Textbeschreibung zu Heinrich Bölls "An der Brücke"
In Heinrich Bölls 1950 geschriebener Kurzgeschichte "An der Brücke" geht es um den Konflikt eines Kriegopfers zwischen Liebe und Statistik.
Ein Mann bekommt in der Nachkriegszeit die Aufgabe, an einer Neugebauten Brücke, die überquerenden Menschen zu zählen. Er arbeitet aber sehr ungenau und verändert die Zahlen je nach Laune. Seine Geliebte überquert zwei mal täglich die Brücke. In den Zwei Minuten in denen sie auftritt, zählt er nicht sondern bewundert sie nur. Eines Tages wird er kontrolliert. Durch die rechzeitige Warnung seines Kollegen konzentriert er sich aber und zählt somit fast richtig. Er bekommt ein Lob und wird zum Pferdewagenzählen versetzt.
Die beiden Hauptfiguren der Geschichte sind der Ich-Erzähler und seine Geliebte. Beide werden, wie für eine Kurzgeschichte typisch, nicht namentlich erwähnt und von einem personalen Erzähler (Ich-Erzähler) teils direkt teils indirekt charakterisiert.
Der Ich-Erzähler ist im Krieg verletzt worden und hat anscheinend Probleme mit seinen Beinen. Daher hat er einen Beruf im Sitzen und zählt die Menschen die täglich eine Neugebaute Brücke passieren. Er nimmt diesen Beruf aber nicht ernst. Weiterhin liebt er eine Passantin.
Diese Frau geht täglich zwei mal über die Brücke. Sie arbeitet in einer Eisdiele und wird liebevoll umschrieben ("langes, braunes Haar"; "zarte Füße").
Die Kurzgeschichte lässt sich in fünf Abschnitte unterteilen.
Im ersten Abschnitt wird erstmal grob in die Tätigkeit des Ich-Erzählers angeführt. Es wird berichtet, dass der Mann ein Kriegsunglück hatte und jetzt die Passanten einer Neugebauten Brücke zählt. Er kritisiert die Statistik die daraus entstehen soll ein wenig und wertet die Arbeit ab ("sinnloses Nichts aus ein paar Ziffern") (Z: 4). Um so größer die Zahlen sind umso mehr freuen sich die Auftraggeber und Statistiker ("sie"). Durch den Vergleich: "...den ganzen Tag, den ganzen Tag geht mein stummer Mund wie ein Uhrwerk, indem ich Nummer auf Nummer häufe, nur um ihnen Abends den Triumph einer Zahl zu schenken. ..." (Z: 4-6) wird deutlich dass diese Arbeit so eine Regelmäßigkeit und damit auch Eintönigkeit für ihn hat. Durch das Wiederholen von: "den ganzen Tag" wird diese Aussage noch unterstrichen und die Länge seines Arbeitstages in den Vordergrund gerückt.
Im zweiten Abschnitt wird das erste Mal erzählt dass er unzuverlässig arbeitet. Er gibt die Zahlen je nach Laune an ("..- Insgeheim macht es mir Freude, manchmal einen zu unterschlagen und dann wieder wenn , wenn ich Mitleid empfinde ihnen ein paar zu schenken. ..." Z:12/13). Die Statistiker sind dankbar für diese Zahlen, merken aber nicht dass sie Falsch sind. Umso größer die Zahl ist umso mehr Freuen sie sich. "...Ihr Glück liegt in meinen Händen. ..." das lässt auch das Gefühl von Macht und Wichtigkeit beim Ich-Erzähler aufkommen. Durch die Wiederholung von: "die Statistik stimmt nicht, es tut mir Leid, sie stimmt nicht. ..." wird der große Nachdruck und die innerliche Zerrissenheit der Ich-Erzählers deutlich. Er betrachtet die Statistik und die Rechnerei, die die Statistiker mit den, von ihm gelieferten Zahlen, machen mit Ironie ("...das zweit Futur..." Z: 23).
Im dritten Abschnitt tritt zum ersten Mal seine "kleine Geliebte" auf. Hier wird die große Verbundenheit und Liebe des Ich-Erzählers zum Ausdruck gebracht. "...mein Herz bleibt einfach stehen. Das unermüdliche ticken meines Herzens setzt einfach aus,..." (Z25/26) Er macht deutlich, dass sie etwas besonderes ist, weil das sonst so normale und durch nichts aufzuhaltende Ticken seines Herzens einfach aufhört. Deswegen zählt er auch in dieser Zeit nicht weiter. " ...das unermüdliche Ticken meines Herzens..."- das drückt das langsame, zähe aus, mit dem sein Leben dahin fließt. Aber in diesen Minuten, in denen er sie sehen darf wird das unterbrochen und ein richtiger Akzent gesetzt. ".. und alle, die in dieser Zeit passieren, verschweige ich ihnen. Diese zwei Minuten gehören mir, mir ganz allein und ich lasse sie mir nicht nehmen. ..." (Z:27/28) durch die Wiederholung von "gehören mir, mir ganz allein.." wird diese tiefe Verbundenheit unterstrichen und der tiefe Trance-Zustand hervorgehoben. "...und alle die das Glück haben, in diesen Minuten vor meinen Blinden Augen zu defilieren, gehen nicht in die Ewigkeit der Statistik ein. ..." (Z:33/34) Er bezeichnetes als Glück nicht in die Statistik einzugehen. Es kommt zum Ausdruck, dass die Menschen die nicht gezählt werden ihre Einzigartigkeit behalten und nicht einer unter vielen sind. Die Verwendung des Wortes "defilieren" hebt wieder die große Liebe hervor.
