematikexperiment mit begabten Kindern zwischen zehn und zwölf Jahren an der Universität von Iowa 1990 brachte Erstaunliches an den Tag: Die meisten Jungen und Mädchen benutzten beide Gehirnhälften, um die Mathematikaufgaben zu lösen, die hoch begabten Jungen indes hatten die linke Seite komplett ausgeschaltet und benutzten nur die rechte Seite.
Das bedeutet, dass die begabtesten Mathematiker mit weniger mehr erreichen. Michael O'Boyle, der Psychologe, der diese Experimente durchführte, erklärt das so: Der Denkvorgang der Jungen ist effizienter. Die Mädchen stecken zwar mehr Hirn, also beide Hälften, aber nicht so konzentrierte Aktivität in die Aufgabe. Dasselbe beobachtete O'Boyle bei Kindern, die dreidimensionale Puzzles meistern sollten. Die Jungen aktivierten nur ihre eine Gehirnhälfte, die Mädchen beide, doch die Jungen kamen zu besseren Ergebnissen.
Eine wichtige Rolle bei der Funktionsweise des Gehirns spielt bei beiden Geschlechtern das Corpus callosum, die Verbindung zwischen den beiden Hälften. Diese Verbindung ist in der weiblichen Variante etwa ein Fünftel größer als in der männlichen. Ein bestimmter Teil davon, das so genannte Splenium, ist sogar erheblich größer, und genau hier findet die Vernetzung der Sprachzentren statt.
Schon in den neunziger Jahren haben Forscher wie Jenny Harasty vom Prince of Wales Medical Research Institute in New South Wales und Sally und Bennett Shaywitz von der Yale University herausgefunden, dass Mädchen nicht nur beide Gehirnhälften für sprachliche Prozesse benutzen, sondern dass das weibliche Hirn, wiewohl 15 Prozent kleiner, doch 20 bis 30 Prozent mehr Anteile der Sprache widmet. Die Unterschiede haben allerdings nichts mit Intelligenzgefällen zu tun, und schon gar nicht rechtfertigen sie irgendeine Diskriminierung der Geschlechter.
Eine Entmutigung talentierter Mädchen findet wohl auch nicht statt, denn in Amerika haben sie gerade in der Mathematik und Physik zu den Jungen aufgeschlossen, allerdings nur bis zum Bachelor. In den Doktorandenseminaren fallen sie dann hinter die Männer zurück, was sich an Technischen Universitäten wie dem MIT oder dem Caltech deutlich zeigt. Während überall sonst die Mädchen in der Mehrzahl sind, herrscht an den technischen Hochschulen fast eine archaische Verteilung von 70 Prozent Männern zu 30 Prozent Frauen - mancherorts auch 40 Prozent. »Vielleicht müssen wir einen gewissen Grad an ungleicher Repräsentation in manchen Fächern einfach hinnehmen«, meinen die Gender-Forscher Camilla Benbow und David Lubinski.
Teilchenphysik ist Mädchen nicht sozial genug
Frauen haben sich in großer Zahl in der Jurisprudenz, der Medizin, der Psychologie, den Sozialwissenschaften eingerichtet, nicht aber in Ingenieurwissenschaften, Mathematik und den Naturwissenschaften. Und wenn sie doch gelegentlich in die Naturwissenschaften gehen, dann wählen sie eher Fächer mit einer sozialeren Komponente als ausgerechnet Teilchenphysik - sie entscheiden sich etwa für Biologie, Ernährungswissenschaft oder Umweltmedizin.
Als die Harvard-Psychologin Carol Gilligan (Die andere Stimme, 1984), vor mehr als 20 Jahren herausfand, dass Jungen und Mädchen nicht nur sprachlich verschiedene Erzählstile, sondern auch eine andere Moral haben, wurde dies als die Entdeckung einer ethischen Überlegenheit der Frauen gefeiert. Jungen entschieden nach Gilligan mathematisch und regelgerecht, Mädchen fürsorglich und mitmenschlich. Obwohl sich diese moralischen Einstellungen bei Jungen und Mädchen meist überlappen, jubelte Ms., die Hauspostille amerikanischer Feministinnen, 1984: »Kleine Mädchen, die schon immer gesagt haben, dass sie Spiele, bei denen man gewinnen oder verlieren kann, nicht mögen, sind Gilligans Schlüssel für die Zukunft.«
Aber ist Die Reise nach Jerusalem mit gleich vielen Stühlen für gleich viele Kinder wirklich ein attraktives, auch nur ein funktionsfähiges Gesellschaftsmodell?
Der amerikanische Kulturkritiker Christopher Lasch beobachtete schon vor mehr als zwanzig Jahren, dass die Feministinnen hin- und hergerissen waren zwischen den Argumenten, die die Wichtigkeit der sexuellen Unterschiede minimierten, und denen, die sie übertrieben. Womöglich wäre die unaufgeregte Akzeptanz der vorhandenen Unterschiede der beste Weg, Mädchen aus dem vielerorts existierenden »Ach-wir-sind-ja-nur-Mädchen-Ghetto« herauszuhelfen.
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