Die Güllener treten während des gesamten Stückes als Einheit (Kollektiv) auf, was Auswirkungen auf ihren Sprachgebrauch hat. Sie werden von vier Bürgern (dem Ersten, Zweiten, Dritten und dem Vierten) repräsentiert. Nur wenn man die Aussagen aller vier gemeinsam betrachtet, ergeben sie einen Sinn; sie ergänzen sich gegenseitig. Beispiel: (S. 21) DER MALER: Der D-Zug! DER ERSTE: Hält! DER ZWEITE: In Güllen! DER DRITTE: Im verarmtesten- DER VIERTE: lausigsten- DER ERSTE: erbärmlichsten Nest der Strecke Venedig-Stockholm! Diese Sprechweise unterstellt eine gesellschaftliche Harmonie; sagt einer der Bürger etwas, so löst er eine Kettenreaktion aus. Die Einstimmigkeit des Dorfes äußert sich also in ihrem Sprachgebrauch.
Dieses Verhalten kommt dem Plan der alten Dame sehr entgegen, da sich das Problem einer Pro-Contra Diskussion erst gar nicht stellen wird. Während des gesamten Stückes treten gehäuft Sprechteile verdoppelt auf. So ist dies zum Beispiel bei Koby und Loby, die immer gemeinsam auftreten, erkennbar. Ihre Aussagen werden dadurch unterstützt, daß sie alles wiederholen: (S. 32) Wir sind in Güllen. Wir riechen\'s, wir riechen\'s, wir riechen\'s an der Luft, der Güllener Luft.
Einzig als Ill von den Güllenern zum Sterben verurteilt wird, durchbricht Dürrenmatt das Stereotyp der Wiederholung. Verzweifelt ruft Ill aus: \"Mein Gott!\" (S. 125)
Dürrenmatt baut zu dem Zuschauer (Leser) eine Verbindung auf, indem er die Personen Vorausdeutendes erzählen läßt. So z.B. Ill, der vor der Ankunft der alten Dame feststellt: \"Klara liebte die Gerechtigkeit. Ausgesprochen.\" (S. 19) Deutlich wird durch solche Äußerungen, daß Ill sich über die wahre Situation nicht bewußt ist.
In Ills Laden steigern sich die Dialoge von belanglosem Ladengeschwätz bis hin zu hochdramatischen Szenen. Die Güllener zwingen Ill immer wieder, sich seine ausweglose Situation vor Augen zu führen (S. 57): DER ZWEITE: Du bist schließlich die beliebteste Persönlichkeit. DER ERSTE: Die wichtigste. DER ZWEITE: Wirst im Frühling zum Bürgermeister gewählt. DER ERSTE: Todsicher. DIE FRAUEN: Todsicher, Herr Ill, todsicher.
Dürrematt arbeitet in diesem Stück mit vielerlei rhetorischen Mitteln. Außer den unzähligen Wiederholungen fällt z.B. in der
Rede des Lehrers (S. 121) auf, daß der Lehrer keine Attribute verwendet. Um so schlagkräftiger wirkt ein einzelnes Attribut: \"... mit unseren Idealen müssen wir nun eben in Gottes Namen Ernst machen, blutigen Ernst...\"
Interessant ist auch Ills Kampf gegen seine Ermordung, da dieser Kampf im engen Zusammenhang mit seiner Sprachwahl steht. Ill schildert sowohl dem Polizisten, als auch dem Pfarrer und dem Bürgermeister seine Angst. Doch den Widersachern gelingt es, mit ausgefeilter Sprachtechnik, die Situation so zu drehen, daß Ills Argumente zu Gegenargumenten werden. Ganz deutlich wird das auf Seite 71 beim Gespräch mit dem Bürgermeister: ILL: Man schmückt schon meinen Sarg, Bürgermeister! Schweigen ist mir zu gefährlich. BÜRGERMEISTER: Aber wieso denn, lieber Ill? Sie sollten dankbar sein, daß wir über die üble Affäre den Mantel des Vergessens breiten.
Die Sprache der Claire Zachanassian ist gekennzeichnet vom Gebrauch des Imperatives. Er wirkt immer wieder schlagkräftig gegen das Geschwätz der Güllener. Ihre kurzen Hauptsätze sind bestimmend und klar und lassen keinerlei Diskussion zu. Lange Erklärungen und Rechtfertigungen hat die Milliardärin nicht nötig, denn ihr Geld spricht für sich. Das genügt.
Wann immer (zu Beginn) ein Gespräch \"gefühlsbetont\" zu werden droht, bricht sie die Schwärmereien ihres Gegenübers durch Bilder aus der Gegenwart ab. So z.B. auf Seite 26: ILL: Mein Zauberhexchen. CLAIRE: Ich nannte dich: mein schwarzer Panther. ILL: Der bin ich immer noch. CLAIRE: Unsinn. Du bist fett geworden. Und grau und versoffen.
Sie schafft es sehr geschickt, Ills Aussagen gegen ihn zu kehren: (S. 49)
CLAIRE: ... Du wolltest, daß die Zeit aufgehoben würde, eben, im Wald unserer Jugend, voll von Vergänglichkeit. Nun habe ich sie aufgehoben....
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