zum Autor:
Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck (D) geboren. Sein Vater war ein hochangesehener Bürger und Handelsherr, seine Mutter eine Halb-Brasilianerin. Seine dichterische Veranlagung erkannte er früh, denn im Alter von nur 14 Jahren unterschrieb er einen Brief schon mit: "Th. Mann. Lyrisch - dramatischer Dichter".
Obwohl es sein Vater lieber gesehen hätte, wenn er geschäftlich und nicht dramatisch begabt gewesen wäre, verbrachte Thomas Mann mit seinen 4 Geschwistern eine glückliche Jugend.
Im Gegensatz zu seinem "modernen" älteren Bruder Heinrich, der auch Schriftsteller werden sollte, vertrat Thomas eher konservative Denkweisen. Als die Familie nach dem Tod des Vaters nach München umzog, wurde die Vornehmheit, mit der die Familie umgeben gewesen war, etwas gelockert. Mann brach in weiterer Folge die ihm immer schon verhaßte Schule ab. Im Alter von 19 Jahren wird er nach der Veröffentlichung seiner ersten Erzählung von einem damaligen Dichterfürsten (finanziell) unterstützt und hat dadurch Vorteile gegenüber seinem Bruder, der von der Schriftstellerei kaum leben kann. Schon bei seinen frühen Werken geht Thomas Mann auf eine Thematik ein, die ihn sein ganzes Leben lang beschäftigen sollte: der Widerstreit zwischen Künstlertum und Bürgerlichkeit, d.h zwischen Schönheit und Nützlichkeit.
In seinen ersten Novellen (z.B. "Tristan") sind die Figuren, mit denen Mann diesen Konflikt beschreibt, zu übertrieben und vereinfacht. In weiterer Folge geht Mann jedoch von diesen Extremen weg, er wird "dichterischer" (Altenberg). Im Jahr 1900 erschien Manns erster großer Roman, "Buddenbrooks". Durch diesen Roman entstand für Mann eine gewisse finanzielle Stabilität, die bis zu seinem Tod andauern sollte. 1905 heiratet Mann Katia Pringsheim, die Tochter eines reichen Professors, mit der er insgesamt 6 Kinder hatte. In der Zeit des 1. Weltkrieges, von dem er sehr betroffen war, schrieb Mann "Betrachtungen eines Unpolitischen". Entgegen den Erwartungen begann für Mann ab 1924, als sein sehr aktueller Roman "Zauberberg" erschien, eine Zeit internationalen Ruhms und repräsentativer Reisen. 1929 erhielt Mann vor allem für sein Werk "Buddenbrooks" den Nobelpreis der Literatur. Im Februar 1933 beschließt Mann anläßlich eines Auslandsaufenthaltes, nicht mehr in das Hitler-Deutschland zurückzukehren. Er zog mit seiner Familie viel herum, wobei er aufgrund seiner Berühmtheit viele Einladungen erhielt und von 1938 bis 1952 in den Vereinigten Staaten von Amerika lebte. Während dieser Zeit schrieb er seinen berühmten "Doktor Faustus", der 1949 vorlag. 1952 kehrte Thomas Mann in die Schweiz zurück. Er starb am 12. August 1955 in Zürich.
zu "Felix Krull":
Inhalt: Felix Krull ist der Sohn eines bankrotten Sektfabrikanten aus dem Rheingau, er zeigt schon in seiner Jugend eine Neigung zu übertriebener Selbstdarstellung und Selbstüberschätzung. Nach dem Selbstmord des Vaters ist er dazu gezwungen, seinen Lebensunterhalt selbst zu erwerben. Seine Fähigkeit zum Spiel und zur Selbstinszenierung bewahrt Felix durch einen vorgetäuschten Epilepsie-Anfall vor dem Wehrdienst; schließlich geht er nach Paris, um dort in einem großen Hotel in unterschiedlichen Positionen zu arbeiten. Eine Wende bringt sein Identitäts-Tausch mit dem Marquis de Venosta. Ausgestattet mit dessen Papieren und Vermögen unternimmt er eine Reise, die eine Weltreise werden sollte und die in mancher Hinsicht zugleich wie eine Bildungsreise erscheint. Auf Reisen macht er die Bekanntschaft des Paläontologen Professor Kuckuck, dessen Familie er in Lissabon kennenlernt. Seine angenommene Identität verschafft ihm Zutritt zur Adelsgesellschaft, sogar eine Audienz beim portugiesischen König. Am Ende des Textes steht er nicht nur in einer Liebesbeziehung zur Tochter des Professor Kuckuck, auch dessen Frau scheint seine Liebe zu erwidern. In Lissabon bricht das Fragment des Romans ab, die Vorstudien lassen erkennen, dass eine Fortsetzung der Reise geplant war. Außerdem sollte die Fortsetzung des Romans den Helden ins Zuchthaus führen, aus dem er jedoch offensichtlich wenig geläutert wieder entlassen worden wäre.
Interpretation:
Der letzte Roman Thomas Manns ist unvollendet. Die Anfänge des Werkes datieren bis in das Jahr
1905 zurück, das Werk begleitete Mann also ein halbes Jahrhundert lang. Es besteht ein sehr großer
Gegensatz zwischen dem Betrüger Felix Krull und dem mit sich selbst so strengen Autor Thomas
Mann. Trotzdem ist keines seiner Werke direkter, autobiographischer und bekenntnishafter als dieses.