Der vierte Abschnitt ist der gleichzeitige Höhepunkt. Am Anfang beteuert er noch einmal seine Liebe. "...es ist klar, dass ich sie liebe. ... Ich liebe sie. Es ist ganz klar, dass ich sie liebe. ...\" (Z:36;39) Die Wiederholung dieser Worte zeigt das auch noch einmal ganz deutlich. Aber er möchte es ihr nicht erzählen. "...sie soll nicht ahnen auf welche ungeheure Weise sie alle Berechnungen über den Haufen wirft. ..." Es deutet sich hier wieder die Macht an die er hat und das er sie für immer allein stehen lassen will weit weg von der allgemeinen Bevölkerung und der Statistik. Eines Tages wird der Ich-Erzähler kontrolliert. Er wurde aber rechzeitig gewarnt und passt deswegen höllisch auf. Seine Geliebte kommt in dieser Zeit vorbei. "Mein Herz hat mir geblutet, dass ich zählen musste, ohne ihr nachsehen zu dürfen. ..." (Z: 49/50) am Ende hat er nur einen Menschen weniger. Seine Geliebte hat er nicht mitgezählt. "...niemals im Leben werde ich dieses hübsche Kind in den zweiten Futur transponieren lassen, diese meine kleine Geliebte soll nicht dividiert und multipliziert und in ein prozentuales nichts verwandelt werden. ..." (Z:47-48) Er will sie nicht mitzählen, weil sie nicht eine unter vielen in dieser Statistik sein soll. Sie soll für ihn etwas ganz besonderes sein und nicht als Objekt einer nichts sagenden Statistik untergehen. Durch dieses Ergebnis bekommt der Ich-Erzähler ein Lob des Oberstatistikers und wird zum Zählen der Pferdewagen versetzt.
Im Fünften und letzten Abschnitt erzählt der Ich-Erzähler von den Pferdewagen. Ihm gefällt diese Aufgabe, da höchstens Fünfundzwanzig Stück am Tag die Brücke überrollen. "...Pferdewagen ist natürlich Masche. Pferdewagen ist ein Lenz, wie nie zuvor. ... das ist Lenz. ..." (Z:56;59/60). Er betont immer wieder wie sehr es ein Lenz für ihn ist und unterstreicht damit auch seine Freude. "...alle halbe stunde einmal in seinem Gehirn eine Nummer fallen zu lassen, das ist Lenz!..." (Z:58/59) Er bringt auch wieder diese regelmäßige Arbeit an. Es wird wieder an dieses eintönige arbeiten erinnert, was er ja immer noch trotz, der neuen Arbeit, macht. Zwischen vier und fünf dürfen überhaupt keine Pferdewagen über die Brücke fahren. In dieser Zeit, so malt er sich aus, könnte er spazieren oder zu seiner Geliebten in die Eisdiele gehen. "...in die Eisdiele, könnte sie mir lange anschauen oder sie ein Stück nach Hause bringen, meine kleine ungezählte Geliebte..." (Z: 64-Ende) so endet die Geschichte. Durch die Freude über seine Versetzung wird der sonst so schüchtern wirkende Mann mutiger. Er malt sich sogar schon aus sie nach Hause zu bringen. Aber auch im letzten Satz wird noch mal deutlich dass er ihr sehr verbunden ist. "...meine kleine ungezählte Geliebte..." er beteuert noch mal indirekt dass sie für ihn etwas ganz besonderes ist und er sie nie mitzählen würde um sie in ihrer Einzigartigkeit zu erhalten.
Ich denke dass Heinrich Böll in seiner Geschichte aussagen will, dass zwischenmenschliche Bezüge und der Mensch überhaupt, an sich viel wichtiger sind als eine Statistik. Er will damit sagen, dass eine Statistik nur der Durchschnitt und sozusagen der Ideal-Mensch ist, aber doch jeder seine Einzigartigkeit und seine eigene Art besitzt. Diese Einzigartigkeit ist wichtig, tritt in einer Statistik aber völlig in den Hintergrund. Für mich ist Das das wichtige an dieser Geschichte.
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