Mann griff den Roman noch einmal im Alter auf, um es noch einmal zu versuchen, ein Selbstporträt
von sich zu erstellen. Ein anderer möglicher Grund für Manns Wiederaufnahme des "Felix Krull"
könnte sein, dass Mann das Urbild des Emigranten porträtieren wollte, mit sieghaften Zügen, mit
ständiger Überwindung der ebenso ständig bedrohlichen Probleme, die sich jedem Vertriebenen, ja
sogar Mann selbst, damals stellten.
Das Werk beschäftigt sich, wie so viele Werke Manns, mit dem sogenannten Künstlerproblem. Ein
von Nietzsche und Schoppenhauer geprägter Künstlerbegriff war um die Jahrhundertwende sehr
populär und wurde auch von Mann vertreten. Der Künstler ist ein Aussenseiter, mit dem Fluch der
Einsamkeit und Isolation belastet, der aber sein Künstlergeschäft nur deswegen betreiben kann, weil er
draussen ist. Der Künstler wird vom Bürgertum nicht ernstgenommen, oft sogar verarchtet, nur im geheimen vielleicht bewundert. Mag er aus der Sicht der Gesellschaft einer fragwürdigen Profession nachgehen, so erscheint die Gesellschaft umgekehrt aus der Sicht des Künstlers ebenso unwirklich und illusionär. Das Künstlerproblem stellt nun ganz allgemein die Frage, wie dein solcher Künstler in der Spannung mit dem Bürgertum existieren kann.
Wie kann sich "Felix Krull" mit dem Künstlerproblem auseinandersetzen, wenn doch die Hauptperson ein Hochstapler ist? Felix Krull ist ein Künstler als Schwindler und Betrüger und ist zu tiefst davon überzeugt, dass die Welt nichts anderes als ein großes Theater, ein Welttheater sei. "Felix Krull" ist von Schopenhauers Lehre von der Scheinhaftigkeit der wirklichen Welt geprägt. Krull durchschaut es, dass die Welt auf Schauspiel und Trug aufgebaut ist, und versucht dies auch dem Leser glaubhaft zu machen.
In "seinem" Welttheater ist Felix Krull unglaublich erfolgreich, er scheint göttliche Unverwundbarkeit zu besitzen. Thomas Manns Dasein und auch seine Selbstdarstellung in Felix Krull ist unter der Symbolfigur des Narziß zu verstehen. Der Narziß ist eine Gestalt der griechischen Mythologie, die sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Es besteht ein Gegensatz zwischen Thomas Manns Leben, das sich in Arbeit und Disziplin, in unendlicher Anspannung erschöpfte, und der göttlichen Unverwundbarkeit des Felix Krull, durch den sich Mann ja selbst darstellte. So ist Thomas Manns letzter Roman zugleich ein Triumph über sein bis dahin so prekäres, von Zweifeln und Infragestellungen gekennzeichnetes Verhältnis zur Welt, ein Triumpf auch der Kunst über die Realität. Ein Triumpf schließlich des Alters über das, was dem 75jährigen nun einmal verlorengegangen war und was er doch gerne behalten und hochheben wollte: das eigene schöne Selbstbildnis, vom dem er literarisch nicht genug bekommen konnte: jede einzelne von Manns Romanfiguren sind in der des Felix Krull noch einmal präsent. Es ist das Gegenbild zum späten, gelegentlich tief verzweifelten Thomas Mann, der auch noch in den Spiegel blickt, sich aber dort geradezu hassenswert findet und sich vor seinem eigenen Spiegelbild ekelt.
Nietzsche hat auch einmal gesagt, dass die Wirklichkeit nur bei dem Erkennenden liegen würde. Mann wurde auch davon offensichtlich beeinflußt, denn in "Felix Krull" kommt die Idee der Vertauschbarkeit vor. Als Felix Krull in Paris Kellner ist, stellt er sich vor, daß die Gäste und die Kellner ohne weiteres einfach Rollen tauschen könnten.
In einem Bildungsroman wird die geistige Entwicklung eines jungen Menschen in Auseinandersetzung mit den Einflüssen der Umwelt dargestellt. "Felix Krull" gehört zwar in die Tradition des deutchen Bildungsromans, es ist jedoch weniger ein Bildungsroman als vielmehr eine Parodie desselben, falls man diese Kathegorie überhaupt gelten lassen will. Denn offenkundig ist, dass hier von der Ausbildung der Individualität nicht mehr gut die Rede sein kann. Das wichtigste Argument gegen eine Klassifizierung "Felix Krull"s als ein Bildungsroman ist jedoch, dass der Hochstapler ein Rollenspieler ist, kein Bildungsreisender, er bleibt sich bei allen Veränderungen gleich; was er darstellt, sind nur Mutationen seines eigenen Wesens. In dem Roman finden sich einzelne Züge des Schelmenromans, des Bildungsromans und der Parodie desselben, ohne das man ihn zu einer dieser Gruppen zuordnen könnte.
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